Erinnerung und Gedächtnis

Militärfriedhof in Grodno

Etwas abseits vom Zentrum der Stadt an der Belusha-Straße befindet sich ein großer Friedhof, dessen Ursprünge ins 19. Jh. zurückreichen. Heute ist der Ort mehr eine Kriegsgräberstätte.

Diese ist insofern bemerkenswert als sie Gräber von Soldaten des Ersten Weltkrieges, von Soldaten der Polnischen Armee 1918 bis 1939, sowjetischer Soldaten, die zwischen 1933 und 1944 ums Leben kamen, sowie deutscher und sowjetischer Kriegsgefangener des Zweiten Weltkrieges vereint.

Außerdem erinnert ein Denkmal an die Opfer von Katyn 1940, was durchaus sehr selten zu finden ist. Erwähnenswert ist zudem eine Kapelle für Alexander Russau (1834-1896), einen Generalmajor der Russischen Armee und Friedensrichter im Grodnoer Gebiet.

Denkmal für Kalinowski in Minsk?

Foto: http://virtual.brest.by/news19568.php

An ihm scheiden sich die Geister der nationalen Erinnerung, es geht schon los mit der Schreibweise. Kastus Kalinouski oder Konstantin Kalinowski … Gemeint ist der polnische Adlige und führende Kopf der belarussischen Nationalbewegung im 19. Jh. 1863/64 war er der Anführer des Aufstandes im Gebiet des früheren Großfürstentums Litauen gegen die Russen.

Und da fangen auch schon die Probleme an. Die einen wollen ihm ein Denkmal für die belarussische Identität setzen, die anderen wollen dies aus eben diesem Grund nicht. Nun hat die (oppostionelle) Jugendorganisation Alternatyva Unterschriften für ein solches Denkmal gesammelt (BelaPan 15.4.2013). Die Aktion läuft noch bis zum Sommer und die Initiaroren gehen von einer gropßen Zustimmung aus. Beteilitgt haben sich auch Persönlichkeiten wie Uladzimir Padhol, Uladzimir Arlow, Nina Bahinskaya, Syarhey Sys, Anastasiya Dashkevich (Palazhanka), and Andrey Dzmitryyew.

Die Petition soll sodann dem zustänidgen Behörden, darunter das Minsker Exekutivkomitee und das Kulturministerium, übergeben werden. Auf eine Absage aufgrund fehlenden Geldes ist Alternatyva vorbereitet und selbst bereit, eine Sponsorenkampagne zu starten. Doch auch wenn der Antrag vollstänidg abgelehnt werden sollte, so ein Sprecher von Alternatyva, ist die Kampagne schon deshalb sinnvoll, weil viele Menschen davon erfahren. Vor Jahren war eine ähnliche Initiative gescheitert, die eine Straße in Minsk nach Vassilij Bykov benennen sollte. Dies wurde abgelehnt, hat aber viele Einwohner von Minsk überhaupt dazu gebracht, über die Frage nachzudenken, waum die Behörden das verweigert haben.

Bagration-Museum in Vokovysk

Dort, wo Petr Bagration im Juni 1812 das Stabquartier der Zweiten Russischen Armee unter seinem Kommando einrichtete, gibt es ein kleines Museum, dessen Dauerausstellung sich außer der Geschichte des Ortes den Kriegsereignissen 1812 widmet. Das ehemalige Herrenhaus ist liebevoll restauriert und mit zeitgenössischen Möbeln ausgestattet worden. Vor dem Eingang steht eine eindrucksvolle Büste des Bildhauers Azgur von Petr Bagration.

Der Reaktion des Personals auf unseren Besuch etwa eine Stunde vor Schließung nach zu urteilen, hat das Museum nicht viele Besucher. Was aber sehr schade ist, denn es verbindet den Charme eines mit viel Liebe zum Detail eingerichteten, allerdings auch seit langem nicht überarbeiteten Heimatsmuseums mit einer durchaus bemerkenswerten Ausstellung über den Kampf gegen Napoleon.

Exponate sächsischen Ursprungs.

Zwar ist auch diese Ausstellung veraltet, aber sie hat eindrücksvolle Exponate zu bieten, datunter die „Kriegsgalerie des Jahres 1812“, ein im Jahre 1912 in Russland herausgegebenes Buch zum Gedenken an den Vaterländischen Krieg. Etwas ins Grübeln kommt man bei den vielen Exponaten aus Sachsen des frühesn 19. Jh. z.B. einem Kürassiererhelm oder einer Trommel. Den Objektangaben zufolge, sind sie sämtlich aus St. Petersburg nach Volkovysk gekommen, also keineswegs vor Ort gefunden und geborgen. Der außerordentlich gute Zustand wirft die Frage auf, ob die Objekte nicht zu einem weitaus spätereren Zeitpunkt aus dem Sächsichen Militärmuseum nach Petersburg gelangt sind.

Die übrigens erstaunlich informative und morderne Website des Museums gibt darüber leider keinen Aufschluss.

Eine militärische Kirche

Foto: http://www.radzima.org/ru/foto/24879.html

Diese Alexander Nevskij-Kirche ist eines der wenigen Bauten in Minsk, die sich im ursprünglichen Zustand erhalten haben und hat zudem eine interessante Geschichte. Sie wurde zwischen 1896 und 1898 von dem Architekten Vasilij Strujev erbaut in dem für ihn typischen Stil des russischen Barock erbaut. Das Gebäude auf dem Militärfriedhof in Minsk ist ein Denkmal für die Soldaten, die im russisch-türkischen Krieg 1877-1878 ums Leben gekommen waren. Das Projekt galt als erfolgreich und viele Kirchen von Strujev entstanden im selben Stil in vielen Teilen des Landes. Strujev war auch der Architekt des ersten Minsker Museums, des Kirchlich-archäologischen Museums, das 1913 eröffnet wurde.

Im Innern der Kirche sind auf den Säulen Marmorplatten angebracht, auf denen die Namen der 118 in Bulgarien gefallenen Soldaten des Kolomensker Regimentes und der Artilleriebrigade zu lesen sind. Außerdem wird hier das Regimentsbanner aufbewahrt und es gibt verschiedene Gräber für Offiziere und einfache Soldaten. Darüber hinaus findet man ein kleines Kirchenmodell, dass das Regiment im Krieg mit sich geführt hat. Zwischen 1938 und 1942 war die Kirche, wie alle anderen Kirchen auch, geschlossen. Die Bombadierung zu Anfang des Krieges zerstörte die Kuppel. Heute sieht man sie in renoviertem Zustand. Viermal im Jahr finden Gedenkgottesdienste für die Soldaten statt.

Vorbereitungen auf den Jahrestag der Befreiung 2014

Seit kurzem gibt es ein offizielles Komitee, das sich mit den Vorbereitungen der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung von den nationalsozialistischen Besatzern 1944 befasst (BelaPan 21.5.2013). Vorsitzender des Komitees ist der Premierminister Michail Mjasnikovich, weitere Mitglieder sind Regierungsbeamte, Journalisten, Vertreter der Veteranenorganisationen (auch Afghanistan!), die Armee, verschiedene Berufsverbände u.a.

Außer um die Planung von Veranstaltungen geht es auch um die Verbesserung des Lebensstandards der Veteranen, die Verbreitung des Patriotismus [sic!] und die Instandsetzung von Denkmälern. Schon lange ist ja die pünktliche Eröffnung des neuen Museums zum Großen Vaterländischen Krieg angeordnet und, weil das offenbar nicht klappt, der Direktor gerade gefeuert worden. Es bleibt abzuwarten, ob der neue Direktor (ein pensionierter General aus der Truppe, ohne Museumserfahrung, versteht sich) dieser Herausforderung gewachsen sein wird. Noch ist der alte Direktor Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates und zieht den einen oder anderen Faden. Aber er steht schwer unter Beschuss von Seiten des Kulturministeriums und der Regierung und es ist fraglich, wie lange das noch so weiter geht. Erste Gerüchte streuen bereits Zweifel am Eröffnungstermin im kommenden Juli.

Das sowjetische Minsk

Foto: http://www.spiegel.de/fotostrecke/widerstand-in-weissrussland-schule-im-untergrund-fotostrecke-92495.html

Im November 2012 veröffentlichte das Stadtmagazin WHERE MINSK eine Übersicht über die noch heute nach kommunistischen Führern oder entsprechenden historischen Ereignissen benannten Orte in Minsk. Demnach gibt es noch ganze 16 Lenindenkmale in Minsk, 40 Straßen sind nach Lenin, Marx, der Pariser Kommune und anderen kommunistischen Helden(-taten) benannt, 3 Firmen bzw. Geschäfte führen die Namen „Kommintern“, „Kommunarka“ und „Roter Lebensmittelverkäufer“ [sic!], 4 Durchhalteparolen an der Metro Oktrjabrskaja sind noch immer in Stein gemeißelt zu bewundern und 4 Zeitungen heißen „Roter Oktober“, „Oktoberweg“, „Licht des Oktober“ und „Flagge des Oktober“. Straßen mit religiösen Namen und Bezeichnungen gibt es dagegen keine einzige, nachdem die „Lutherstraße“ 1966 umbenannt wurde.

Auch wenn viele Betrachter von außen diese Seite der Vergangenheit deutlich in Politik und Gesellschaft auszumachen meinen, so spielt sie für die belarussischen Marketing- und Tourismusexperten keine Rolle. Für die Marke Minsk, über die sich derzeit alle hier den Kopf zerbrechen, gelten andere Bezugspunkte. Beauftragt mit der Markenbildung wurde ausgerechnet eine britische Firma, die bereits Ergebnisse vorgelegt hat. Folgt man dem Reiseführer Lonely Planet, so hätte man durchaus auch den Kommunismus zur Markenbildung heranziehen können: Seine Autoren bezeichnen die Stadt als „Kommunismus mit Cappuchinogeschmack“, wie MINSK WHERE treffend zitiert.

Kurapaty

Im Sonnenlicht des Frühlings wirkt der Ort fast friedlich, wären nicht die vielen Kreuze, die den Weg säumen und überall im Wald daran erinnern, was hier geschehen ist. Und die vier Speznac-Leute, die an beiden Zugängen zum Gelände demonstrativ beobachten, wer sich für diesen Teil der belarussischen Geschichte interessiert. Zwischen 1937 und 1941 haben hier nördlich von Minsk Massenerschießungen im Rahmen der „Großen Säuberung“ durch den sowjetischen Geheimdienst stattgefunden. Erste Funde von Leichenteilen wurden in Kurapaty bereits in den 60er Jahren gefunden, die Opfer wurden den nationalsozialistischen Besatzern zugeschrieben. Eine Diskussion kam erst auf, als Archäologen der Akademie der Wissenschaften 1998 erneut bei Ausgrabungen menschliche Überreste fanden und ihre Erkenntnisse erstmals publizierten.

Auf dem ca. 30 ha großen Gelände, das heute durch die Autobahn zertrennt wird, wurden 510 Massengräber entdeckt, in denen menschliche Überreste von Belarussen, Polen, Litauern sowie Juden liegen. Die Angaben zu den Opfern bewegen sich zwischen 30.000 und 250.000. Solange die Dokumente nicht freigegeben werden, besteht keine Möglichkeit, die Toten zu identifizieren. Namen sind nicht bekannt. Neben den Knochenfunden sind auch Patronen, Patronenhülsen, und diverse persönliche Gegenstände (Brillengestelle, Zahnbürsten, Hüllen, Brieftaschen, Geschirr, Schuhe und Handschuhe) ausgegraben worden. Sie befinden sich heute größtenteils in der Akademie der Wissenschaften, einige Funde werden auch im Nationalen Historischen Museum aufgewahrt, wohin sie zu einer Expertise gebracht worden waren.

Die Erinnerung an die Repressionen, Massenverhaftungen, Erschießungen und Deportationen in den 30er Jahren sind noch immer kein offizieller Gegenstand der historischen Forschung. Nur wenige Historiker bleiben hartnäckig an dem Thema dran, wie z.B. Igor Kuznecov. Bis 1938 wurden etwa drei Millionen Menschen verhaftet, davon sind ca. eine Millionen durch Erschießungen ums Leben gekommen, teils in sog. „Exekutionslagern“. Eines davon war Kurapaty. Kurapaty ist nicht die einzige solcher Erschießungsstätten, heute weiß man von fünf bis 10 in Minsk und weiteren mindestens 40 Orten in Belarus.

Nach den Funden 1988 wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das erste, das der Staat gegen seine Sicherheitsorgane jemals geführt hat. Es stellte sich heraus, dass die Opfer von sowjetischen Sicherheitsorganen ermordet worden waren. Beweise dafür sind die gefundenen Patronenhülsen, die von Revolvern des Typ „Nahan“ und „TT“ stammen, der Standardausrüstung des NKWD. Außerdem wurden Gefängnisquittungen gefunden und Dokumente mit Daten, aus denen geschlossen werden kann, dass die Erschießungen vor dem Krieg stattgefunden haben müssen.

Seit dieser ersten Untersuchung hat es vier weitere Grabungen und Untersuchungen gegeben durch die „Gesellschaftliche Kommission zur Untersuchung der Verbrechen in Kurapaty“ gegeben, 1991, 1992, 1993 und zuletzt 1998. Immer wieder wurde versucht, die Verbrechen den deutschen Besatzern anzuhängen. Auch die „polnische Spur“ verfolgt, also untersucht, ob sich unter den Opfern auch 3.000 polnische Offiziere befanden, die hier in Belarus erschossen worden sein sollen. Dies ist bis heute nicht aufgeklärt, ihre Spur verliert sich hier in Belarus. Mehr noch als die Behauptung, die Verbrechen seien von den Deutschen begangen worden, spaltet die Frage nach den polnischen Opfern des NKWD die Nation. Offiziell heißt es, wie auch immer wieder vom Präsidenten öffentlich bestätigt, dass keine polnischen Offiziere in Belarus erschossen worden seien. So äußerte sich Lukaschenko zuletzt auf der Jahrespressekonferenz am 15. Januar auf die Frage eines polnischen Journalisten. Demgegenüber behaupten Polen und einige Historiker in Belarus, dass im KGB-Archiv eine Liste existiere. Das Thema ist eines von vielen belarussisch-polnischen Streitpunkten. Gedenktafeln und Grabschmuck in Kurapaty, die sich auf polnische Opfer beziehen, werden regelmäßig entfernt oder verwüstet. Als ich in den Maifeiertagen dort war, lagen Blumen und Fahnen an einigen Kreuzen. Das wird wohl nicht lange so bleiben.

Rechtzeitig vor den Feiertagen hat das Kulturministerium ein Verbot für die Neuerrichtung jeglicher Erinnerungszeichen in Kurapaty (BelaPan 25.4.2013) erlassen. Damit soll insbesondere die Erinnerung an die polnischen Offiziere verhindert werden, so Kuznecov zu dem Verbot. Das ist ein Rückschritt hinter die bereits von gesellschaftlichen Gruppen erkämpfte Freiheit, Gedenksteine und Kreuze aufzustellen.

Platz der Staatsflagge und neuer Palast der Unabhängigkeit in Minsk

Foto: http://realt.onliner.by/2013/04/22/flag

Minsk bekommt einen neuen “Platz der Staatsflagge” sowie ein „Zentrum der Unabhängigkeit“ (BelaPan 7.5.2013). Gerüchte gab es schon lange, aber keiner wusste wirklich, was für ein riesiges Gebäude am Prospekt des Sieges in unmittelbarer Nähe zur Halle der BelExpo entsteht. Nun wissen wir es endlich.

Der Präsident ließ es sich dann auch nicht nehmen, nochmal darauf hinzuweisen, dass die aktuelle Staatsflagge durch ein Referendum 1995 vom Volk bestätigt worden sei. Auch er habe zunächst in seiner ersten Amtszeit die weiß-rot-weiße Flagge am Auto getragen. Nun komme die aktuelle Flagge noch stärker zur Geltung, im Rahmen eines neuen Unabhängigkeitszentrums für staatliche Veranstaltungen, Empfänge und Regierungsgespräche. Alle sollen sehen, so Lukaschenko, dass Belarus ein souveräner Staat und von außen nicht zu beeinflussen sei – die übliche Rhetorik.

1995 wurde tatsächlich die nach dem Ende der UdSSR vorübergehend gültige weiß-rot-weiße Flagge mit dem „Pahonja“-Emblem, die auf die historischen Bezüge des Großfürstentums Litauen, aber auch die Belarussische Volksrepublik von 1918 zurückgreift, durch die aktuelle rot-grüne Flagge mit nationalem Muster ersetzt. Sie unterscheidet sich von der früheren sowjetischen Fahne (der Jahre 1956 bis 1991) nur durch das Fehlen von Hammer und Sichel. Das Wappen (auf der weiß-rot-weißen Flagge das Pahonja-Emblem, ein schwertschwingender Reiter auf einem Pferd) ist heute ein Ährenkranz mit den Umrissen der Republik Belarus in der Mitte und einem roten Stern am oberen Rand. 75% sprachen sich für die neuen Symbole aus, allerdings hatten nur 65 % der Bevölkerung an der Abstimmung teilgenommen. Ende der 90er Jahre legte Lukschenko fest, dass der „Tag der Staatsembleme und der Flagge“ am zweiten Maisonntag begangen werden soll.

Vgl. dazu das Handbuch der Geschichte Weißrusslands, 2002.

Abbildungen finden sich hier.

Nachtrag zum 9. Mai

Der 68. Jahrestag des Kriegsendes verlief nach dem, so möchte man sagen, üblichen Muster ohne besondere Vorkommnisse ab. Im Vorfeld strahlten die staatlichen Fernsehsender die bekannten Kriegsfilme sowie einschlägige Dokumentationen aus. Zu sehen war u.a. ein Beitrag über das Konzentrationslager für Kinder in Krasny Bereg, Kreis Shlobin, wo sich eine Gedenkstätte von Leonid lewin befindet. Zu hören war immer wieder der Vorwurf der Geschichtsfälschung, auch an die deutsche Adresse. ONT verwies z.B. auf eine Umfrage, nach der 45 % der befragten Deutschen im Alter zwischen 29 und 50 Jahren nicht wissen, was am 8. Mai 1945 passiert ist. Positiv hervorgehoben wurde das Engagement des Vereins „Kontakte – Kontakty“, der sich seit Jahren für die Erinnerung an den deutsch-sowjetischen Krieg und das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen einsetzt. Eine Erwähnung des Deutsch-Russischen Museums, das vor kurzem eine neue Dauerausstellung eröffnet hat und von der Bundesregierung finanziert wird, gab es allerdings nicht. Bis in die belarussischen Medien hat es auch Kommissar Derrick geschafft – mit dem Hinweis, dass die Serie nicht mehr ausgetrahlt werden darf wegen der Mitgliedschaft des Schauspielers Horst Tappert in der SS. Problematisiert wurde die Frage der Mitgliedschaft und des persönlichen Schicksals dabei nicht.

Am Tag selber gab es zahlreiche Veranstaltungen, dieses Mal bei strahlendem Somemrwetter. Vormittags fand der traditionelle Marsch der Veteranen auf dem Prospekt Nesawissimosti vom Platz Oktjabrskaja bis zum Siegesplatz und die Kranzniederlegung am Siegesobelisken statt. Bemerkenswert war in diesem Jahr, dass der Präsident, außer von seinem Sohn Kolja, von dem ausw Belarus stammenden Astronauten Oleg Novickij begleitet wurde. Am Nachmittag gab es zahlreiche Volksfeste und Kulturprogramm, abends das große Feuerwerk. Außerdem wurden Teile der Innenstadt um die Karl-Marx-Straße zur Fußgängerzone erklärt, wo Schauspieler auftraten und andere Angebote gemacht wurden.

Was die Erinnerung an den Krieg berifft, betonte der Präsident nochmals deren Bedeutung für die heutige Generation. Sie sei viel wichtiger, als ihm persönlich ein Denkmal zu setzen, wovon er gar nichts halte, auch wenn er immer wieder und häufig dazu aufgefordert werde (mehrere Meldungen BelaPan 7.5.2013). Viel wichtiger sei das neue Museum des Großen Vaterländischen Krieges, das das „beste der Welt“ werde (und dessen Direktor er einen Tag zuvor entlassen hatte). Er habe dafür gesorgt, dass die Veteranen ihre Auszeichnungen tragen dürften, anders als die Nationalisten Anfang der 90er Jahre, dies dies hätten verhindern wollen.

Gleichzeitig wurden aber die Sonderzahlungen an die Veteranen zum Tag des Sieges ausgesetzt. Diese sollen erst im kommenden Jahr, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Minsk, ausgezahlt werden. Böse, wer denkt, dass dann wieder einige Veteranen verstorben sind, so dass der Staat das Geld einsparen kann. Ein Kriegsveteran erhält zur Zeit Zuschläge zu seiner Rente abhängig von seinen Auszeichnungen oder seinem Verwundungsgrad. Im Durchschnitt sind das zwischen 2.940.000 und 3.380.000 Rubel (= $ 339 und $ 390).

Aktuell leben noch 25.300 Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges in Belarus, im letzten Jahr waren es noch 30.500. 31.600 Überlebende von nationalsozialistischen Lagern, Ghettos und Gefängnissen gibt es noch im Lande. Diese und weitere Opfergruppen erhalten kostenlosen Gesundheitsversorgung, freie Fahrt im Nahverkehr und verschiedene andere Vergünstigungen.

Ein Denkmal für den Ersten Weltkrieg in Belarus

Foto: http://ais.by/story/891

Schon seit vielen Jahren planen der Bildhauer Vladimir Slobodchikov und der Kulturwissenschaftler Igor Morozov ein Denkmal zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Belarus. Es soll an einem der ehemaligen Kriegsschauplätze auf einer Anhöhe am „Kreuzungspunkt der Meridiane“ von weit her zu sehen sein, eine kugelförmige, begehbare Skulptur von 9m Durchmesser. Die Meridiane von Ost nach West und Nord nach Süd weisen auf Belarus als ein Zentrum heftiger Kämpfe in diesem Krieg hin. Die Kugel zeigt bei nährerer Betrachtung Reliefs deutscher und russischer Soldaten, von Gasangriffen und den Leiden der Zivilbevölkerung. Im Innern der Kugel soll die Skulptur einer Mutter mit ihrem Neugeborenen die Hoffnung auf den Frieden und Neuanfang darstellen.

Mit diesem, im Detail vielleicht überladenen, aber durchdachten Konzept ist dieser Denkmalsentwurf eine Ausnahme in der Skulpturenlandschaft von Belarus. So verwundert es auch nicht, dass der Entwurf kaum bekannt ist und wohl kaum Chancen auf Realisierung hat. Das wiederum hängt auch mit dem Thema des Ersten Weltkrieges zusammen. Einerseits ist er in den letzten Jahren wieder stärker in die offizielle und gesellschaftliche Erinnerung zurückgekehrt, insbesondere durch die Einweihung einer Kapelle auf einem Massengrab in Minsk. Von dem Historiker Anatolij Scharkow und Vjacheslav Selemenev stammt eine Broschüre mit dem Verzeichnis aller Soldatengräberanlagen zum Ersten Weltkrieg in Belarus, Vjacheslav Bondarenko stammt ein populärwissenschaftliches Werk zum Ersten Weltkrieg in Belarus und in privaten Händen findet sich eine eindrucksvolle Sammlung von Briefmarken und Postkarten zum Thema. Dennoch ist der Erste Weltkrieg, anders als der Große Vaterländische Krieg, nur durch wenige Denkmäler, Ausstellungen oder wissenschaftliche Bearbeitungen in der Öffentlichkeit wahrnehmbar.

Denkmäler für Minsk und Belarus

Neulich hat mich mein Kollege Vjacheslav Bondarenko mal wieder in eine seiner TV-Sendungen bei ONT „Offenes Format“ eingeladen. Es ging um Denkmäler. Mit gutem Willen kann man meine Kompetenz zu diesem Thema aus meinen kulturellen Interessen ableiten, mehr aber auch nicht. Und richtig: Vjacheslav bat mich ganz offen, an der Sendung teilzunehmen, um den belarussischen Gesprächspartnern zu demonstrieren, was eigentlich eine Talk-Show sei. Niemand begreife, dass es um einen schnellen und offensiven Meinungsaustausch handle, und nicht um eine gesittete Selbstdarstellung mit vorher abgesprochenen Texten. Auch dafür fühle ich mich eigentlich nicht kompetent, und schon gar nicht auf russisch, aber bitte, man hilft ja gerne. Kurz vorher wurde mir dann doch sehr mulmig, aber die erstaunlich vielen Rückmeldungen von Bekannten und Kollegen lassen vermuten, dass ich meine Aufgabe gemeistert habe. Apropos: Man wundert sich, wer diese Sendung alles guckt, angefangen von unserer Dezhurnaja über einige Nachbarn zu Hause bis hin zu meinen Kollegen aus der Uni.

Es sollte also um Denkmäler gehen – ganz allgemein: Für wen oder was werden sie aufgestellt? Wer hat die Initiative? Wer entscheidet darüber? Und wer bezahlt dafür? Letztlich ging es aber um den immer währenden belarussischen Diskurs: Woran wollen wir eigentlich erinnern? Hierzu gab es durchaus unterschiedliche Auffassungen bei meinen Gesprächspartnern, dem stellvertretenden Kulturminister, einem Bildhauer und dem Vertreter der russisch-freundlichen Organisation „Westbelarus“. Dieses Thema wiederum liegt mir viel näher und so habe ich mich so gut es eben ging engagiert und für eine offene und kontroverse Diskussion geworben.

Mir persönlich hat der Standpunkt von Michail Volodin gut gefallen, der seine kritischen Anmerkungen zum Denkmalswesen in Belarus im Studio vorgetragen hat mit der Kernthese, dass es so lange problematisch bleibt, wie allein der Staat darüber entscheidet. Ein sympathischer Standpunkt, der die ursprünglich gplanten Fragen zur Diskussion in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Planungen für Malyj Trostenec

Foto: http://www.my-minsk.ru/novosti-respubliki/7579-trostenec-kakim-budet-memorial-i-kak-belorusam-ne.html

Gleich im Anschluss an die Konferenz zu Chatyn fand am 23.3.2013 eine weitere „wissenschaftlich-praktische Konferenz“ in der IBB Minsk statt. Veranstaltet wurde sie von der IBB selbst sowie der Geschichtswerkstatt aus Anlass ihres 10-jährigen Bestehens. Thema waren die aktuellen Planungen für einen Gedenkort in Trostenec.

Kurz zur Erinnerung: Es handelt sich um das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Die Angaben zu den Opfern schwanken in deutschen und belarussischen Publikationen zwischen 50.000 und 206.500. Insgesamt geht es um drei historische Orte: Schaschkowa, wo ein Gedenkstein an die Verbrennung zahlreicher Opfer erinnert. Ein Friedhof in einiger Entfernung am Standort des ehemaligen Gutes Trostenec erinnert an die Mordaktionen kurz vor der Befreiung im Juli 1944. Schließlich der Wald von Blagowschtschina, in dem bis zu 150.000 Juden aus Belarus, Österreich und Deutschland ermordet wurden. Offiziell dient ein Obelisk als Erinnerungsort, dessen Standort aber mit dem historischen Geschehen nicht in Zusammenhang steht und auch keinen Aufschluss über die Ereignisse gibt.

Auf der Konferenz stellte erstmals die zuständige Architektin, Anna Aksenova, ihre im Auftrag der Stadt Minsk erarbeiteten Entwürfe vor. Ihre Gestaltungsideen beziehen sich auf zwei der insgesamt drei historischen Orte (ausgenommen ist die Blagowtschina) auf ca. 65 ha. Die von ihr vorgestellten Pläne lassen eine konservative Anlage mit ausgewiesenen Wegen vermuten, die sich nicht erkennbar auf diesen Ort bezieht oder ihn gar problematisiert. Positiv anzumerken ist, dass, sollte der Entwurf tatsächlich realisiert werden, die Stadt Minsk sich erstmals überhaupt mit diesem für das historische Gedenken so wichtigen Ort beschäftigt. Pessimistisch stimmt die bisher bereit gestellte Summe vom a. 100.000 €, die die kosten bei weitem nicht decken kann. Gerüchte besagen, dass die schon seit langem und immer wieder diskutierten Überlegungen zu Trostenec gerade jetzt wieder auf die Tagesordnung kommen, weil ursprünglich ein Besuch des israelischen Staatspräsidenten angesagt gewesen war. Kurzerhand hatte man die Blagowtschina mit einem Erdwall zugeschüttet, um den Ort unbegehbar zu machen. Nachdem der Staatsbesuch dann gar nicht stattgefunden hatte, wurde beschlossen, die Planungen nun voranzutreiben. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen, allein diese Gerüchteküche zeigt aber, wie schwer sich das Land noch immer mit dem Gedenken an überwiegend jüdische Opfer tut.

Es ist daher auch ein positives Signal, dass die Stadt Minsk offenbar einem Vorschlag von deutscher Seite zugestimmt hat, die Planung der Stadt durch einen zusätzlichen Entwurf des Architekten Leonid Lewin, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Belarus, ergänzen zu lassen. Dahinter steht eine Initiative der IBB Dortmund, zusammen mit der österreichischen Bürgerinitiative der Aktivistin Waltraud Barton, speziell der jüdischen Opfer, die in der Blagowtschina ums Leben gekommen sind, zu gedenken. Über die Realisierung dieser Idee gibt es durchaus Differenzen zwischen der deutschen und österreichischen Seite. Immerhin konnte der österreichische Bundespräsident für ein Engagement seines Landes in Trostenec gewonnen werden, der deutsche Bundespräsident wurde um Unterstützung des Vorhabens gebeten.

Der Entwurf von Lewin ist sehr viel konkreter und unmittelbarer auf den ort bezogen als der der Stadt Minsk, er bleibt dem Stil dieses Architekten mit einer Verbildlichung der zu erinnernden Ereignisse treu und arbeitet mit stilisierten Waggons, umgestürzten jüdischen Symbolen und einer Gruppe von Koffern, die die Reise in den Tod symbolisieren sollen. Ob es zur Realisierung des Entwurfs kommen wird, hängt von vielen Faktoren ab, darunter der bisher völlig offenen Finanzierung und der Frage, ob es nicht doch einen internationalen Wettbewerb geben muss.

Sollten beide Entwürfe tatsächlich umgesetzt werden, so wäre zwar dieser historische Ort als sichtbarer Erinnerungsort markiert, würde aber die nach wie vor geteilte Erinnerung an „friedliche sowjetische Bürger“ und Juden offenbaren. Darüber hinaus ist bisher weder an ein Leitsystem in dem sehr weitläufigen  Gelände gedacht noch an Informationstafeln, die darüber aufklären würden, an was hier erinnert wird. Schließlich bleibt anzumerken, dass die Ereignisse in der Blagowtschina vor 1941, also die Nutzung des Ortes als Erschießungsstätte des NKWD, in den bisherigen Überlegungen überhaupt nicht vorkommt. Dies ist freilich ein sehr schwieriges Thema, insbesondere, wenne s von deutscher Seite angesprochen wird. Aus wissenschaftlicher Perspektive bzw. im Sinne der historischen Aufarbeitung darf darüber aber nicht hinweggegangen werden.

Fotos zu den einzelnen Gedenkorten finden sich hier.

10 Jahre Geschichtswerkstatt

Foto: www.gwminsk.com

Der 22. März ist außer dem Gedenktag an die Vernichtung des Dorfes Chatyn auch der Gründungstag der Geschichtswerkstatt in Minsk. In diesem Jahr feiert die Geschichtswerkstatt ihr 10-jähriges Bestehen, das sie mit einem bunten Abend in der IBB Minsk beging. In über 3 Stunden Programm kamen, so möchte man meinen, alle zu Wort, die jemals mit der Geschichtswerkstatt zu tun hatten und haben: Zeitzeugen, Historiker, Studenten, Vertreter der Stadt Minsk, die freiwilligen Helfer in den Sozialprogrammen, Gäste aus dem Ausland (darunter die Vertreterin einer österreichischen Bürgerinitiative zum Gedenken an die Opfer von Maly Trostenec, ein ehemaliger deutscher Botschafter in Minsk und ich), die Vereins- und Vorstandsmitglieder der IBB Dortmund usw. Die Anwesenheit von über 200 Personen zeigte deutlich, welchen Platz die Geschichtswerkstatt in Minsk einnimmt und wie hoch ihre Arbeit geschätzt wird. Dies gilt vielleicht nicht immer für die offizielle Seite hier in Minsk, aber auch an diesem Abend haben mir wieder einmal viele der Zeitzeugen, Überlebenden und ihre Kinder versichert, welchen zentralen Platz die Geschichtswerkstatt in ihrem Leben einnimmt. Und wenn es auch im Hinblick auf die wissenschaftliche und Ausstellungstätigkeit der Geschichtswerkstatt sicher noch Entwicklungsmöglichkeiten gibt, so scheint mir das doch das allerwichtigste zu sein. Es ist gut, dass es diesen Ort gibt.

 

70 Jahre Chatyn

Foto: www.moov.by

In diesem Jahr jährte sich die Katastrophe von Chatyn zum 70. Mal. Aus diesem Anlass veranstalteten die Gedenkstätte und die Gesellschaftliche Vereinigung „Verständigung“ zusammen eine Konferenz. Als Mitglied des „Orgkomitees“, wir würden sagen Beirat, hatte ich die Gelegenheit, mal wieder hinter die Kulissen belarussischer Organisation zu schauen. Das Ergebnis war wunderbar, eine, wie ich finde, professionelle zweitätige Konferenz (20.-21.3.) in der IBB Minsk mit lebhaften Diskussionen. Der Titel der Konferenz lautete „Chatyn 1943-2013. Ereignis. Menschen. Erinnerung“ (bei heftigen Diskussionen, was denn unter den einzelnen Rubriken zu verstehen sei); mit meinem Vorschlag „Mythen und Fakten“ bin ich kläglich gescheitert und wurde belehrt, dass es keine Mythen geben kann, da man ja die Dokumente kenne und ein solcher Titel außerdem aus politischen Gründen undenkbar sei. Ergänzt wurde das Programm durch ein Konzert in der Minsker Philharmonie am 21.3. abends und einer Gedenkfeier in Chatyn am 22. März.

Der Weg dorthin war allerdings nicht ganz einfach, als Ausländer wird man die Einzelheiten wohl nie verstehen. Was uns kompliziert und umständlich erscheint, ist für die belarussischen Kollegen offenbar der Weg des geringsten Widerstandes und eben normal. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es wird ein großes Orgkomitee gegründet, an dem aber immer nur dieselben drei Leute teilnehmen, an denen natürlich auch die Arbeit hängen bleibt. Es ist trotz hartnäckiger Versuche nicht möglich herauszufinden, wie hoch oder niedrig genau das von der Gebietsverwaltung zugesagte Budget ist. Das Programm wird erst am letzten Tag gedruckt und an die Konferenzteilnehmer verteilt. Hochrangige Gäste sollen unbedingt eingeladen werden, werden aber nicht informiert, …..

Mein Beitrag bestand letztlich darin, die belarussischen Kollegen von einem waghalsigen Abenteuer zu überzeugen, die Konferenz in vier thematische Sektionen (alle nacheinander in einem Raum!) einzuteilen, aus den Vortragsangeboten die besten auszuwählen, diese thematisch zu gruppieren und letztlich alle Vortragenden einer Sektion auf dem Podium zu versammeln, das ganze zu moderieren und auf die Einhaltung der Zeiten zu achten. Eigentlich ganz normal. Das Experiment hat aber gut funktioniert, alle waren angetan und freuten sich wieder mal über die „deutsche Ordnung“. So verwirrend kann die gegenseitige Wahrnehmung sein.

Zum Abschluss der Konferenz wurde eine Resolution auf Russisch und Englisch verabschiedet. Das Thema der verbrannten Dörfer ist weiterhin aktuell, die Stiftung Mir betreibt verschiedene Projekte, darunter auch mit der russischen Organisation „Historische Erinnerung“ und dem deutschen Verein Kontakte, die die noch 9.5000 Überlebenden der verbrannten Dörfer betreuen. Die seit einiger Zeit in Arbeit befindliche Datenbank aller verbrannten Dörfer unter Einbeziehung von Archidokumenten und Erinnerungen haben die beiden Initiatoren, Natalja Kirillova und Vjacheslav Selemenev, kürzlich ins Netz gestellt.

Österreich und Belarus

Kürzlich stieß ich durch Zufall auf eine Publikation http://www.bmlv.gv.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php?id=439 des Österreichischen Bundesheers im Internet. Sie ist zwar schon älter (2008) und daher in einigen Beiträgen auch schon veraltet, enthält aber durchaus einige noch immer aktuelle Beobachtungen. Der Fundort (Verteidigungsministerium Österreich) ist insofern interessant, als kein Verteidigungsattaché aus Österreich in Minsk stationiert ist (Belarus wird von Moskau aus betreut). Ein deutscher Attaché ist zwar noch immer im Dienst, eine detaillierte Auseinandersetzung im deutschen Verteidigungsministerium mit dem Land und den aktuellen Problemen ist mir allerdings nicht bekannt.

Auch an anderer Stelle ist Österreich aktiv in Sachen Belarus: Ein privater Verein in Wien erinnert aktiv an die österreichischen Opfer, die im Vernichtungslager Malyj Trostenec ums Leben gekommen sind. Die Vorsitzende hat das Projekt in Minsk im November 2012 vorgestellt. Derzeit gibt es eine deutsch-österreichische Initiative und in Abstimmung mit den Minsker Behörden, die von höchster Ebene unterstützt wird, um ein gemeinsames Denkmal in Trostenec zu erreichten. Erste öffentliche Informationen dazu wird es bei einer Konferenz in der Geschichtswerkstatt am 23. März geben.

Film zum Ersten Weltkrieg

Anlässlich des 100. Jahrestages haben Russland und Belarus mit den Arbeiten für einen Film begonnen, wie aus dem Verteidigungsministerium zu hören ist (BelaPan 4.12.2012). Im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg gäbe es nur sehr wenige Filme zum Ersten Weltkrieg, wie auch zum Krieg gegen Napoleon, so der Sprecher. Mit dem Vorhaben soll eine Wissenslücke weiter gefüllt werden.

Der Spielfilm wird aus dem Unionshaushalt finanziert und soll im Sommer 2014 erstmals gezeigt werden. Geplant ist, an den Erfolg des ebenfalls gemeinsam produzierten Films über den Kampf um die Brester Festung anzuknüpfen.

Neues Internetportal zur Oral History in Belarus

Screenshot der Website

Einen großen Fundus von Lebensgeschichten und Erinnerungen zur belarussischen Geschichte bietet ein neues Webportal, das „Belarusian Oral History Archive project“.

Ziel ist es, mündliche Zeugnisse historischer Ereignisse von Zeitzeugen zu sammeln und zu bewahren, so heißt es auf der Website. Damit soll ein Beitrag geleistet werden zur “re-conceptualization of the Soviet period in the Belarusian history” sowie neue interdisziplinäre Forschung voranzutreiben.

Betreut wird das Archiv von professioinellen Historikern, Wissenschaftlern benachbarter Disziplinen und Interessierten.

Inhaltlicher Schwerpunkt ist das Gebiet des heutigen Belarus und benachbarter Regionen n der Zeit zwischen 1921 bis 1939, einschließlich der weiteren Entwicklung während und nach dem Krieg. Projektleiterin ist eine junge Historikerin, Irina Kashtaljan, die kürzlich ihre Dissertation über „Orte der Opfer des Kommunismus in Belarus“, die hier in Belarus nicht angenommen wurde, am Osteuropa-Institut der Freien Universität verteidigt hat. Sie forscht seit langem zu dem hier noch immer weitgehend tabuisierten Thema der stalinschen Repressionen. Unterstützer des Projektes sind verschiedene gesellschaftliche Initiativen, Memorial, das Institut für Slawistik der Polnischen Akademie der Wissenschaften, die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Europäische Humanistische Universität in Vilnius.

Zur vollständigen Nutzung ist eine Registrierung nötig, auch um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte zu achten, was hierzulande leider nicht selbstverständlich ist. Innerhalb des Archivs gibt es detaillierte Suchmöglichkeiten, man kann Publikationen im PDF-Format herunterladen und findet Links zu anderen Einrichtungen und Forschungsprojekten zum Thema Oral History.

Bis auf eine kurze Einleitung in englischer Sprache, ist das gesamte Material auf belarussisch, mit Ausnahme einiger Publikationen auf russisch. Insgesamt eine tolle, übersichtliche Seite, reiches, bisher unbekanntes Material und ein bisher wenig verbreiteter Zugang innerhalb der belarussischen Geschichtswissenschaft. Ähnliches Material ist über die Geschichtswerkstatt oder die russische Agentur „Historisches Gedächtnis“ (auch und gerade für Belarus) zu finden.

Der Marschall Zhukov-Orden

Kürzlich bin ich mit meinem ersten Orden ausgezeichnet worden, und zwar dem russischen Marschall-Zhukov-Orden II. Klasse. Überreicht hat ihn mir Sergej Azaronok, der Direktor des Museums des Großen Vaterländischen Krieges, für meine Verdienste im Rahmen der Konferenz „Verbrannte Dörfer“ im Mai diesen Jahres hier in Minsk. Für die Mitgliedschaft im sog. Orgkomitee (bei uns würde man wohl eher Beirat sagen) hat das Komitee des Ordens unter dem Vorsitz des Marschalls der Sowjetunion, L.T. Jazov (immerhin der letzte Verteidigungsminister der UdSSR), entschieden, mich auszuzeichnen.

Noch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht. Einerseits habe ich noch nie einen Orden bekommen, und schon gar keinen russischen, andererseits ist die Verleihung von Orden hier nun auch wieder nicht so sensationell, da sie schlicht öfters vorkommt. In diesem Fall befinde ich mich in guter Gesellschaft, z.B. neben der Vorsitzenden der Stiftung zur Erinnerung an den Sieg N.I. Konevs oder dem Sohn Marschall V.I. Tschuikovs. Andererseits wird der Zhukov-Orden für ein „gerechtes Andenken“ an den Namensstifter, aber auch „gegen die Falzifizierung der Geschichte“ verliehen. In diesem Punkt bin ich nicht ganz überzeugt, dass die russischen Kollegen und ich immer einer Meinung sind. Schön sieht der Orden aber trotzdem aus!

Zeitzeugen der verbrannten Dörfer in Belarus

Foto: http://rus.delfi.lv/news/daily/politics/fond-vystavka-ugnannoe-detstvo-v-latvii-otkladyvaetsya-iz-za-davleniya-vlastej.d?id=42236388

Am 5.11.2012 wurden unter dem Titel „Verlorene Kindheit. Minderjährige Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Nordwesten der UdSSR“ in der Geschichtswerkstatt eine Fotoausstellung und ein Dokumentarfilm gezeigt, die sich dem Schicksal der Opfergruppe der „verbrannten Dörfer“ widmeten. Sie ist von der russischen Einrichtung „Historisches Gedächtnis“ zusammen mit dem belarussischen Fond Mira erarbeitet worden. Bereits im Januar war sie in Moskau im Museum für Zeitgenössische Geschichte gezeigt worden. Insbesondere in Lettland, aber auch Belarus hatte die Ausstellung für Diskussionen gesorgt.

Die Ausstellung umfasst ca. 30 Fotos aus Archiven aus Belarus, Lettland, Russland und privaten Sammlungen.

Sie zeigen den Alltag der Bevölkerung unter den nationalsozialistischen Terror-Aktionen, insbesondere von Kindern im KZ Salaspils. Der Film zeigt Interviews mit Überlebenden, die durch Filmaufnahmen und historische Fotos in den Kontext eingeordnet werden. Dabei handelt es sich um die Operation Winterzauber.

Die Fotos sind mit Quellenangaben versehen, im Film entsteht zuweilen der Eindruck, die Datierung von Ereignissen oder die Zuordnung von Einheiten und Orten gerate ein wenig durcheinander. Der Leiter von „Historisches Gedächtnis“, Alexander Djukov, hat zum Thema Kollaboration eine Publikation von Dokumenten vorgelegt: „Destroy as much as possible.“ Latvian collaborationist formations on the territory of Belarus, 1942 – 1944 (russisch 2009, englisch 2010), das auch einen Aufsatz des belarussischen Historikers Alexej Litvin enthält. Am Folgetag fand eine Konferenz in der Akademie der Wissenschaften statt mit Vertretern aus Deutschland, Russland, der Schweiz. Hier war u.a. ein Beitrag zu dem bisher völlig unerforschten Thema der Blutentnahme bei Kindern für deutsche Soldaten zu hören.

Archivmaterial zu dem Thema befindet sich um USHMM.

Historiker-Klub in Minsk

Erstmals nach einer längeren Pause kam der Minsker Historiker-Klub am 24. Oktober wieder zusammen (BelaPan 25.10.2012). Nach der Absage einer Sitzung im Juni in der Geschichtswerkstatt  musste der Klub eine neue Bleibe suchen.

Nachdem die Versammlung in der Geschichtswerkstatt nicht stattfinden konnte, weil der Film über die Stalin-Linie, den die Historiker anschauen und diskutieren wollten, in den Augen der GW-Leitung offenbar zu kritisch war, widmete sich das erneute Treffen abermals einem heiklen Thema. Dieses Mal ging es um neue Informationen zu polnischen Offizieren, die der NKWD auf dem Gebiet von Belarus ermordet hat. Darüber hinaus wurde ein Dokumentarfilm über die Exekution von Eisenbahnmitarbeitern in Minsk in den 1930er Jahren gezeigt.

Igor Kuznecov, ein Mitglied des Klubs, verwies darauf, dass die Aufarbeitung und Erinnerung an die Opfer des Stalinismus in Belarus nicht ausreichend betreiben werde. Das zeige auch die Tatsache, dass es bis heute kein Denkmal oder eine Information in Kurapaty gebe. Er kritisierte auch die Pläne für ein Restaurant und Freizeitcenter nahe dem historischen und Gedenkort (BelaPan 6.11.2012), wogegen es schon bei einer Gedenkveranstaltung in Kurapyty am Gedenkttag des 29. Oktober viele Proteste gegeben hatte. Das bei der Gedenkfeier aufgestellte Mahnmal für Offiziere der polnischen Armee ist in der darauf folgenden Nacht von Unbekannten vernichtet worden.

Rau-Gespräche mit Henning Scherf

Im November fand das 7. Johannes-Rau-Gespräch zum Thema Geschichtspolitik und Erinnerung in der IBB Minsk statt. Festredner war der ehemalige Bürgermeister der Stadt Bremen, Henning Scherf. In einem sher persönlichen Vortrag schilderte er den Weg historischer Erinnerung nach 1945 in beiden Teilen Deutschlands. Den meisten Gewinn daraus konnten sicher die anwesenden Westdeutschen, darunter die Vertreter der IBB Dortmund, aber auch die Vertreter der österreichischen Delegation ziehen. Für die Belarussen, so zeigte auch die anschließende Diskussion, waren die Ausführungen letztlich zu detailliert.

Von belarussischer Seite sprachen der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Minsk, Igor Karpenko, sowie ein Historiker der Akademie der Wissenschaften, Vladimir Kusmenko. Geschickt lavierte dieser auf der Welle der offiziellen Geschichts- und Erinnerungspolitik, die auf sowjetischen Geschichtsparadigma basiert, durch die Einbeziehung belarussisch-nationaler Elemente und eine scheinbare Offenheit allen Opfergruppen gegenüber suggeriert, als sei sie das Ergebnis eines offenen Diskurses.

Die Wortmeldungen von Zeitzeugen und Überlebenden verschiedener Opfergruppen zeigte ein weiteres Mal, dass Deutsche und Belarussen in Fragen der Geschichte aneinander vorbei, oder besser gesagt: nebeneinander diskutieren. Dem gebetsmühelartig vorgebrachten Schuldeingeständnis und Bekenntnis zur Verantwortung durch die Deutschen steht auf Seiten der Belarussen eine offene und oft lebhafte bis wütende Diskussion gegenüber, die in diesen geschützten Räumen wie dem IBB oder auch dem Goethe-Institut eine Plattform findet. Da diese Beiträge sich nur selten in schriftlicher Form niederschlagen können, geschweige denn von einem größeren Publikum rezipiert und auch in einer gesellschaftlichen Debatte weiterentwickelt werden können, bleibt am Ende das Gefühl ständiger Wiederholung auf beiden Seiten.

Dennoch war diese Konferenz ein wichtiger Beitrag zur Diskussion von Erinnerungsfragen in Belarus, das durch Berichte über verschiedene österreichische Zugänge zur Erinnerung bereichert wurde.

Eine Ausstellung zu Opfern des Vernichtungslagers Malyj Trostenec

Die Tafel zum Schicksal von Sima Margolina.

Für kurze Zeit war in der Geschichtswerkstatt eine Ausstellung von Studierenden der Humboldt-Universität in Berlin zusehen. Seit 2009 wird dort unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Wildt das Schicksal von Juden erforscht, die aus Berlin in das Ghetto Minsk und das nahe gelegene Vernichtungslager Malyj Trostenec deportiert wurden. Einige dieser Biographien Zeit die kleine, aber feine Ausstellung, die derzeit in Schulen und anderen Bildungsorten in Belarus unterwegs ist.

In die Ausstellung für die Geschichtswerkstatt waren auch Biographien von belarussischen Opfern integriert worden, darunter die Schicksale von Sima Margolina und Maja Krapina. Beide haben den Holocaust überlebt, leben heute in Minsk und waren bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend. Beide kommen regelmäßig zu den Veranstaltungen der Geschichtswerkstatt, mit deren Hilfe sie ihre Lebensgeschichten publiziert haben.

Die Ausstellung wird ergänzt durch eine Website, auf der die Berliner Biographien zu lesen sind. Darüber hinaus gibt es einen Stadtplan von Berlin, in dem virtuelle Stolpersteine für die Opfer verlegt sind. Mit einem Gedenkbuch, das in publizierter Form im April 2013 vorliegen soll, wird an alle Opfer erinnert.

Feierliches Gedenken an den 69. Jahrestag der Auflösung des Minsker Ghettos

Auf ca. 100 Teilnehmer kamen 8-10 Omon-Leute (im Hintergrund auf der Anhöhe zwischen den Bäumen zu sehen).

Am 21. Oktober fand in der Jama (deutsch:Grube), dem Ort der Massenerschießung von 5.000 Juden am 2. März 1942, eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die Opfer des Minsker Judenghettos statt. Zwischen 1941 und 1943 lebten dort teilweise bis zu 100.000 Menschen, die meisten wurden in das nahe gelegene Konzentrationslager Malyj Trostenec abtransportiert. Als das Lager im Oktober 1943 angesichts der vorrückenden Roten Armee von den deutschen Besatzern aufgelöst wurde, gab es nur wenige Überlebende.

Im Rahmen der Feier sprachen Leonid Lewin, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden und Verbände in Belarus, der israelische Botschafter sowie Vertreter jüdischer Organisationen aus Australien, Russland und der Ukraine und eine Zeitzeugin. Eine sehr persönliche Ansprache hielt der erst kürzlich eingetroffene neue Ständige Vertreter der USA in Belarus. Die Hände tief in den Manteltaschen seines Trenchcoats vergraben und mit einem großen Humphrey Bogart-Hut, sprach er über seine eigene jüdische Familie sowie seine ersten Ausflüge in Belarus zu den Orten jüdischer Geschichte, zu denen er freilich gleich alle Orte nicht-offiziellen Gedenkens rechnete. Geladen war außerdem der deutsche Botschafter. Die Zeremonie endete mit dem Gebet eines Rabbis.

Von Regierungsseite war ein Statement eines Vertreters der Kommission für religiöse Angelegenheiten zu hören – offenbar die Minimallösung offizieller Beteiligung von belarussischer Seite. Dafür waren aber für die vielleicht 100 Teilnehmer rund um die Veranstaltung 8 bis 12 Omon-Leute zu sehen – eine fast schon absurde Art der Bewachung und Beobachtung. In einer Pressekonferenz anlässlich des Gedenktages sagte Lewin, in Regierungskreisen gäbe es tatsächlich keinen Antisemitismus (BelaPan 23.10.2012), allerdings sei er ansonsten nach wie vor noch weit verbreitet in Belarus.

Vor dem Krieg war die belarussische Jüdische Gemeinde eine der größten in Europa, so Lewin. Von 1 Mio. Juden seien 800.000 von den deutschen Besatzern ermordet worden. Aber auch nach Ende des Krieges hatten die Überlebenden unter den Repressionen in der Sowjetunion zu leiden. Kaum ein Gedenkstein, der nach dem Krieg errichtet wurde, blieb erhalten. Der Stein in der Jama in Minsk ist hier eine der wenigen Ausnahmen in der gesamten Sowjetunion. Lewin kündigte an, die Aktivitäten der Jüdischen Gemeinden zu verstärken. Davon aber erführen nur die wenigsten, da die Presse dies nicht zur Kenntnis nähme.

Strategisch optimistisch äußerte sich am 23. Oktober Vorsitzende des Eurasischen Jüdischen Kongresses  (EAJC), Vadim Shulman, in Minsk. Er habe in seinen Gesprächen auf Regierungsebene festgestellt, dass man dort sehr genau über die Probleme der Jüdischen Gemeinden im Bilde sei und diesen positiv gegenüberstehe (BelaPan 23.10.2012). Eine solche Einschätzung der Lage passt zum Selbstverständis des EAJC, der 2002 gegründet wurde, um jüdische Interessen in Russland, Kazachstan und der Ukraine zu fördern und diese mit den jeweiligen Regierungen in Einklang zu bringen.

Roma als Opfer des Nationalsozialismus in Belarus

Unter diesem Titel wird in diesem Herbst eine Fotoausstellung der Organisation „Soziale Projekte“ in Gomel gezeigt. 40 Fotografien von Inna Trusevitch dokumentieren das Leben von Menschen im heutigen Belarus, die die Vernichtungsaktionen überlebt haben. Die Ausstellung verfolgt das Ziel, auf die Situation der Roma im Land aufmerksam zu machen. Diese leben meist in völliger Isolation, über ihr Schicksal ist so gut wie nichts bekannt.

Aktuell läuft ein Förderantrag eines belarussischen Archivwissenschaftlers und Historikers auf Förderung eines Forschungsprojektes zum Schicksal der Sinti und Roma in den besetzten Gebieten des heutigen Belarus zwischen 1941 und 1944.

„Ohne Titel“

Foto: http://checkthis.com/ojy2

Ein weiteres Mal fand neulich aus Anlass des Jahrestages der Auflösung des Minsker Ghettos die Aufführung des Theaterstücks zur Erinnerung an diese düstere Periode der belarussischen Geschichte statt. Die Uraufführung hatte bereits im Mai 2001 in der Geschichtswerkstatt stattgefunden. Seitdem hat die experimentelle Theatergruppe um Anna Sulima das Stück erweitert und überarbeitet. Initiator der aktuellen Aufführung im Kulturpalast der Veteranen war dieses Mal die Vereinigung „Verständigung“ , einer der Partner der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft hier in Belarus.

Leider kann das Stück mangels Geld und Ort nicht öfter aufgeführt werden. Das ist sehr bedauerlich, denn auch beim zweiten Mal war der Eindruck des Stücks wieder sehr nachhaltig und stark. Vielleicht findet sich in Deutschland ein Sponsor, der es der Gruppe ermöglicht, die Inszenierung auch dort zu zeigen?

Kurzfilm zur Erinnerung an den Holocaust in Belarus

Foto: http://www.jewish.ru/culture/cinema/2012/05/news994307368.php

Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, den Film „Tufel’ki“ (Schuhe) (Belvideocentr, Regie Konstantin Fam, Produzent Jurij Igrusha, ein belarussisch-russisch-tschechisches Projekt) zu sehen. Der 18-minütige Film, ohne Dialoge nur mit Musik unterlegt, zeigt die künstlerisch verarbeitete Erinnerung an das Schicksal einer Familie im Holocaust: Ein junges Paar verliebt sich, heiratet und wird später Opfer der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Dies alles wird sozusagen aus der Perspektive der Schuhe der Menschen erzählt, indem die Kamera nur die unteren Beine der Personen im Blick hat. Dahinter steht die Idee (von Dmitrij Paschkov), ausgehend von der Ansammlung der Schuhe der Opfer in Auschwitz, ein konkretes Schicksal zurückzuverfolgen und so herauszufinden, wer in diesem einen Paar Schuhe gesteckt hat.

Auf den ersten Blick berührt der Film. Bei näherer Betrachtung jedoch ist zum einen die Geschichte, die das Schicksal aller vernichteten Juden mit der persönlichen Rache aus Eifersucht verbindet, wenig überzeugend. Zum anderen ist die Idee, wirklich nur die Schuhe „sprechen“ zu lassen, nicht konsequent umgesetzt, indem doch viel mehr von den Menschen gezeigt wird. Dadurch bleibt dieser Versuche einer Annäherung an das Thema auf halbem Wege stecken und überzeugt letztlich nicht.

Galina Lewina und das „International Children Plein Air Art Forum ‚Jewish Shtetle Revival’“ in Belarus

Foto: http://www.europeanjewishfund.org/index.php?/projects/projects_full/the_4th_ejf_art_forum_jewish_shtetl_revival_belarus/

In der vergangenen Woche war ich erstmals Gast beim International Art Forum, das in diesem Jahr zum 6. Mal in Belarus stattfand. Dank der Unterstützung des European Jewish Fund  kommen dabei jährlich 15-20 Jugendliche aus Belarus und weiteren Ländern (in diesem Jahr Bulgarien, Belarus, Serbien, Litauen, Moldova, Israel) zusammen, um eine Woche gemeinsam auf den Spuren jüdischer Geschichte in Belarus zu wandeln. Ihre Eindrücke verarbeiten die jungen Leute im Alter von 16 bis 23 künstlerisch. Dabei erhalten sie Workshops von Künstlern zu Malerei, Graphik, Töpfern und anderen Techniken. Als Schüler künstlerischer Schulen und Hochschulen in ihren Heimatländern ist dies zum einen eine Fortbildung.

Darüber hinaus besuchen sie aber auch historische Orte und verfallene Synagogen, sprechen mit Überlebenden des Holocausts und verarbeiten all das in ihren eigenen Arbeiten, aus denen am Ende der Woche eine Ausstellung entsteht.

Initiatorin und fachkundige Begleiterin der Jugendlichen ist Galina Lewina, selbst mehrfach ausgezeichnete Architektin und eine der drei Vertreterinnen von Belarus im European Jewish Parliament. Außerdem ist sie die Tochter des bekannten und ebenfalls mehrfach ausgezeichneten Architekten Leonid Lewin, der das Programm des Art Forums aktiv begleitet.

Das Ziel des Projektes beschreibt Galina Lewina in der Publikation der Projektergebnisse und Kunstwerke aus dem Jahr 2007 und 2008: „The plein air was a step of young members of Jewish communities to Jewish history through the art.” Sie selber hat offenbar einen starken Eindruck bei den jungen Leuten hinterlassen. Eine polnische Teilnehmerin aus dem Jahr 2007/2008 schreibt über sie: „… a kind of super-woman, who between an active career as an architect, a published poet and writer, also a community organizer, found the time and energy to organize this art camp…“ Diesen Eindruck kann ich aus meiner persönlichen Bekanntschaft mit Galina nur bestätigen!

Militärtourismus in Belarus/Weißrussland

Stalin-Büste im Gelände des Erlebnisparks "Stalin-Linie".

Die Ankündigung (BelaPan 25.9.2012), Touristen mit militärhistorischem Interesse durch die historischen Orte in Belarus anzuziehen, hat mich überrascht. Mir schien es, als wäre das schon längst der Fall. Zum einen gibt es aufgrund der zentralen Lage in Europa tatsächlich viele Orte und Überreste, die über ganz unterschiedlichen kriegerischen Auseinandersetzungen zu verschiedenen Zeiten berichten. Zum anderen ist der Umgang mit diesem Aspekt der Geschichte unbedarft und frei von jeder Scheu, die Ereignisse und Schauplätze zu Erlebnisparks zu machen.

Dies soll nun offenbar systematisiert werden. Im Vordergrund sollen der Krieg gegen Napoleon 1812 und der Erste sowie der Zweite Weltkrieg stehen. Diese Auswahl entspricht dem offiziellen Geschichtsbild, das eine touristische Auswertung aller anderen Kriege auf heutigem belarussischem Territorium nicht vorsieht.

Schon länger ist dieses Segment ein Teil des offiziellen Reiseangebots von Belarus. Dabei werden allerdings auch andere Kriege wie der Sieg der Belarussen (wer genau gehörte in diesen Zeiten dazu?) über die Tataren und Mongolen nahe Minsk im Jahre 1249 oder der Nordische Krieg Anfang des 18. Jh. berücksichtigt. Das Sport- und Tourismusministerium hat je eine Broschüre zum „War Tourism“ und sogar eine zum „Dark Tourism“ herausgegeben. Auf der Website ist dann aber doch lieber von „Battlefield and Historical Tours“ die Rede.

Der "Ruhmes-Hügel" bei Minsk zur Erinnerung an die Befreiung am 3.7.1944.

Bemerkenswert ist, dass in den Broschüre auch auf die Orte jüdischer Erinnerung, wie die Jama in Minsk, oder den Vernichtungskrieg, wie Chatyn, hingewiesen werden – Orte, die nun wirklich nicht auf der Hauptroute des Tourismus liegen. Die offenbar selbstverständliche Verbindung dieser historischen und Gedenkorte nimmt sich neben militärischen Erlebnisparks wie der Stalin-Linie, Reenactment-Veranstaltungen oder der jährlichen Parade im Zentrum von Minsk freilich befremdlich aus.

Neu an den aktuellen Überlegungen ist die Verbindung der Reisen auf militärischen Spuren mit kulinarischen Angeboten der Region, einschließlich Besuchen bei Lebensmittelherstellern, Weinverarbeitungsbetrieben oder Brennereien. Zur Erarbeitung entsprechender Angebote will die Regierung Touristenunternehmen unterstützen. Wer hätte das gedacht?!

Ausstellung der Görlitzer Skorina-Bibel in Minsk und Neswish

Ich zitiere die Pressemitteilung Nr. 13 der Deutschen Botschaft, Minsk, 02.10.2012:

„Am 4. Oktober 2012 um 16 Uhr findet in der Belarussischen Nationalbibliothek Minsk die feierliche Eröffnung der Ausstellung „Franzisk Skorina – Reise in die Heimat“ statt. In dieser Ausstellung wird neben den Skorina-Büchern aus der Sammlung der Nationalbibliothek Minsk erstmals die Skorina-Bibel der OLB (Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften, Görlitz, Bundesrepublik Deutschland) gezeigt. Diese Bibel umfasst 11 zu einem Konvolut zusammengefasste Bücher, die von Franzisk Skorina in den Jahren 1517-1519 in Prag gedruckt wurden. Unter diesen Drucken befinden sich auch solche, die es in der Sammlung der Nationalbibliothek nicht gibt: „Genesis“ mit dem wunderschönen Holzschnitt auf der Titelseite und die vier „Bücher der Könige“ mit dem berühmten Portrait Skorinas.

Die Görlitzer Skorina-Bibel ist eine herausragende bibliophile Rarität der OLB.  Die Drucke gelangten über ihre früheren Eigentümer zunächst von Prag nach Breslau, dann nach Görlitz, wo sie seit 1615 nachgewiesen sind. Sie werden erstmalig in Belarus ausgestellt. Sie werden vom 4.-13. Oktober 2012 im Buchmuseum der Nationalbibliothek und vom 15.- 24. Oktober 2012 im Kulturhistorischen Nationalmuseum Neswish zu sehen sein.

Die Ausstellungen stehen unter der Schirmherrschaft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und des Kulturministeriums der Republik Belarus.“

200 Jahre Napoleon – zahlreiche Veranstaltungen in Belarus/Weißrussland

Eine Postkarte aus der Sammlung von V. Lichodedov. http://www.rg.ru/2012/07/19/saltanovka.html

Etwas spät, aber doch noch rechtzeitig vor Ablauf des Jubiläumsjahres, möchte ich die wirklich erstaunliche Aufmerksamkeit hervorheben, die das Land den Ereignissen von 1812 widmet. Die ist insofern bemerkenswert, als der Krieg hier in Belarus vielfach als ein Kampfgeschehen gesehen wird, mit dem die Weißrussen nichts zu tun hatten  – war es doch ein Krieg des Russischen Reiches. Dazu passt, dass man sich gelegentlich von der in der russischen und vorher sowjetischen Historiographie gebräuchlichen Bezeichnung “Vaterländischer Krieg” distanziert. Auf der anderen Seite nutzt man den Jahrestag und erinnert an die Ereignisse, die sich auf dem Gebiet der eigenen Heimat abgespielt haben, und verleiht dieser Form der Erinnerung damit einen nationalen Anspruch.

Bereits im März des Jahres hatte es seine Konferenz von Vertretern des Militärs aus Russland und Belarus gegeben, um die laufenden und weiteren Maßnahmen sowie Forschungsprojekte zu besprechen. Alle Projekte und Vorhaben zum 200. Jahrestag des russisch-französischen Krieges, so das Außenministerium im Mai, dienten der Versöhnung in Europa und dem gemeinsamen historischen Erbe.

Zu den zahlreichen Maßnahmen gehören neben Ausstellungen in verschiedenen Museen und der Nationalbibliothek, Reenactment und Konferenzen auch eine gemeinsame Grabung von belarussischen und französischen Experten am Ort des Geschehens an der Berezina. Dabei sollen sowohl Massengräber als auch Reste von Brücken und militärischen Anlagen gesucht werden. Unterstützt werden die Archäologen von einem Experten des 52. Unabhängigen Suchbataillons der Armee. Auf belarussischer Seite geht man davon aus, dass 25.000 bis 30.000 Weißrussen in der Armee Napoleons gedient haben könnten.

Im Juli fand in der Nähe von Mogiljov eine feierliche Zeremonie zur Beisetzung  der Überreste von drei russischen Soldaten statt, die im Kampf gegen die französische Armee 1812 ihr Leben verloren hatten. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Einwohner sich hier tapfer gegen die napoleonische Armee gestellt hatten und diese nicht, wie in vielen anderen Orten, freudig mit Brot und Salz begrüßt haben.

Das Touristenbüro hat einen eigenen Führer zu den historischen Orten von 1812 herausgegeben. Er informiert über lokale Denkmäler und Obelisken, Orte, an denen Napoleon sich aufgehalten hat (z.B. im Gouverneurspalast in Vitebsk) und verweist auf Veranstaltungen und Museen (wie z.B. das Museum im Haus von Pjotr Bagration in Volkovysk). Bemerkenswert ist, dass auch auf ein Denkmal für die russischen Juden hingewiesen wird, das sich in Brilevskoe Pole findet. Besonders hervorzuheben ist die Festung in Bobrujsk.

Von den zahlreichen Artikeln in den Zeitungen möchte ich eine Serie in der Zeitung „Sojuz. Belarus’ – Rossija“ hervorheben. Der eher langweilige Text erzählt die Ereignisse von 1812 nach, ohne Quellen oder sonstige Hinweise. Interessant sind aber die Abbildungen von Postkarten zu 1812 aus der offenbar privaten Sammlung von Vladimir Lichodedov, einen vielfach ausgezeichneten Historiker. Im Juni wurde seine graphische Sammlung zu 1812 im Museum des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk gezeigt.

Neben einer Konferenz im Dezember, zu der auch internationale Experten (u.a. vom DHI Moskau) eingeladen sind, steht im November noch eine „Historische Rekonstruktion“ in Studenka auf dem Programm.

Keine weiteren Straßenumbenennungen in Minsk

Die Phase der Umbenennung von Straßen sei vorbei, teilte jüngst ein hoher  Beamter der Stadt mit (BelaPan 8.8.2012). Nach Igor Karpenko, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Stadt, können prominente belarussische Persönlichkeiten gewürdigt werden, indem neue Straßen nach ihnen benannt werden, nicht aber durch Umbenennung vorhandener Straßen. Als Beispiel nannte er Vasilij Bykov, dem aber anstelle einer Straße auch ein Museum gewidmet werden könnte, sagte Karpenko – ganz neue Töne übrigens in Bezug auf den hierzulande umstrittenen Schriftsteller.

Zugleich verteidigte er die Straßennamen, die an die sowjetische Periode der Geschichte erinnern. So sei Karl Marx [sic!] ein bedeutender Philosoph, dessen Werke bis heute an vielen Universitäten der Welt studiert würden. Neue Straßennamen werden in Zukunft in Zeitungen und im Internet veröffentlicht. Bürger können dazu Stellung nehmen, bevor das Stadtkomitee eine Entscheidung fällt.

Schon wieder: Das Museum des Großen Vaterländischen Krieges

Einen ausfürhlichen Hintergrundbericht zum Neubau, der Konzeption und der Geschichte des Museums hat am 10. Juli Svetlana Balaschova (Светлана БАЛАШОВА) in der oppositionellen Zeitung Svobodnye Novosti (Freie Nachrichten) publiziert.

Dabei malt sie ein Szenario eines mit Medien überladenen Museums an die Wand, das sich von einer objektgestützten Dokumentation zugunsten eines diffusen Freizeitwertes immer weiter entfernt. Und das auf Kosten der Steuergelder! Und all das, so die Autorin, sei keineswegs geeignet, der jungen Generation einen Eindruck vom Krieg zu vermitteln. Im Gegenteil, dieser verkomme auf diese Weise zur Show.

In ihrem Urteil verbündet sich die Journalistin mit den Veteranen, die angesichts der Verlautbarung, dass nur 10% der Bestände im neuen Museum ausgestellt werden sollen offenbar ebenfalls schon ihre Sorge um das Gedenken an den Krieg zum Ausdruck gebracht haben.

Spezialmuseen: Erster Weltkrieg

Foto: http://www.partal.by/allnews/mainnews/330.html?print=1

In Zabrodje (Забродье), Minsker Gebiet, gibt es ein ganz besonderes Museum. Es hat den Krieg, hier den Ersten Weltkrieg, zum Thema und befindet sich in einer Kirche. Es handelt sich um eines der wenigen Privatmuseen und geht auf die Sammlung des Künstlers Boris Borisovič Citovič (Борис Борисович Цитович), selbst eine eindrückliche Persönlichkeit, zurück. Die Museumsgeschichte wird wie folgt kolportiert:

1975 verkaufte Boris Borisovič seine Wohnung in Minsk und zog mit seiner Frau in das Dorf Zabrodje. Bei einem Waldspaziergang stieß er auf einen verlassenen Militärfriedhof aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Seitdem lässt ihn das Thema nicht mehr los, er setzte sich für die Erinnerung dieser vergessenen Helden ein und begann, eine Sammlung zusammenzutragen. Den Friedhof richtete er mit seiner eigenen Hände Arbeit wieder her und baute die Kapelle der Heiligen Boris und Gleb. Eben dort ist das erste und (im postsowjetischen Raum?) bisher einzige Museum des Ersten Weltkrieges untergebracht. Die Kapelle ist übrigens als Gotteshaus aktiv.

Über das Museum hinaus findet in Zabrodje regelmäßig eine „Biennale“ statt, an der sich junge europäische Künstler beteiligen, darunter auch der Sohn von Boris Borisovič, der wiederum mit einer Deutschen verheiratet ist, auf deren Einladung hin sich auch viele deutsche Künstler an den Aktionen beteiligen. Auf deren Initiative geht der „Stein der Reue“ in der Nähe des Friedhofs zurück. Doch damit nicht genug: Auch eine einmalige Sammlung alter sowjetischer und europäischer Autos, häufig für historische Filmaufnahmen genutzt, geht auf die Initiative der regen Familie zurück.

Aktuelles Projekt ist die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg „Kroki“, dessen Vorsitzender Boris Borisovič selbst, sein Stellverterter Vjačeslav Bondarenko (der Autor des einzigen populärwissenschaftlichen Buches über den Ersten Weltkrieg in Belarus) ist. Boris Borisovič wiederum war unlängst in der Talkshow von Bondarenko „Otkrytyj format“ zu Gast, als es im November 2011 um die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg ging.

Wer jetzt noch nicht die Übersicht verloren hat, der sollte sich unbedingt auf den Weg nach Zabrodje machen!

Zensur in der Geschichtswerkstatt?

Die für den 20. Juni geplante, reguläre Sitzung des Filmklubs „Unbekanntes Belarus“ wurde am Vorabend kurzfristig durch den Leiter der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kozak, abgesagt. Offenbar hatte es viele Anrufe  gegeben, so dass sich Kozak entschied, keinen weiteren Verdacht auf die Geschichtswerkstatt zu lenken. Was war der Hintergrund?

Der Klub der Filmhistoriker, der seit längerer Zeit in den Räumen der Geschichtswerkstatt tagt und viele historische Dokumentarfilme dort gezeigt hat, wollte an diesem Tag den Film „Stalin-Linie: Ehre oder Schande?“ von BelSat TV aus dem Jahr 2008 diskutieren. Darüber hinaus, so der Historiker Igor Kuznecov, ein Mitglied des Klubs, sollte auch der Film „Stalin-Line, Gomel-Region“ gezeigt werden. Hier geht es um Erinnerungen von Überlebenden des Stalin-Terrors. Der Film war in Gomel verboten worden.

Kuznecov wehrte sich gegen die seiner Meinung nach ausgeübte Zensur durch die Geschichtswerkstatt und kündigte an, das Programm des Klubs in Zukunft nicht mehr zur Disposition zu stellen.

Gedenkstätte für die zerstörten Dörfer in Dalva

Unweit von Chatyn, der zentralen Gedenkstätte für die im Zweiten Weltkrieg zerstörten und verbrannten Dörfer in Belarus, befindet sich ein weiterer, kleinerer Gedenkort für die Dörfer. In dem ehemaligen, am 19.6.1944 zerstörten Dalva, gibt es ein Denkmal und ein kleines Museum.

Wie in Chatyn, zu dessen Verwaltung Dalva auch gehört, wurden auch hier die 44 Bewohner in eine Scheune gesperrt, die daraufhin abgebrannt wurde. Einer der Überlebenden initiierte die Gedenkstätte, die 1973 eröffnet wurde. Die Gestaltung der Gedenkstätte stammt von dem Bildhauer Vladimir Terebun. Insbesondere durch die angedeuteten Umrisse der ehemaligen Häuser erinnert die Konzeption stark an Chatyn, man könnte fast sagen, es handelt sich um ein Plagiat.

Das kleine Museum umfasst einen Raum und ist eher ein Gedenkraum, als eine Ausstellung. Auch hier gibt es keinerlei erklärenden Text, sondern nur eine Aneinanderreihung von Dokumenten, Fotos und Erinnerungsstücken, die im Einzelnen nicht erklärt werden. 

Ausstellung in der Geschichtswerkstatt

Foto: http://ibb.by/ru/news/644

Noch bis zum 22. Juni zeigt die Geschichtswerkstatt die Ausstellung des weißrussischen Künstlers Vladimir Vol’nov „Asche in den Himmel“. Zur Eröffnung sprachen der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinden und Organisationen, Leonid Levin, und der Leiter des IBB Minsk, Viktor Balakirev.

Die Arbeiten des Künstlers reflektieren dessen persönliche Verarbeitung des Holocaust in Belarus. Dazu verwendet er persönliche Erinnerungs- und Fundstücke von Opfern der nationalsozialistischen Besatzung und verarbeitet sie in Gemälden, Kollagen und Installationen. Vol’nov hat den Krieg als 4jähriger in Vitebsk überlebt, bevor er in ein Kinderheim in Russland kam. Erst 1961 wurde sein Vater gefunden, und er kehrte in seine Heimat zurück. Dort war ihm 2011 eine Einzelausstellung gewidmet.

Ursprünglich war geplant, eine der großen Installationen „Asche in den Himmel“ im Parkgelände vor der Geschichtswerkstatt aufzustellen. Darauf wurde aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch des wohl unendlichen Genehmigungsverfahrens verzichtet. Sehr zum Vorteil der Geschichtswerkstatt, wie ich finde, die mit dieser Ausstellung eine der leider zu seltenen, für Minsk und Belarus so besonderen Ausstellungen zeigen kann. Noch immer ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den individuellen Erinnerungen an den Krieg in der zeitgenössischen Kunst in Belarus eine Seltenheit. Wo, wenn nicht in der Geschichtswerkstatt, sollte sie gezeigt werden?

Die düsteren, aber sehr wirkungsmächtigen Werke kommen in dem Gebäude, dem letzten erhaltenen Haus im Gebiet des ehemaligen Ghettos, eindrucksvoll zur Geltung. Zuvor war die Ausstellung in Nienburg in Deutschland zu sehen. Arbeiten des Künstlers sind in Deutschland bereits mehrfach ausgestellt worden.

Proteste gegen Grabungsarbeiten bei einem Massengrab

Foto: https://nash-dom.info/novosti/vse-novosti/proisshestviya/perekopayut/

Aktivisten des Menschenrechts-Netzwerkes „Nash Dom“ haben Protest erhoben gegen Grabungsarbeiten in Drozdy (bei Minsk). Dort befindet sich ein Massengrab aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem Insassen des dortigen KZs begraben sind. Dabei handelte es sich um Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung.

Das Netzwerk hat online sowohl über die historischen Hintergründe, als auch über die Pläne der Behörden berichtet und die Bevölkerung aufgerufen, sich an die zuständigen Abgeordneten zu wenden. Offenbar mit Erfolg: Immerhin sind diese an den Ort des Geschehens gefahren, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Die konkrete Aktion endet mit dem Aufruf an alle Bürger, ihre Rechte zum Protest wahrzunehmen und nicht zu schweigen.

 

Konferenz „Belarus und Deutschland“

An der Linguistischen Universität, am Lehrstuhl für Geschichte und Belaruswissenschaften, fand am vergangenen Freitag die 11. internationale Konferenz zum Thema „Belarus und Deutschland“ statt. Veranstalter der jährlich stattfindenden Konferenz ist Sergej Novikov, ein auch in internationalem Kontext ausgewiesener Historiker. International freilich wurde die Konferenz durch einige russische Kollegen und mich.

Themenschwerpunkt war die Militärgeschichte, die meisten Vorträge widmeten sich dem „Großen Vaterländische Krieg“. Hervorzuheben sind aus meiner Sicht die Beiträge von Julija Kantor aus Petersburg zur Frage der Kulturgüterverluste (leider zu wenig zu Belarus), Anatolij Šarkov von der Akademie des Innenministeriums über die Vergeltungspolitik gegenüber Kollaborateuren (leider kaum Quellenbezug) und Igor Kusnecov von der BGU über die Forschungen zu Trostenec (präzise und sehr kritisch!). Als reaktion auf meinen eigenen Vortrag über die neue Konzeption des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges bekam ich durchweg zu hören, dass sowohl die Konzeption als auch die Pläne für Architektur und Gestaltung weitest gehend unbekannt waren – was mich ehrlich überrascht hat.

Insgesamt herrschte eine offene, kritische und aufgeschlossene Atmosphäre, wie ich sie oft in geschlossenen Kreisen erfahre. Der Austausch war rege, der Nachfragen viele. Sieht man von der schieren Masse der Vorträge ab (in der Nachmittagssitzung 18!!), meist ohne Folien oder anderes Anschauungsmaterial, wie es hier leider so üblich ist, bot die Tagung einen guten Einblick und Überblick über die aktuellen Fragen der Militärgeschichtsforschung in Belarus.

Neuer Gedenkstein auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Minsk

Am 22. März fand die Einweihung eines weiteren Gedenksteins auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Minsk, gegenüber der Geschichtswerkstatt auf dem Gelände des ehemaligen Ghettos, statt. Neben den schon vorhandenen Steinen, die an die Deportation von Juden aus Köln, Bonn und dem Siegkreis, Bremen, Berlin und Düsseldorf nach Minsk erinnern, wurde an diesem Tag ein Gedenkstein der Stadt Frankfurt am Main enthüllt. Anwesend waren Vertreter der Stadt Frankfurt und Minsk, der Evangelischen Kirche Hessen/Nassau, Vertreter der IBB Minsk und der Geschichtswerkstatt sowie Zeitzeugen. Noch immer fehlt nun ein Stein aus Prag, der an die von dort verschleppten Juden erinnern soll. Bisher konnte hier kein Übereinkommen über das gemeinsame Erinnern erzielt werden.

Am Nachmittag des Tages fand eine Veranstaltung anlässlich des 9. Jahrestages der Geschichtswerkstatt und am folgenden Tag die Eröffnung der Tschernobyl-Ausstellung im IBB sowie die Amtsübergabe der deutschen Leitung der IBB an Olga Rentsch statt. Die Stimmung bei beiden Veranstaltungen war dadurch getrübt, dass Astrid Sahm, die bisherige deutsche Leiterin der IBB Minsk, zuvor an der Einreise nach Belarus gehindert worden war. Inwieweit dies mit den jüngsten Entwicklungen zwischen Belarus und der EU zusammenhängt, kann nur vermutet werden.

Lewin-Ausstellung in Chatyn eröffnet

Leonid Lewin und seine Tocher Galina Lewina.

Gestern fand in der Gedenkstätte in Chatyn die Eröffnung einer kleinen Ausstellung über das Werk des bekannten Architekten Leonid Lewin statt. Die Ausstellung basiert auf einer Publikation des IBB Minsk über Lewins Gedenkstätten. Die deutsch- und russischsprachige Ausstellung wurde bereits in einigen Städten Deutschlands und an verschiedenen Orten in Belarus gezeigt, u.a. auch in der Geschichtswerkstatt.

Die Ausstellung ist wieder mal ein Beispiel dafür, wie sich das Verständnis von Sonderausstellungen und ihrer Bedeutung für ein Museum oder eine Gedenkstätte in Belarus von dem in Deutschland unterscheidet. Sie werden häufig nur sehr kurz gezeigt, gar nicht oder nur sehr kurzfristig beworben und kaum als besonderes Ereignis im Veranstaltungskalender genutzt. Die Eröffnung findet meist an einem Wochentag vormittags statt, das Programm beschränkt sich auf eine Aneinanderreihung von Grußworten. Die Räumlichkeiten selbst sind häufig für den Zweck umgestaltete Räume der Dauerausstellung, wobei sich die Gestaltung auf die Hängung beschränkt.

So war es auch in diesem Fall, und sieht man von den sicher eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten gerade der Gedenkstätte in Chatyn ab, so war es doch angesichts der Bedeutung von Leonid Lewin fast ein wenig beschämend. Es waren maximal 15 Gäste anwesend, darunter Museumsmitarbeiter, einige Studentinnen und Angehörige der Geschichtswerkstatt. Von offizieller Seite war gerade mal ein Stellvertreter der Bezirksverwaltung gekommen, dessen große Worte weder zu seiner Erscheinung noch zu der realen Unterstützung der Verwaltung für die Gedenkstätte passten. Nur gut, dass Lewin das alles nicht anficht und er, zusammen mit seiner Tochter Galina, unerschütterlich für generationenübergreifende Erinnerung, Verständigung und Versöhnung eintritt.

Historikerstreit in der Geschichtswerkstatt

Anlässlich der Vorstellung des neuen Buches des Leiters der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kozak, kam es zu heftigen Debatten unter den fünf Historikern, die in Belarus/Weißrussland für eine mehr oder weniger kritische, an internationalen Standards orientierte Forschung zum Zweiten Weltkrieg stehen. Anlass war die Publikation des Buches „Deutsche und Kollaborateurverluste auf dem Territorium von Belarus während des Großen Vaterländischen Kriegs 1941-1944: Analyse und Ergebnisse“. Zu den Diskutanten gehörten neben dem Autor selbst (Professor an der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität), Aleksej Litvin (Leiter der Sektion für Militärgeschichte in Belarus an der Akademie der Wissenschaften), Anatolij Šarkov, Professor an der Akademie des Innenministeriums), Emanuil Joffe (Politologe, Soziologe und Historiker an der Staatlichen Pädagogischen Universität) und Sergej Novikov (Lehrstuhlleiter für Heimatgeschichte und Weltkultur an der Staatlichen Linguistischen Universität).

Das Buch thematisiert erstmals die Verluste der Besatzer und derer, die mit ihnen zusammengearbeitet haben – ein noch immer ungeliebtes Thema in Belarus und schon deshalb ein mutiges Unterfangen. Für seine Recherchen hat Kozak, in Belarus nicht selbstverständlich, deutsche Archivquellen aus dem Bundes- und dem Bundesmilitärarchiv eingesehen sowie russisch- und deutschsprachige Sekundärliteratur. Ohne Zweifel ist die Arbeit damit ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Belarus und ein Anstoß zu weiteren Diskussionen, auch wenn es hinsichtlich der Methode und Analyse der Zahlen sicher noch einige offene Fragen gibt.

Genau diese waren bereits bei der Präsentation des Buches Anlass zu heftigen Debatten unter den Historikerkollegen. An zwei Fragen machte sich die durchaus kontroverse Auseinandersetzung fest: Wie sind die verschiedenen, bis heute nicht immer nachvollziehbaren Angaben zu den Opfern auf beiden Seiten zu bewerten und wie kann man zu einer wissenschaftlich begründeten These kommen? Und: Was bedeutet „Kollaboration“, wer hat sich schuldig gemacht, wer nur um sein Leben gekämpft?

Alle der genannten Historiker beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit diesen und anderen Fragen zur Geschichte von Besatzung, Krieg und Erinnerung in Belarus. Dabei reicht das Spektrum von einer von der offiziellen Lesart geprägten Position in der Akademie der Wissenschaften über eine offene, auf Zeitzeugenberichten und Oral History basierenden Forschung in der Geschichtswerkstatt und die immer wieder ungeliebte Themen aufgreifende Publikationstätigkeit Joffes bis hin zu einer maximal quellengestützten und vernetzten Forschung bei Novikov. Für mich war es eine zugleich vertraute und in Belarus doch so seltene Erfahrung einer lebhaften, an Fachfragen orientierten offenen und freien Diskussion.

Konferenz „Verbrannte Dörfer“ in Belarus/Weißrussland

Vom 15.-17. Mai findet im Museum des Großen Vaterländischen Krieges eine Konferenz zur Thema der „verbrannten Dörfer“ in Belarus statt. Informationen sind auf der Website des Museums zu finden.

Als Mitglied des sog. Orgkomitees erlebe ich dabei mal wieder eine Lehrstunde der belarussischen Konferenzvorbereitung und –organisation. Wichtiger als formale Aspekte ist aber das geplante Programm. Leider sieht es so aus, als stünden letztlich weniger die Dörfer, als die „Zivilgesellschaft im Krieg“ im Vordergrund. Das hieße, dass das noch immer brisante Thema der verbrannten Dörfer wahrscheinlich wieder nicht ausgeleuchtet wird, sondern in einer breit angelegten und damit sehr allgemeinen Betrachtung der Bevölkerung im Krieg untergehen wird.

Neugestaltung des historischen Ortes in Malyj Trostenec

Gedenkstein am historsichen Ort des Lagers.

Die seit 1994 anhaltenden Diskussionen um die Gestaltung des Gedenkortes in Malyj Trotenec kommen nun offenbar in eine neue Phase. Nachdem über Jahre entweder Architekten abgesprungen, das Geld ausgegangen oder gar nicht erst welches zur Verfügung gestellt wurde, kam es jetzt Anfang Februar zur Unterzeichnung eines Vertrags (3.2.2012) zur Neugestaltung der Anlage unter der Leitung der Architektin Anna Aksjonowa.

Malyj Trostenec war das größte Vernichtungslager, das von den Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Sowjetunion errichtet wurde. Zu dem damals etwa 13 km von Minsk entfernten Lagerkomplex gehörten eine zu einem SS-Gut umgewandelte ehemalige Kolchose, in der meist jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt waren, sowie die Erschießungsplätze bei Blagowschtschina und Schaschkowka. Hier wurden in den Kriegsjahren 1941–1944 belarussische und deportierte ausländische  Juden, Kriegsgefangene, Partisanen, Untergrundkämpfer, Einwohner von Minsk und den nahe gelegenen Städten erschossen oder vergast. Die Angaben zu den Opferzahlen schwanken zwischen 60.000 und über 200.000 Menschen. Weder das ehemalige Krematorium noch wirtschaftliche und administrative Gebäude des Lagers sind heute noch vorhanden.

Obelisk zur Erinnerung an die Soldaten der Roten Armee.

Der historische Ort des Lagers ist derzeit durch zwei kleine Gedenksteine aus den 60er Jahren markiert. Sie sind schwer zu finden und eine Information fehlt ganz. Nicht am ursprünglichen Ort des Lagers einige Kilometer entfernt steht ein Obelisk in einer gestalteten Gedenkanlage zur Erinnerung an den Sieg über den Nationalsozialismus und die gefallenen sowjetischen Soldaten ohne einen Hinweis auf das Vernichtungslager in Malyj Trostenec.

Sowohl die beiden Gedenksteine als auch die Anlage um den Obelisken sind in denkbar schlechtem Zustand. Um hier Abhilfe zu schaffen, ist folgendes geplant: Der historischen Wegführung zum Lager folgend soll der „Weg des Todes“ erhalten bleiben. Der zentrale Weg wird der „Weg der Erinnerung“ sein. An seinem Anfang soll eine Informationstafel über den historischen Ort informieren. Hinter dem Obelisken eröffnet sich sodann das „Beerdigungsfeld“, wohin die Asche der verbrannten Körper gestreut wurde. Auch hier sollen Informationstafeln aufgestellt werden. Ebenfalls in die Neugestaltung einbezogen wird der deutsche Friedhof, der sich dort befindet. Wann die Umgestaltung abgeschlossen sein soll, ist nicht bekannt.

Inschrift auf der Rückseite des Obelisken.

Bislang ist dieser historische Ort kaum Gegenstand der Forschung in Belarus gewesen, allenfalls in den Arbeiten der Geschichtswerkstatt, wenngleich Dokumente und Quellen zugänglich sowie die historischen Fakten bekannt sind.

Inschrift auf der Vorderseite des Obelisken.

Nochmal zum Ersten Weltkrieg

Dass der Erste Weltkrieg zunehmend das Interesse von Forschung, öffentlicher Erinnerung und Gesellschaft weckt, ist bekannt. Speziell für Belarus hat der Autor Vjacheslav Bondarenko dieses Interesse aufgenommen und im letzten Jahr ein Buch über „Die verlorenen Siege des Russischen Imperiums“ auf dem Gebiet des heutigen Belarus veröffentlicht. Darin beschreibt er in zwölf Kapiteln die militärischen Operationen an der russischen Westfront zwischen 1915 und 1917, geht auf die (erstmals) eingesetzten Waffen ein, liefert eine Auflistung der beteiligten Truppenteile und stellt die Aktivitäten der Flottenbrigade vor.

Eine wissenschaftlich militärhistorische, geschweige denn militärische Monographie ist das Buch allerdings nicht. Vielmehr schreibt Bondarenko als Journalist, motiviert durch sein persönliches Interesse an diesem Abschnitt der Geschichte: Einige seiner Vorfahren haben den Krieg in verschiedenen Rängen und Funktionen erlebt, er listet sie mit kurzen biographischen Daten im Schlusswort auf. Auch kommen sie an verschiedenen Stellen des Buches vor, niemals jedoch in aufdringlicher Weise. Überhaupt liest sich das Buch flott und fast spannend, was möglicherweise den Autor einer Rezension im Internet dazu verleitet hat, es als Roman zu bezeichnen. Zur guten Lesbarkeit trägt auch das Kapitel über die „Heimatfront“ und den Einsatz der Frauen in den Kriegsjahren bei.

Mit Recht weist Bondarenko im Vorwort darauf hin, dass der Krieg über Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedächtnis der Region verdrängt wurde, da die Soldaten nicht für die „richtige Sache“ gekämpft hätten. Dabei hat der Krieg tiefe Spuren auch im heutigen Belarus hinterlassen. Nach Angaben des Autors wurden von insgesamt 7 Mio Belarussen 700.000 bis 920.000 Männer eingezogen, 1,5 Mio wurden zu Flüchtlingen gemacht, 3,5 Mio kamen unter deutsche Besatzung. Eine wissenschaftliche Überprüfung der Zahlen ist schwierig, da die Gebiete des heutigen Belarus Teil des Russischen Reiches waren und keine isolierten Daten vorliegen. Es ist jedoch wahrscheinlich von niedrigeren Schätzungen auszugehen (vgl. dazu die Artikel von Sachar Schybeka und Mikola Iwanou im Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001). Leider verzichtet der Autor ganz auf Anmerkungen und auch die Literaturliste (mit durchaus neueren Veröffentlichungen) beinhaltet nur russisch- und belarussischsprachige Literatur, wobei nicht zwischen Quellen, Memoiren, Sekundärliteratur und Belletristik unterschieden wird. Ein Hinweis auf das „Russische militärhistorische Archiv“ (fälschlich mit RGALI (Russischen Staatliches Archiv für Literatur und Kunst) verweist auf Quellennutzung, ohne diese näher zu beschreiben.

Dafür unterscheidet Bondarenko konsequent zwischen „Belarussija“ für die topographische Bezeichnung während der Kriegsjahre und „Belarus“ für die heutige Republik. Innerhalb ihrer Grenzen lag das Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshaber der Armee Nikolaus II. (in Mogilev), wurde der spätere Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet, mit dem Russland aus dem Krieg ausschied und die Abdankungsurkunde des Zaren unterschrieben. Auch wurde das erste Denkmal für die Soldaten des Ersten Weltkrieges 1915 in Baranovichi errichtet.

Zwar geht es Bondarenko nicht um eine Nationalisierung des Krieges, zweifelsohne jedoch um einen Beitrag zur Aufarbeitung eines historischen Abschnitts, der in der nationalen Selbstdefinition der Belarussen eine zunehmend starke Rolle spielt. Umso bedauerlicher ist es, dass es kein Kapitel zur Bedeutung und Erinnerung an den Krieg im heutigen Belarus gibt. Gerade dies wäre aus der Feder des erfolgreichen und populären Journalisten und Publizisten sicher anregend gewesen.

Illustriert wird das Buch durch zahlreiche, in mittelmäßiger Qualität abgedruckte Fotos, die teilweise mit Orts- und Zeitangabe versehen sind, oft jedoch ohne Erläuterung bleiben. Auch hier fehlen Quellenangaben, sieht man von dem Hinweis ab, viele der Fotos stammten aus dem Archiv des Autors.

Insgesamt ist das Buch meiner Ansicht nach ein wichtiger, wenn auch nicht erschöpfender Beitrag zur Geschichte heutiger weißrussischer Gebiete im Ersten Weltkrieg, das viele Anknüpfungspunkte sowohl für die aktuelle Diskussion über die kollektive Erinnerung als auch für weitere Forschung bietet.

Zum Thema vgl. auch: „Ereignisse und Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Weißrussland. Recherchen im Zusammenhang mit den Workcamps der Jahre 2000 – 2005 am Narotschsee und in Stari Lepel. Wege der Versöhnung mit der humanitären Hilfsorganisation Heim-statt Tschernobyl e.V.“ mit Zeitzeugeninterviews und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

http://www.ruessmeyer.de/admin/veranstaltungen/data/05122006183439_pdf.pdf

Im Dschungel der Förderung von NS-Opfern

Ein Besuch bei der Internationalen Vereinigung „Verständigung“ hat mich kürzlich ebenso beeindruckt wie verwirrt. Beeindruckt, weil die neun Mitarbeiter sich mit wirklich bemerkenswertem Engagement für die Betreuung und Versorgung von NS-Opfern hier in Belarus einsetzen – und dies, nachdem die Zahlungen aus dem Zwangsarbeiterfond der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) schon lange abgeschlossen sind. Und hier fing auch die Verwirrung an, denn der offizielle Partner für die Auszahlung der Entschädigungszahlungen der Stiftung EVZ in Belarus, so dachte ich immer, war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ – nicht die Vereinigung „Verständigung“.

Offenbar ist es wie folgt: In der Tat war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ der offizielle Partner der Stiftung EVZ für die Auszahlungen. Aufgrund der zwischenstaatlichen Vereinbarung kooperierten damit zwei staatliche Einrichtungen. Seit 2007 die Zahlungen abgeschlossen waren und aus den Restmitteln weiterhin Projekte für die Opfer realisiert und finanziert wurden, gibt es nun einen Spielraum für weitere Initiativen in diesem Feld, die um das verfügbare Geld konkurrieren. Ein Teil der Mitarbeiter der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ haben daraufhin 2008 die (nicht-staatliche) zunächst städtische, später internationale Vereinigung „Verständigung“ gegründet. Daneben existieren das Internationale Begegnungszentrum IBB Minsk, das sich mit der Geschichtswerkstatt um ehemalige Opfer des Nationalsozialismus kümmert, sowie eine nicht unbeträchtliche Zahl weiterer, kleiner Vereinigungen und Initiativen.

Während die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“, die es bis heute gibt, sich überwiegend der medizinischen Versorgung der Opfer widmet (u.a. gefördert durch die Stiftung „Erinnerung und Zukunft“, die wiederum ein Teil der Stiftung EVZ ist), sind die Schwerpunkte der Vereinigung „Verständigung“ soziale Projekte und persönliche Betreuung der Opfer in Belarus und Estland. Dazu gehören Begegnungsprojekte ebenso wie Amtshilfe und Unterstützung im Alltag einschließlich Reparaturarbeiten etc. Eine Kooperation mit der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ gibt es aus verschiedenen Gründen nicht mehr, die Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt, die sich primär der historischen Aufarbeitung der Geschichte in Form von Gesprächsrunden und Publikationen verschrieben hat, dagegen findet regelmäßig statt. Das größte Programm unter dem Dach der Vereinigung „Verständigung“ ist der „Treffpunkt Dialog“, Teil des Förderprogramms der Stiftung EVZ für Belarus, Russland und die Ukraine.

Die Vielfalt der Initiativen hier in Belarus, aber auch die anhaltende Finanzierung aus Deutschland hat mir imponiert, zumal sich daraus wohl zunehmend Projekte aus belarussischer Eigeninitiative im Bereich der bisher eher vernachlässigten Seniorenprogramme und -angebote entwickeln, wie mir die Leiterin der Vereinigung „Verständigung“ erzählte. Ehrlich gesagt, bin ich noch nicht mal ganz sicher, ob ich alle Zusammenhänge und Strukturen richtig verstanden habe. Es ist schon fast wie bei den Initiativen zu Tschernobyl – es ist schwer, den Überblick zu behalten. Genau deshalb aber macht mich diese beeindruckend breite Palette der Unterstützung ehemaliger NS-Opfer auch ein bisschen nachdenklich. Wenn ich es nicht besser wüsste aus meinen Erfahrungen hier in Belarus, dann würde ich sagen, ein bisschen Zentralismus kann manchmal auch nicht schaden.

11.11.2011 – Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

Mitglieder einer Re-Enactment-Gruppe in Uniformen deutscher Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Ein neuer Wind weht, was die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg betrifft. Ich hatte an dieser Stelle schon berichtet, dass in diesem Jahr der Friedhof im nördlichen Stadtzentrum für Gefallene bzw. im Krankenhaus verstorbene Soldaten wieder hergestellt wurde. Damit ist dieser wohl der einzige Friedhof des Ersten Weltkrieges im GUS-Raum, der so aufwändig und gezielt als Erinnerungsort angelegt wurde.

Dort fand nun am 11.11., dem Gedenktag an das Ende des Großen Krieges, unter dem Motto „Tag der Versöhnung“ (dreispachig in russisch, deutsch und englisch!) eine Gedenkfeier statt. Schon einmal hatte es 2008 eine Gedenkfeier am 11.11. in Baranoviči gegeben, die jedoch bei weitem nicht so aufwändig gestaltet war.

Einer kurzen Andacht von Geistlichen mehrerer Konfessionen in der kleinen Kapelle folgten Reden des belarussischen Informationsministers, des ungarischen (!) Botschafters sowie des Verteidigungsattachés der Russischen Föderation. Der deutsche Botschafter legte einen Kranz nieder, Vertreter russischer Kosakenverbände und verschiedene Einzelpersonen legten Blumen nieder. Die Zeremonie wurde durch die Anwesenheit von Vertretern einer Reenactment-Gruppe in deutschen und russischen Weltkriegsuniformen eingerahmt und mit Salutschüssen und einer Militärkapelle begleitet.

Im Anschluss fand ein Austausch von Meinungen zur Erinnerung an den Weltkrieg in der „Mitso“-Universität statt. Angekündigt war eine Konferenz, allerdings handelte es sich eher um eine Veranstaltung im Gedenken an die Soldaten des Krieges, die ebenso übrigens wie die Soldaten des „Großen Vaterländischen Krieges“ für Ihre Heimat gestorben seien. Angekündigt wurde die Errichtung einer neuen Gedenkstätte, die zum 100. Jahrestag de Kriegesbeginn eingeweiht werden soll.

Auch eine bekannte Talk-Show widmete sich immerhin eine ganze Stunde dem Ersten Weltkrieg. Unter der Leitung des Moderators Vjacheslav Bondarenko, einem Schriftsteller und Journalisten, der sich durch mehrere Publikationen zum Ersten Weltkrieg insbesondere in Belarus, hervorgetan hat („Vergessene Schlachten des Russischen Imperiums in Belarus“, 2010), befragte Historiker, Hobbyforscher, Militärvertreter und ausländische Militärattachés. Die Sendung war am 14.11.2011 auf ONT zu sehen.

Den Abschluss des Tages bildete ein Empfang des Verteidigungsministeriums, der in zahlreichen Toasts die Versöhnung zum 93. Jahrestag des Krieges besiegelte.

Greifbare Geschichte im Historischen Museum

Foto: http://en.belapan.com/archive/2011/10/26/en_media_vitaut/

Die Rekonstruktionen zweier historischer Figuren sind seit dem 24. Oktober im Nationalen Historischen Museum zu sehen: Großfürst Vytautas und der polnische König Jagiello. Die Figuren sind lebensgroß und wurden nach Abbildungen in historischen Quellen hergestellt. In Gesichtszügen und Kleidung, so das Museum, entsprechen sie dem historischen Vorbild möglichst nah. Genaueres ist hier nachzulesen.

Beide Figuren sind zentrale Persönlichkeiten der nationalen Geschichte, so der Direktor des Museums bei der Eröffnung. Unter Vytautas (1350-1430) gelangte der litauisch-polnisch-weißrussische Staat zu seiner größten Macht und Ausdehnung. Zusammen mit dem polnischen König Jagiello (1348?-1434) befehligte er die Armee in der Schlacht von Tannenberg (hierzulande „Grünwald“) 1410, in der der Deutsche Orden eine schwere Niederlage gegen das Großfürstentum Litauen und das Königreich Polen erlitt.

Beide Figuren sollen demnächst im Zentrum einer Sonderausstellung stehen.

Die Herstellung und Präsentation der Figuren ist übrigens nicht etwa der belarussischen Regierung, sondern Japan Tobacco International (JTI) zu verdanken. Das japanische Tabakunternehmen hat auch die neue Website des Museums, jetzt auf russisch und belarussisch, ermöglicht. Hier ein Video der Enthüllung der Figuren am 24. Oktober:

http://en.belapan.com/archive/2011/10/26/en_media_vitaut/ (Foto und Video)

Überreste von Soldaten in Brest gefunden

Bei Grabungsarbeiten des 52. Suchbataillons der Belarussischen Armee wurden Ende Oktober die Überreste von 58 Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden (BelaPan, 28. Oktober). Auf das Gelände aufmerksam geworden war der Suchtrupp durch eine Fotografie in dem Album eines deutschen Soldaten der 45. Infanterie Division der Wehrmacht. Die Aufnahme zeigte das Einschlagloch einer Bombe und Leichen in dem Krater.

Die Soldaten hatten an den Kämpfen um die Festung Brest im Juni 1941 teilgenommen. Mit Hilfe der ebenfalls gefundenen persönlichen Gegenstände war eine Datierung möglich. Die Beerdigung soll im November im Gelände der Festung erfolgen. Der genaue Ort wird derzeit aktiv im Internet diskutiert.

Kurapaty

Traditionsgemäß fand am 30. Oktober wieder eine Versammlung zum Gedenken an die in den 30er Jahren bis zu 200.000 in Kurapaty bei Minsk ums Leben gekommenen Opfer des Stalinschen Terrors statt (BelaPan 30.10.2011). Anlass war der Dzyady-Feiertag, der am 2.11. begangen wird. Im belarussischen Volkskalender ist der ursprünglich als „Tag der Erinnerung an die Vorfahren“ bekannte Gedenktag zum Gedenktag aller Opfer politischer Repressionen geworden, wie übrigens in Russland auch.

Von der Konservativen Christlichen Partei initiiert, war der Marsch dieses Mal von den Behörden genehmigt. Die verbotene weiß-rote Nationalflagge war ebenso zu sehen wie Banner oppositioneller Gruppen mit den Aufschriften „Lasst uns an die Opfer von Kurapaty erinnern!“. Die Erinnerung an die historischen Ereignisse wurde verbunden mit politischen Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen und der kritischen Analyse der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010.

Das Gedenken und die Reden in Kurapaty  selbst riefen zur Erinnerung an die nationale Vergangenheit Belarus’ in der Tradition des Großfürstentums Litauen auf. Die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und ihre Symbole, wie die weiß-rote Fahne, seien sehr wichtig für das nationale Selbstbewusstsein von Belarus. Dazu gehöre auch die Erinnerung an den Stalinschen Terror, an den die nunmehr fast 1.000 Kreuze in Kurapaty  gemahnten.

Zur näheren Information siehe: Temper, Elena (2008): „Konflikte um Kurapaty. Geteilte Erinnerung im postsowjetischen Belarus“, in: Osteuropa 6, S. 253-266.

Zum Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener

Jüngst fand im Rahmen des Projekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit“ der Stiftung Sächsische Gedenkstätten die letzte Übergabe sog. schicksalsklärender Dokumente an die Angehörigen in Belarus statt. Solche Zeremonien hat es in Belarus zuvor bereits in 2006 in Mogiljow, 2008 in Witebsk, 2009 in Minsk und 2010 in Gomel und Brest gegeben. Den Abschluss der Aktion bildete nun die Festveranstaltung in Grodno.

Hintergrund ist ein seit 2000 laufendes Projekt im Auftrag der Bundesregierung und unter Leitung der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Ziel ist die Digitalisierung aller Personalunterlagen der Wehrmacht zu sowjetischen Kriegsgefangenen, um diese für humanitäre und wissenschaftliche Zwecke eingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Zu den Partnern in Russland gehören der Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation, das Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, das Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (ZAMO) sowie die staatlichen Archivdienste und der FSB, in der Ukraine sind es das Staatliche Archivkomitee und der SBU (früher KGB) und in Belarus der KGB und die staatlichen Archivdienste.

Seit 2008 gibt es eine Datenbank im Internet zu sowjetischen Kriegsgefangenen und Kriegsgefangenenlagern auf der Grundlage sowjetischer und deutscher Dokumente. Mit Bezug darauf wenden sich immer wieder Menschen, darunter auch aus Belarus, an die Dokumentationsstelle mit der Bitte um Aufklärung des Schicksals ihrer Angehörigen.

Über die Aktivitäten im Rahmen des Projektes gibt es eine kleine Ausstellung, die derzeit in Grodno gezeigt wird.