Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (5)
Allmählich wird es eng. Heute ist der letzte Tag und bisher hat sich der Wolf nicht gezeigt. Offenbar sind außer den Bürokraten (schlechte Publicity!) auch die Waldmenschen enttäuscht, was sich an dem deutlich verminderten Wodkaverbrauch messen ließ. Für sie fällt das Wochenende aus, heute, am Samstag, heißt es wieder stundenlang bei eisiger Kälte (heute morgen – 16˚C) Spuren suchen, zu Fuß und auf Skiern. Morgen kommen schon die nächsten Jäger – Gott sei Dank nur zur Wildschweinjagd, also einer leichten Beute gegenüber dem Wolf.
Derweil genießt mein Schwiegervater den Schnee, die Wintersonne und den Wald. Von dessen Zustand ist er ganz begeistert, kann er es als Jäger, Landwirt und Waldbesitzer doch beurteilen. Bemerkenswert ist zunächst die wirklich große Fläche des Waldes in Belarus, dem einzigen Land in Europa, in dem der Verbrauch, also die Abholzung des Waldes, hinter dessen Zuwachs zurückbleibt. Hierfür gibt es offenbar mehrere Gründe. Zum einen hat es nach dem Krieg bis in die 50er Jahren eine systematische Aufforstung gegeben, bei der die Männer, so berichteten uns die Waldmenschen, die Löcher mit den Spaten gestoßen und Frauen und Kinder die Setzlinge eingepflanzt haben. Sieht man mal von den sicher katastrophalen Arbeitsbedingungen ab, so hat sich das für den Wald sehr bewährt. Auch die Tatsache, dass selbst abgelegene Gebiete mit der Gaszentralheizung versorgt sind, also nicht auf den sprichwörtlichen Ofen angewiesen sind, schont den Wald, der in großen Teilen unter Naturschutz steht. Hinzu kommt ein, offenbar im Unterschied zu Russland, gut organisierter und effektiver Brandschutz im Sommer, der freilich vom feuchteren Klima begünstigt wird.
Ein Blick in die Dörfer offenbart noch etwas anderes: Trotz postsowjetischer Planwirtschaft, zeigt sich gerade hier, anders als in dem am Reißbrett und im sozialistischen Größenwahn geplanten Minsk, die offenbar nicht auszurottende Tradition und Kultur der Selbstversorgung und Eigeninitiative – auch dies deutlich anders, als in Russland. Hier bekommt das Sprichwort, die Belarussen seien die Deutschen unter den Slawen, einen greifbaren Sinn. Die Häuser, teilweise noch aus ganz altem, also Vorkriegs-Baumbestand gebaut, und die Vorgärten sind gepflegt und individuell angelegt. Bezugspunkte in der Umgebung sind die Kirchen, fast in jedem größeren Dorf stehen neben den katholischen (die vom Einfluss Polens zeugen) teilweise neue orthodoxe Gotteshäuser (um sich gegen die Katholiken zu behaupten!).
Der Wald ist dabei zugleich Objekt der Hege und Pflege, ebenso wie der Nutzung. So war die letzte Aktion nach erfolgloser Jagd gestern Abend die Anlieferung eines riesigen Stückes Biberfleisches auf unserer verschneiten Kreuzung im Wald, bestimmt für ein Minsker Restaurant. Während die Städter die Delikatesse aus dem Wald genießen, nutzen die Waldmenschen alle Teile des Bibers – vom Fleisch über das Fell, die Innereien, die Knochen und vor allem das Fett.