Schillernd

Foto: http://www.newsvm.com/news/17/61255/. Bondarenko in einer Filmrolle als Offizier der Russischen Armee – ganz er selbst.

Man hört und sieht ja oft nur, was man weiß, heißt es doch immer. So ging es mir in letzter Zeit mit Vjacheslav Bondarenko (* 1974). Zugegeben hatte ich bis vor einem Monat noch nichts von ihm gehört und nun begegnet er mir gerade auf Schritt und Tritt. Und wie bei so vielen Erfahrungen in diesem Land, werde ich auch aus dieser bisher noch nicht schlau.

Kennengelernt habe ich Bondarenko in einer Konferenzpause am 11.11.2011 nach der Gedächtnisfeier anlässlich des Jahrestages des Endes des Ersten Weltkrieges. Hier trat er in seiner Funktion als Moderator der Talkshow „Otkrytyj format“ auf ONT auf, die sich an diesem Tag eben der Erinnerung an den Weltkrieg widmen sollte. Erst später habe ich erfahren, dass er selber bereits einige Bücher, Artikel und Drehbücher zum Thema veröffentlich hat, zuletzt 2010, und soweit ich das bisher beurteilen kann, überhaupt einer der wenigen ist, die sich mit dem Ersten Weltkrieg in Belarus beschäftigt haben. Überhaupt ist das Interesse an Militärgeschichte ein Kennzeichen seiner Arbeit in den letzten Jahren. So bestreitet er beispielsweise eine eigene Rubrik in der staatstreuen Zeitung „Belarussischen Militärzeitung“.

Eine Suche in Internet öffnet ungeahnt viele Seiten über ein erstaunlich breites Betätigungsfeld Bondarenkos. So ist er z.B. der Autor der Romanvorlage der in Russland und hierzulande beliebten Fernsehserie „Likvidacija“, von der mir – Zufall?- Tage zuvor meine Friseure (!) und meine Russisch-Lehrerin unabhängig voneinander vorgeschwärmt haben. Und nicht nur das, Bondarenko ist als Schriftsteller natürlich Mitglied belarussischen Schriftstellerverbandes, aber darüber hinaus auch Träger einiger Preise für sein Werk, darunter der „Allrussischen Auszeichnung für Literatur L. Tolstoj“ (2005).

Zu seinem Oeuvre gehören neben weiteren Romanen mit häufig historischem Sujet musikalische Beiträge als Sänger und Komponist, als Drehbuchautor und Schauspieler, als Journalist für Radio und Fernsehen sowie Gedichte. Auf mich wirkt dieses breite Portfolio weniger beliebig als sympathisch – offenbar bewegt sich Bondarenko zugleich suchend und anregend auf verschiedenen Bühnen zwischen Kultur, Geschichte und Kommerz.

Erst kürzlich hatte ich wieder das Vergnügen einer Begegnung, als Bondarenko mich einlud, ein Statement in seiner Talkshow anlässlich des 20. Jahrestages des Zerfalls der UdSSR zu äußern. Hier habe ich ihn, wie schon beim ersten Mal, als souveränen, wenngleich auch nicht polarisierenden Moderator erlebt, der durchaus um eine offene Diskussion bemüht ist. Dass die Sendung nicht live ausgestrahlt wird, ist keine Ausnahme in Belarus. Wie groß sein Spielraum aber wirklich ist, wird sich mit der Zeit erweisen, ist er doch bei „Otkrytyj format“ der Nachfolger des populären Sergej Dorofeev, der nach der Sendung zum 19.12.2010 nach einer falschen Frage an die Leiterin der Wahlkommission seinen Hut nehmen musste. Aber irgendwie habe ich in meinen Gesprächen mit Bondarenko den Eindruck gewonnen, dass er diese, wie auch seine vielen anderen Rollen, mit einer gewissen Distanz zu sich, seinen Themen und wohl auch seinen Auftraggebern ausfüllt, und wenn nicht dieses, dann eben ein anderes Projekt um seiner selbst willen realisiert.

Nochmal zum Ersten Weltkrieg

Dass der Erste Weltkrieg zunehmend das Interesse von Forschung, öffentlicher Erinnerung und Gesellschaft weckt, ist bekannt. Speziell für Belarus hat der Autor Vjacheslav Bondarenko dieses Interesse aufgenommen und im letzten Jahr ein Buch über „Die verlorenen Siege des Russischen Imperiums“ auf dem Gebiet des heutigen Belarus veröffentlicht. Darin beschreibt er in zwölf Kapiteln die militärischen Operationen an der russischen Westfront zwischen 1915 und 1917, geht auf die (erstmals) eingesetzten Waffen ein, liefert eine Auflistung der beteiligten Truppenteile und stellt die Aktivitäten der Flottenbrigade vor.

Eine wissenschaftlich militärhistorische, geschweige denn militärische Monographie ist das Buch allerdings nicht. Vielmehr schreibt Bondarenko als Journalist, motiviert durch sein persönliches Interesse an diesem Abschnitt der Geschichte: Einige seiner Vorfahren haben den Krieg in verschiedenen Rängen und Funktionen erlebt, er listet sie mit kurzen biographischen Daten im Schlusswort auf. Auch kommen sie an verschiedenen Stellen des Buches vor, niemals jedoch in aufdringlicher Weise. Überhaupt liest sich das Buch flott und fast spannend, was möglicherweise den Autor einer Rezension im Internet dazu verleitet hat, es als Roman zu bezeichnen. Zur guten Lesbarkeit trägt auch das Kapitel über die „Heimatfront“ und den Einsatz der Frauen in den Kriegsjahren bei.

Mit Recht weist Bondarenko im Vorwort darauf hin, dass der Krieg über Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedächtnis der Region verdrängt wurde, da die Soldaten nicht für die „richtige Sache“ gekämpft hätten. Dabei hat der Krieg tiefe Spuren auch im heutigen Belarus hinterlassen. Nach Angaben des Autors wurden von insgesamt 7 Mio Belarussen 700.000 bis 920.000 Männer eingezogen, 1,5 Mio wurden zu Flüchtlingen gemacht, 3,5 Mio kamen unter deutsche Besatzung. Eine wissenschaftliche Überprüfung der Zahlen ist schwierig, da die Gebiete des heutigen Belarus Teil des Russischen Reiches waren und keine isolierten Daten vorliegen. Es ist jedoch wahrscheinlich von niedrigeren Schätzungen auszugehen (vgl. dazu die Artikel von Sachar Schybeka und Mikola Iwanou im Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001). Leider verzichtet der Autor ganz auf Anmerkungen und auch die Literaturliste (mit durchaus neueren Veröffentlichungen) beinhaltet nur russisch- und belarussischsprachige Literatur, wobei nicht zwischen Quellen, Memoiren, Sekundärliteratur und Belletristik unterschieden wird. Ein Hinweis auf das „Russische militärhistorische Archiv“ (fälschlich mit RGALI (Russischen Staatliches Archiv für Literatur und Kunst) verweist auf Quellennutzung, ohne diese näher zu beschreiben.

Dafür unterscheidet Bondarenko konsequent zwischen „Belarussija“ für die topographische Bezeichnung während der Kriegsjahre und „Belarus“ für die heutige Republik. Innerhalb ihrer Grenzen lag das Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshaber der Armee Nikolaus II. (in Mogilev), wurde der spätere Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet, mit dem Russland aus dem Krieg ausschied und die Abdankungsurkunde des Zaren unterschrieben. Auch wurde das erste Denkmal für die Soldaten des Ersten Weltkrieges 1915 in Baranovichi errichtet.

Zwar geht es Bondarenko nicht um eine Nationalisierung des Krieges, zweifelsohne jedoch um einen Beitrag zur Aufarbeitung eines historischen Abschnitts, der in der nationalen Selbstdefinition der Belarussen eine zunehmend starke Rolle spielt. Umso bedauerlicher ist es, dass es kein Kapitel zur Bedeutung und Erinnerung an den Krieg im heutigen Belarus gibt. Gerade dies wäre aus der Feder des erfolgreichen und populären Journalisten und Publizisten sicher anregend gewesen.

Illustriert wird das Buch durch zahlreiche, in mittelmäßiger Qualität abgedruckte Fotos, die teilweise mit Orts- und Zeitangabe versehen sind, oft jedoch ohne Erläuterung bleiben. Auch hier fehlen Quellenangaben, sieht man von dem Hinweis ab, viele der Fotos stammten aus dem Archiv des Autors.

Insgesamt ist das Buch meiner Ansicht nach ein wichtiger, wenn auch nicht erschöpfender Beitrag zur Geschichte heutiger weißrussischer Gebiete im Ersten Weltkrieg, das viele Anknüpfungspunkte sowohl für die aktuelle Diskussion über die kollektive Erinnerung als auch für weitere Forschung bietet.

Zum Thema vgl. auch: „Ereignisse und Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Weißrussland. Recherchen im Zusammenhang mit den Workcamps der Jahre 2000 – 2005 am Narotschsee und in Stari Lepel. Wege der Versöhnung mit der humanitären Hilfsorganisation Heim-statt Tschernobyl e.V.“ mit Zeitzeugeninterviews und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

http://www.ruessmeyer.de/admin/veranstaltungen/data/05122006183439_pdf.pdf

Museum für Flugzeugtechnik

Foto: http://aircraft-museum.ucoz.ru/index/o_muzee/0-4

Nicht gerade mein Spezialgebiet, aber Museum ist eben Museum, also habe ich mir auch dieses angesehen. Das erste Museum dieser Art in Belarus unter freiem Himmel befindet sich seit 2009 in Borovaja (Minsker Gebiet). Zu sehen ist eine stattliche Anzahl von Fluggeräten aus unterschiedlichen Zeiten, darunter viele Modelle, die man aus Zeiten des Kalten Krieges nur aus Büchern und Filmen kennt. Eine erklärende Ausstellung gibt es nicht, insofern handelt es sich wohl mehr um einen Erlebnispark als um ein Museum. Dazu passt das Angebot, in die Flugzeuge hineinzugehen, auch besteht die Möglichkeit eines Hubschrauber-Rundflugs. Wer es dann doch genauer wissen will, wird auf der (übersichtlichen, wenn auch etwas überladenen) Website fündig. Sie bietet Informationen, die man vor Ort vermisst, wie z.B. eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Exponate.

Hilfreich zum Einstieg in die Geschichte der Erinnerung der Luftfahrtgeschichte in Belarus ist eine Übersicht über Denkmäler zur Flugzeuggeschichte mit Fotos und weiteren Erläuterungen. Offenbar gibt es aber eine Fangemeinde, davon zeugt jedenfalls das aktive Forum auf der Seite.

Besuch der Militärattachés im Museum am 18.11.2012. Foto: http://aircraft-museum.ucoz.ru/

Im Dschungel der Förderung von NS-Opfern

Ein Besuch bei der Internationalen Vereinigung „Verständigung“ hat mich kürzlich ebenso beeindruckt wie verwirrt. Beeindruckt, weil die neun Mitarbeiter sich mit wirklich bemerkenswertem Engagement für die Betreuung und Versorgung von NS-Opfern hier in Belarus einsetzen – und dies, nachdem die Zahlungen aus dem Zwangsarbeiterfond der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) schon lange abgeschlossen sind. Und hier fing auch die Verwirrung an, denn der offizielle Partner für die Auszahlung der Entschädigungszahlungen der Stiftung EVZ in Belarus, so dachte ich immer, war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ – nicht die Vereinigung „Verständigung“.

Offenbar ist es wie folgt: In der Tat war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ der offizielle Partner der Stiftung EVZ für die Auszahlungen. Aufgrund der zwischenstaatlichen Vereinbarung kooperierten damit zwei staatliche Einrichtungen. Seit 2007 die Zahlungen abgeschlossen waren und aus den Restmitteln weiterhin Projekte für die Opfer realisiert und finanziert wurden, gibt es nun einen Spielraum für weitere Initiativen in diesem Feld, die um das verfügbare Geld konkurrieren. Ein Teil der Mitarbeiter der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ haben daraufhin 2008 die (nicht-staatliche) zunächst städtische, später internationale Vereinigung „Verständigung“ gegründet. Daneben existieren das Internationale Begegnungszentrum IBB Minsk, das sich mit der Geschichtswerkstatt um ehemalige Opfer des Nationalsozialismus kümmert, sowie eine nicht unbeträchtliche Zahl weiterer, kleiner Vereinigungen und Initiativen.

Während die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“, die es bis heute gibt, sich überwiegend der medizinischen Versorgung der Opfer widmet (u.a. gefördert durch die Stiftung „Erinnerung und Zukunft“, die wiederum ein Teil der Stiftung EVZ ist), sind die Schwerpunkte der Vereinigung „Verständigung“ soziale Projekte und persönliche Betreuung der Opfer in Belarus und Estland. Dazu gehören Begegnungsprojekte ebenso wie Amtshilfe und Unterstützung im Alltag einschließlich Reparaturarbeiten etc. Eine Kooperation mit der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ gibt es aus verschiedenen Gründen nicht mehr, die Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt, die sich primär der historischen Aufarbeitung der Geschichte in Form von Gesprächsrunden und Publikationen verschrieben hat, dagegen findet regelmäßig statt. Das größte Programm unter dem Dach der Vereinigung „Verständigung“ ist der „Treffpunkt Dialog“, Teil des Förderprogramms der Stiftung EVZ für Belarus, Russland und die Ukraine.

Die Vielfalt der Initiativen hier in Belarus, aber auch die anhaltende Finanzierung aus Deutschland hat mir imponiert, zumal sich daraus wohl zunehmend Projekte aus belarussischer Eigeninitiative im Bereich der bisher eher vernachlässigten Seniorenprogramme und -angebote entwickeln, wie mir die Leiterin der Vereinigung „Verständigung“ erzählte. Ehrlich gesagt, bin ich noch nicht mal ganz sicher, ob ich alle Zusammenhänge und Strukturen richtig verstanden habe. Es ist schon fast wie bei den Initiativen zu Tschernobyl – es ist schwer, den Überblick zu behalten. Genau deshalb aber macht mich diese beeindruckend breite Palette der Unterstützung ehemaliger NS-Opfer auch ein bisschen nachdenklich. Wenn ich es nicht besser wüsste aus meinen Erfahrungen hier in Belarus, dann würde ich sagen, ein bisschen Zentralismus kann manchmal auch nicht schaden.