Der Große Krieg oder der Erste Weltkrieg II

Der herannahende 100. Jahrestag seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfährt in Belarus eine noch vor 10 Jahren undenkbare Aufmerksamkeit. Am nördlichen Zentrum von Minsk wird ein erst kürzlich entdecktes Massengrab in eine Parkanlage verwandelt. Und erst im letzten Jahr erschien eine Publikation über die „Soldatengräberanlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Belarus“. Die auf deutsch und russisch erschienene Broschüre im DIN A 4-Format enthält neben einer Einleitung zweier belarussischer Historiker (Anatolij Scharkow und Wjatscheslaw Selemenew) eine Übersicht über die nach Gebieten geordneten Gedenksteine, Friedhöfe und Denkmäler in Belarus nebst kurzer Beschreibung, einem Foto und einer Zustandsbeschreibung.

Die Ausgabe wurde vom Österreichischem Schwarzen Kreuz und dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge finanziert und herausgegeben. Neben Vorworten von Vertretern dieser beiden Einrichtungen, gibt es ein Vorwort des Leiters des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz sowie ein „Verzeichnis der österreichischen Gefallenen, die nahe Bereza im gebiet Brest begraben sind“.

Das Heft stellt eine gute Grundlage für weitere Forschungen zum Ersten Weltkrieg in Belarus sowie die Erinnerung an diesen in der Sowjetunion fast vergessenen Krieg dar.

Theater gegen das Vergessen

Foto: Geschichtswerkstatt Minsk

Am 27.5.2011 fand in der Geschichtswerkstatt die Uraufführung des Theaterstücks «Без названияМинское гетто» („Ohne Titel – Minsker Ghetto“) statt. Unter der Leitung der Theaterregisseurin Anna Sulima fassten die Schauspielerinnen und Schauspieler der Theatergruppe «Театральный квадрат» („Theater quadrat“) das Grauen der Konzentrationslager in eindrucksvolle, starke Bilder.

Das Projekt ist in Kooperation mit dem Historischen Institut der Belarussischen Staatlichen Universität entstanden, an der der Leiter der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kozak, unterrichtet. Für das Stück gewann die junge Regisseurin Studierende unterschiedlicher Fakultäten, die meisten Historiker. Für die inhaltlichen Grundlagen arbeitete Sulima mit Überlebenden des Minsker Ghettos und anderer Lager zusammen, die sich regelmäßig in der Geschichtswerkstatt treffen. Auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und Verbände, Leonid Lewin, wirkte an der Realisierung mit.

Foto: Geschichtswerkstatt Minsk

Die 30 geladenen Gäste erlebten eine eindrucksvolle Inszenierung, die für die Räumlichkeiten der Geschichtswerkstatt entstanden ist. Neben Ausdruckstanz und Musik trugen die jungen Laienschauspieler Textstellen aus Erinnerungen von Überlebenden in deutscher, französischer, russischer, belarussischer, polnischer und litauischer Sprache vor. Darin kommt das zentrale Anliegen der Autorin zum Ausdruck, an alle Opfer des Holocaust aus verschiedenen Ländern zu erinnern, auch wenn, so die Künstlerin selbst, kein Theaterstück, kein künstlerischer oder anderer Ausdruck jemals in der Lage sei, die schrecklichen Erfahrungen der Betroffenen in Bilder oder Worte zu fassen. In diese Sinne entließ sie ihre sichtlich betroffenen Zuschauer mit den Worten: „Irgendwann wird es niemand mehr glauben.“

Im Dienste des Vaterlandes

Heute war ein Frauentag. Das sind die Tage, an denen ich als „Ehefrau des Oberstleutnant“ unterwegs bin. So steht es in meinem Diplomatenpass, und zwar unter „Dienstbezeichnung“. Eigentlich bin ich gewöhnt, hier zwischen „Historikerin“, „Ausstellungskuratorin“ oder „Dozentin“ zu wählen, aber für den ausfüllenden Beamten im BMVg war das keine Frage, als man unsere Daten für den Pass aufgenommen hat. Es wird auch nicht vermerkt, welchem Oberstleutnant ich als Ehefrau zugehörig bin – immerhin tragen ja viele Eheleute heutzutage weiterhin ihren eigenen Familiennamen, aber sei’s drum, für meine Dienstverpflichtungen spielt das schließlich keine Rolle.

Heute war ich also zuerst um 10.30 Uhr zum Frühstück bei Frau Q. einer anderen, jüngst erst eingetroffenen Ehefrau aus dem Kreis der MAPs (=mit ausreisender Partner). Ein guter Start an einem sonnigen Frühlingstag, zumal im häufig doch anstrengenden russischsprachigen Alltag endlich mal wieder die Aussicht auf eine entspannte, weil unbedeutende deutsche Konversation, besteht.

Ich rufe also Frau Q. auf dem Handy an, um mich in dem verschachtelten Minsker Hinterhof, irgendwo in der Nähe ihres Wohnhauses, zu orientieren. Freudig versichert sie mir in verschiedenen Sprachen, von denen keine deutsch ist, gleich bei mir zu sein. Sprach’s, und kommt im sommerlichen Flatterkleid und eleganten Flipflops aus dem Haus. Ihr feuriges Erscheinungsbild lässt auf die Südsee schließen, was sie in einem Sprachgemisch sogleich bestätigt. Im Ambiente der großzügigen Wohnung voller exotischer Möbel, Kunst und Erinnerungsstücke, serviert sie nach dem Eintreffen weiterer Damen einen perfekten deutschen Apfelkuchen und berichtet von den Dauerbaustellen aller Umzüge aus der Elfenbeinküste nach Malaysia nach Deutschland nach Kenia nach Kiew nach China nach Minsk. Hilfe oder Tipps zu den Minsker Verhältnissen braucht sie keine, dafür ist sie auf der Grundlage jahrelanger Erfahrungen sogleich bereit, bei der Organisation des anstehenden Empfangs des International Women’s Club durch die deutschen Damen zu helfen. Gesagt, getan, alle Fragen sind geklärt.

Ich muss mich leider verabschieden, um nicht zu spät zu meinem Massagetermin um 13.00 Uhr zu kommen, der mich von den Verspannungen der zahllosen und anstrengenden Termine an der Cocktailfront befreien wird. Flugs fahre ich also zum 1. Städtischen Krankenhaus und parke aufgrund der bereits eingetretenen leichten Verzögerung auf dem Gehsteig, was ärgerlich für die Fußgänger und verzeihlich für die Polizei ist – beides aufgrund des Diplomatenkennzeichens.

Wellnessmäßig entspannt geht es gegen 14.30 Uhr weiter zur nächsten Dienstverpflichtung, dem House-Keeping für eine weitere betroffene Ehrefrau. Gerne helfe ich aus, zumal wir bemerkt haben, dass es uns zwei beide aus demselben Abiturjahrgang aus derselben mittelgroßen, deutschen Bundesstadt in die weißrussische Hauptstadt verschlagen hat. Das verbindet. Und außerdem ist die Dame mit ihrem Göttergatten auf Heimaturlaub, so dass ich auf eine Mitfahrgelegenheit für zahlreiche in Küche und Haushalt vermisste Utensilien und Zutaten hoffen kann.

Solchermaßen motiviert, mache ich mich auf den Weg in den Supermarkt, um die letzten Zutaten für das heutige Abendessen zu besorgen, das ich gegen 19.00 Uhr meinem eigenen Gatten zu servieren gedenke, denn auch das gehört schließlich zu meinen patriotischen Verpflichtungen. Wofür ich übrigens, das möchte ich nicht verschweigen, ein „Nadelgeld“ (sic!) erhalte. Für’s Vaterland.

Was für ein schöner Tag! Morgen ist wieder ein normaler Arbeitstag. Ich freue mich auf meinen Schreibtisch.

Lange Nacht der Museen

In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai gibt es auch in Minsk die Lange Nacht der Museen. Erstaunlich, dass sich ausgerechnet auf der offiziellen Seite der belarussischen Museen kein Hinweis auf die Veranstaltung findet, das Programm kann man aber verschiedenen Infoseiten im Internet entnehmen, z.B. hier.

Der Große Vaterländische Krieg II: 8. Mai

Ich habe selten einen so traurig-bewegten Nachmittag erlebt wie heute. Und das, obwohl ich mich in den letzten sechs Monaten schon richtig an die russischen Schlager gewöhnt habe. Beim Kochen, auf der Eisbahn oder im Autor machen sie durchaus gute Laune. Nicht so heute, obwohl genau das wohl die Absicht war.

Wir waren beim „Festakt“ und „Feiertags-Konzert“ im Palast der Republik anlässlich der Eröffnung der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges am 9. Mai. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob es daran liegt, dass wir nun mal die Deutschen sind. Sicher, das spielt eine Rolle, wohl habe ich mich nicht in meiner Haut gefühlt. Aber das war es nicht allein, mal ganz abgesehen davon, dass Russen, Weißrussen, Chinesen und alle anderen einem ohnehin unbekümmert zum Feiertag gratulieren.

Nein, vielmehr war es die Anstrengung der Belarussen, um jeden Preis und ausschließlich ein Fest aus dem Sieg zu machen. Was er zweifellos war; aber eben nicht nur. Kein Wort von den Opfern unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung oder der deutschen Vernichtungspolitik, keine Rede von den verbrannten Dörfern und den ermordeten Juden.

Das gehört nicht in ein „feierliches Konzert“, aber ist dieses Format der Erinnerung überhaupt angemessen? Ja, vielleicht, und wenn es auch nur für die (noch immer) zahlreich anwesenden Veteranen so ist. Und doch: Wie fühlen gerade diese Menschen sich, die den Krieg erlebt haben, die dabei waren, die selbst gekämpft und gelitten haben? Ist es allein die Würdigung in diesen Tagen oder ist es nicht doch auch die bittere Erkenntnis, dass sich nicht wirklich jemand für den Krieg interessiert? Interessiert, indem nachgefragt, diskutiert und aufgearbeitet wird.

Sieht man von den wenigen Initiativen jenseits der staatlich organisierten Erinnerung ab, wie z.B. der Geschichtswerkstatt, dann gibt es eine ernsthafte, ehrliche und schonungslose Auseinandersetzung mit dem Krieg in Belarus bis heute nicht. Es müsste – neben der nationalsozialistischen Ideologie der „Untermenschen“, der Ausrottung der Juden, die einen großen Teil der Bevölkerung von Belarus vor dem Krieg ausmachten, von den Konzentrationslagern und der Zwangsarbeit – die Rede sein von den ersten Jahren der Sowjetunion mit Kollektivierung und Industrialisierung, von den „Säuberungen“ in der Armee und dem Großen Terror gegen die Bevölkerung, von der menschenverachtenden Kriegführung Stalins, von der Behandlung der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion nach dem Krieg, von der Angst der Bevölkerung vor den Partisanen und der Glorifizierung des „Volkssieges“. Von all dem herrscht weitest gehend Schweigen.

Stattdessen singen Stars und Sternchen jedes Jahr dieselben, alt bekannten sowjetischen Kampflieder, danken Kinder ihren Großeltern für ihren Heldenmut und tanzen die Partisanen im Wald in der Vorfreude des Sieges. All das vor dem Hintergrund einer Rede des Verteidigungsministers, der die historische Linie von der Entscheidung Belarus’, im Verbund der Sowjetunion gegen den „Faschismus“ zu kämpfen zu der Wahl Lukaschenkos 1994 und den letzten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 zieht. Vielleicht bin ich allein mit diesem Gefühl, aber ich hatte Mitgefühl mit den Veteranen, die noch immer instrumentalisiert werden, und mit den vielen Menschen in Belarus, die sich schon lange nicht mehr allein über den Krieg definieren. Als ich nach dem Konzert auf dem Boulevard im Stadtzentrum in der Maisonne zwischen jungen und alten Belarussen nach Hause ging, fühlte ich mich ihnen ganz nah – am Tag des historischen Sieges über das nationalsozialistische Deutschland, wie sie nach neuen Anknüpfungspunkten in ihrer Geschichte, Sprache und Kultur suchen, ohne sie bisher wirklich gefunden zu haben.

Chatyn: Museum

Der erste Raum des Museums.

Das 2004 am Eingang der Gedenkstätte an die verbrannten Dörfer in Chatyn, 30 km nördlich von Minsk, eröffnete, freilich sehr kleine Museum soll dem Besucher die historischen Informationen vermitteln, die er benötigt, um die vielschichtige Gedenklandschaft im Außengelände zu verstehen. Dies gelingt nur bedingt. Zwar sind die Gestaltung und einige Elemente durchaus modern: So werden, wie bisher nur in wenigen weißrussischen Museen, im ersten Saal mit Fotos und Dokumenten auf die Vorgeschichte des Überfalls auf die Sowjetunion verwiesen und andere Kriegsschauplätze erwähnt. Texte zur Einordnung oder Erklärung fehlen jedoch in der gesamten Ausstellung.

Der zweite Raum ist den Ereignissen in Chatyn und der Erinnerung durch die wenigen Überlebenden gewidmet. Hier findet der Besucher Kopien von Archivdokumenten, leider aber wiederum ohne Quellenverweis und Hintergrundinformation. Wer also kein historisches Vorwissen hat, wird hier keine verwertbaren Informationen finden.

Leider fehlen überall Objektbeschriftungen und erklärende Texte.

Im dritten Raum ist die Geschichte des Gedenkens am Ort in Chatyn dokumentiert. Gerne wüsste man, aus welchem Jahr das Foto mit den provisorischen Grabkreuzen am Ort des Schreckens stammt. Auch den Fotos zum Wettbewerb für die Gedenkstätte in den 60er Jahren kann man nicht entnehmen, wer sich mit welchen Entwürfen daran beteiligt hat. Eine unkommentierte Biographie des Ersten Parteisekretärs in Belarus, Petr Mascherow (1918-1980), weist auf die Diskussionen hin, die es um den Entwurf Leonid Lewins gegeben hat, dies aber auch nur dann, wenn man es schon weiß.

Insgesamt ein wichtiger Museumsstandort mit guten Absichten, jedoch noch mit viel Nachholbedarf.

Chatyn: Gedenkstätte

Übersichtsplan der Gedenkstätte

Es ist einer der ersten Frühlingstage in Belarus. Die Bäume sind zartgrün, Blumen blühen, die Vögel zwitschern. Wir wandern durch eines der zahlreichen weißrussischen Dörfer. Hier ist die Hofstelle der Novockijs (Navickis)  mit ihren sieben Kindern. Bei den Rudaks nebenan sind es drei, bei den Jackevichs sechs, der jüngste gerade mal sieben Wochen alt. In die Geräusche und Gedanken dieses stillen Nachmittags mischt sich immer wieder das zugleich friedliche wie irritierende Klingen der Glocken. Alle 30 Sekunden. Von jeder Hofstelle. Sie alle sind seit langem verwaist, ihre Bewohner im Krieg von den Deutschen umgebracht. Wir sind in Chatyn.

Chatyn ist einer der eindrucksvollsten Gedenkorte in Belarus. Ca. 30 km nördlich von Minsk gelegen, ist es zum Symbol für die im Zweiten Weltkrieg  zerstörten Dörfer in Weißrussland geworden. Im Frühjahr 1943 zerstörten Angehörige der deutschen Besatzungsarmee das Dorf in Folge eines Gefechts mit den Partisanen. Die Deutschen sperrten die Einwohner in eine Scheune und verbrannten diese mitsamt den Dorfbewohnern. Allein der Schmied Josef Kaminski und drei Kinder überlebten das Massaker.

Der Friedhof der Dörfer.

Die 1969 eingeweihte, von Leonid Lewin konzipierte Gedenkstätte setzt sich aus mehreren Elementen zusammen: Im Zentrum steht die überlebensgroße Figur des Schmieds Kaminskij, der seinen toten Sohn auf den Armen trägt. Auf dem Friedhof der Dörfer wird der 186 verbrannten, nach dem Krieg nicht wieder aufgebauten Ortschaften mit Erde aus ihrem Gebiet gedacht. Den insgesamt 9.200 zerstörten, aber wieder aufgebauten Dörfern ist ein gesondertes Denkmal gewidmet. Ein ewiges Feuer erinnert an die 2,2 Millionen Menschen, die Weißrussland im Krieg verloren hat, das ist jeder vierte Einwohner. An einer Betonwand befinden sich einzelne Gedenkstellen für die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager auf weißrussischem Gebiet. Die ehemaligen Hofstellen werden durch Betonplatten mit Schornsteinen symbolisiert, an denen eine Gedenktafel namentlich an ihre ehemaligen Bewohner erinnert.

Die Anlage ist eine Ausnahme in der Gedenklandschaft der ehemaligen Sowjetunion. Nicht Heldenmut und Verteidigung stehen hier im Vordergrund, sondern individuelles menschliches Leiden. So war es auch Ende der 60er Jahre keineswegs selbstverständlich, die Pläne der Wettbewerbsgewinner realisieren zu können.

Dass die Gedenkstätte gerade in Chatyn, und nicht in einem der anderen zerstörten Dörfer, errichtet wurde, hängt auch mit der Namensähnlichkeit zu dem in Russlang gelegenen Katyn zusammen, dem Ort, an dem 1940 mehrere tausend polnische Offiziere von sowjetischen Truppen des NKWD ermordet wurden. Auf diese Weise wollte man bewusst Verwirrung stiften und von den eigenen Verbrechen ablenken.

Die Internetseite der Gedenkstätte bietet auch in deutscher Sprache Hintergrundinformationen und viele Fotos.

Sanja

Nicht mehr ganz aktuell, aber noch immer kurios ist die Geschichte des Songs „Sanja ostanetsja s nami“ (Sanja bleibt bei uns). Das von der Minsker Band Rockerjocker komponierte Lied ist durch die zeitliche Nähe seiner Entstehung zu den Präsidentschaftswahlen 2010 zu großer Popularität gekommen. Von den Musikern ursprünglich als Spaß, allenfalls als Provokation erdacht, ergriff das Bildungsministerium in Belarus die Chance und sorgte dafür, dass der Song häufig und zur Prime-Time in allen Radio-Sendern gespielt wurde. Ob das wirklich stimmt, ist umstritten. Zu verlockend war der scheinbare Bezug vom Kosenamen Sanja für Alexander zu Alexander Lukaschenko, zu schön die im Song besungene heile Welt der sauberen Straßen und der verlässlichen öffentlichen Verkehrsmittel. Alles in allem eine echt weißrussische Geschichte.

 

Auf diplomatischem Parkett

Neulich bei einem Empfang in einer Botschaft eines befreundeten Nachbarlandes. Anlass war der Tag der Streitkräfte. Wenn also das Publikum bei den Veranstaltungen des diplomatischen Korps sowieso schon getrost als konservativ bezeichnet werden kann, dann gilt das bei den Events der Militärattachéstäbe umso mehr. Diesem Befund entspricht die Gepflogenheit, dass Damen und Herren den Abend mehr oder weniger getrennt verbringen, um nur gelegentlich beim Flanieren aufeinander zu treffen und auf das Wohl des Gastgebers und seiner Streitkräfte anzustoßen.

Die vertrauten Gespräche der Damen erhielten Anregung, als sich im Laufe des Abends die Gattin des Botschafters dazu gesellte. Elegant gekleidet, mittleren Alters, edles Parfum. Im Plauderton ließ sie wissen, wie sehr sie es begrüße, dass die Damen der Militärattachés jüngst Gelegenheit hatten, sich anlässlich eines Nachmittagskaffees auf Einladung der Gattin des deutschen Attachés auszutauschen. Solche kulturellen Gesellschaften seien gar nicht zu überschätzen, – eine Bemerkung, die sie mit einem charmanten Lächeln und dem Ausdruck unerschütterlicher Überzeugung allseitiger Zustimmung begleitete. Schließlich sei unser Gastgeberland diesbezüglich noch ein wenig hinter dem Mond, nur einer der Gründe, warum sie regelmäßig in die eigene Heimatmetropole reise. Nur auf diese Weise könne man verhindern, den Anschluss an Stil und Form Europas zu verlieren. Wie recht sie hat! Ich muss unbedingt mal wieder nach Kiew fahren.

Reitsportzentrum Ratomka

Eine der Reithallen in Ratomka, weitere sind im Bau.

Zugegeben, nicht für jedermann ist Reiten auch Kultur und damit ein Thema für diesen Blog. Nicht so bei mir: Ich kann nicht anders, als den Reitsport, zumal die hohe Kunst der Dressur, als Kultur zu sehen. Und so habe ich mich am letzten Wochenende aufgemacht zu einem Qualifikationsturnier der Junioren im nationalen Reitsportzentrum Ratomka.

Hier schlägt das Herz des Reitsports in Belarus, hier ist der Sitz der FEI Belarus und hier befindet sich eine der drei großen, professionellen staatlichen Anlagen des Landes. In der Tat ist alles funktional auf das Training von mehr als 400 Pferden und ihren Reitern ausgerichtet. Es gibt mehrere Hallen, deren Belegung akribisch organisiert ist, eine ganze Phalanx von Trainern verschiedener Klasse für Dressur, Springen, Vielseitigkeit und den reiterlichen Anteil im Modernen Fünfkampf.

Getragen wird das Unternehmen vom Staat, er lässt hier den Nachwuchs und die Nationalmannschaften ausbilden und trainieren. Zu diesem Zweck sind eine Tierklinik und das nationale Gestüt angegliedert, die belarussische Trakehner hervorbringt. Dass dies nicht das Zuchtniveau ist, das man sich wünscht, darüber sind sich Trainer, Funktionäre und Reiter einig und so findet man auch hier zahlreiche Hannoveraner, Oldenburger und andere deutsche Warmblüter. International erfolgreich im Dressursport war bisher nur Iryna Lis für Belarus.

Das Außengelände in Ratomka, leider mit tiefem Sandboden.

Ganz allmählich löst sich der Reitsport aus der staatlichen Anbindung bzw. baut eine parallele Struktur auf. Private Anlagen entstehen, Sponsoren engagieren sich für den Sport. Von Breitensport kann hier, wie zum Beispiel auch in Russland, keine Rede sein. Was zu sowjetischen Zeiten fast ausschließlich im Rahmen nationaler Sportförderung existierte, ist heute ein Sport für die Reichen und noch immer vergleichsweise weniger Profis.

Totengedenken

Heute ruht der Alltag in Belarus zugunsten der Toten. Radunica/Radonica , wie der heutige religiöse Feiertag heißt, ist im slawischen, insbesondere dem russischen Kulturraum dem ersten Totengedenken, am 9. Tag nach den Osterfeierlichkeiten, gewidmet. Die russisch-orthodoxe Kirche unterstützt diesen Feiertag, der jedoch auch auf heidnische Traditionen zurückgeht.

Es ist Brauch, an diesem Tag zu den Gräbern auf den Friedhöfen zu fahren und den Sieg des Lebens über den Tod zu feiern. Viele Angehörige begehen diesen Tag mit zum Teil ausgelassenen Festen auf den Friedhöfen, wiederum zum Befremden derjenigen, die die stille Trauer vorziehen.

Radunica ist ein arbeitsfreier, wenngleich auch kein staatlicher Feiertag. Die öffentlichen Verkehrsmittel zu den Friedhöfen, die oft weit außerhalb der Städte liegen, fahren in verstärktem Aufkommen und auch die Polizei ist zu höherer Wachsamkeit aufgerufen.

Neues vom Museumsviertel Minsk

Seit längerem bereits ist rund um den Standort des Nationalen Kunstmuseums (Leninstraße 22/Kirovstraße 25) ein Museumsviertel geplant. Nun meldet der „Minsker Kurier“ (29.4.2011) neue Aktivitäten zu dessen Realisierung, die bis 2017 abgeschlossen sein sollen.

In den Gebäuden wurden nach dem Krieg Bewohner der Stadt untergebracht. Derzeit sind dort Büros des Museumspersonals untergebracht. Für Ausstellungszwecke sind die Bereiche eher ungeeignet. Durch Umbau- und Restaurierungsmaßnahmen in der Kirovstraße sollen die Räume als Depot und Bibliothek nutzbar gemacht werden. Die schon jetzt dort befindlichen Gästezimmer für das Museum sollen erhalten bleiben. Das Gebäude erhält eine neue Etage, die nach derzeitigem Planungsstand einem Kunstatelier für Kinder überlassen werden soll. Bisher für die Administration genutzte Räume in der Leninstraße sollen dann als Ausstellungsbereich zur Verfügung stehen.

Das neue Museumsquartel. Quelle: http://mk.by/ (29.4.2011)

Speziell für den Ausbau zu einem Museumsquartal erhält das Museum zusätzlich das Gebäude des ehemaligen Wohnhauses der Staatlichen Belarussischen Universität in der Karl-Marx-Straße 24, das perspektivisch die nationale Kunst von Belarus sowie ein Café und einen Museumsshop beherbergen soll. Im Café plant der Direktor des Museums, Vladimir Prokopcov, eine zusätzliche Fläche für Sonderausstellungen von Werken sowohl professioneller Künstler als auch von Studenten. Während es tagsüber nur den Besuchern des Museums offen stehen soll, wird es abends von der Straße aus öffentlich zugänglich sein.

Alle Gebäude des zukünftigen Kulturstandortes sollen untereinander verbunden sein und im Innern einen gemeinsamen Hof bilden, der als Ort der Begegnung und Kommunikation geplant ist. 2012 starten die ersten Baumaßnahmen, die abschnittsweise fertig gestellt werden sollen. Als Vorbilder für das, zumal in Zeiten akuter Devisenknappheit wahrlich ambitionierte Projekt werden Wien, Berlin und Amsterdam genannt.

Kulturoffensive

Gemäß verschiedener Präsidialbeschlüsse, zuletzt von September und Oktober 2010, ist eine umfassende strukturelle Erweiterung des Museumsbereichs in Minsk vorgesehen. Neben der bereits begonnenen Neukonzeption des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, ist die Konzeption und Realisierung eines Zentrums für Zeitgenössische Kunst geplant sowie ein Museumsviertel um das Nationale Kunstmuseum.

Die genannten Vorhaben sind im Kontext mit dem staatlichen Programm zur Förderung der „Kultur Belarus“ für die Jahre 2011-2015 zu sehen. Während die Planungen für das neue militärhistorische Museum schon seit zwei Jahren laufen, befinden sich die Projekte rund um das Museumsquartal in der Grobplanung durch das Kulturministerium, zusammen mit städtischen Behörden. Ein konkretes Gebäude ist bereits ebenso vorgesehen wie die finanzielle Unterstützung des Sponsors Priorbank.

Sowohl der Umfang als auch die Komplexität der einzelnen Teilprojekte zeigen, dass der Kultur, und speziell der Museumslandschaft, in der Strategie der belarussischen Politik eine bedeutende Rolle zukommt. Dies ist zum einen an dem vorgesehenen erheblichen finanziellen Volumen erkennbar, zum anderen an der Benennung der Zielgruppen. Die Projekte richten sich, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, an die belarussische Gesellschaft, insbesondere Jugendliche, sowie die internationale Öffentlichkeit. Damit verbunden ist das nach innen gerichtete Ziel, die eigene kulturelle Identität zu stärken sowie die nach außen orientierte Absicht, über die Verbreitung der weißrussischen Kunst, Kultur und Geschichte den Anschluss an die europäische Kultur- und Erinnerungslandschaft auszubauen.

Minsk in alten Postkarten

Diese alte Postkarte zeigt das Hotel „Europa“. Quelle: Website des MK.

Auf der Website der Tageszeitung „Minsker Kurier“ werden 130 historische Fotografien bzw. Postkarten von Minsk bereitgestellt. Nicht alle sind von gleicher Qualität, einiges wiederholt sich, aber das Durchblättern ist eine Zeitreise an vertraute Plätze der Stadt. Schade nur, dass es weder Datierungen noch genaue Ortsangaben gibt.

Darüber hinaus lohnt ein Blick in die Rubrik „Geschichte“ der Zeitung, die interessante, kuriose und überraschende historische Begebenheiten aufgreift.