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Wir sind noch in Minsk: Zur Lage des Militärattachéstabes

Entgegen der Meldungen der letzten Woche in belarussischen Medien sind wir noch hier. Dies ist insofern bemerkenswert, als mehrere belarussische Medien gemeldet hatten, dass wir bereits ausgereist seien. Hintergrund ist eine Meldung im SPIEGEL vom 2.12.2012 zur Entscheidung der Bundesregierung, den Militärattachéstab aus Minsk abzuziehen. Ein interkulturelles Missverständnis  könnte zu einer unterschiedlichen Auslegung dieser Nachricht geführt haben: Offenbar kann sich hier niemand vorstellen, dass eine Entscheidung der Regierung nicht augenblicklich auch umgesetzt werden muss. Die Meldung konnte also nur heißen, dass der Attaché schon weg ist. Diese logische Schlussfolgerung griff dann auch das Fernsehen auf. Höhepunkt war die TV-Sendung „Do svidanija, Niels“ [sic!], die am 4.12. von ONT ausgestrahlt wurde. Dieselbe Sendung wurde am Ende der Woche, in der man die Nachricht hätte überprüfen können, noch einmal ausgestrahlt.

Worum geht es? Hierzu zitiere ich aus dem SPIEGEL:

„Die Bundesregierung in Berlin wird den Militärattachéstab an der deutschen Botschaft in Minsk spätestens 2013 schließen. Sie reagiert damit auf die Unterdrückung der Zivilbevölkerung in Weißrussland: Dies schrieb Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey am vergangenen Dienstag in einem Brief an die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Susanne Kastner. Demzufolge ging der Entscheidung ein diplomatischer Disput zwischen Deutschland und Weißrussland voraus: Nachdem die Bundesregierung im September keine Verbesserung der Menschenrechtssituation dort feststellen konnte, hatte sie die Zusammenarbeit mit den Militärs in Minsk weiter eingeschränkt. Weißrussland fühlte sich dadurch provoziert und stoppte die bilaterale Militärkooperation mit der Bundeswehr. Als Reaktion darauf wiederum hat nun Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) entschieden, den Militärattachéstab ganz zu schließen. In Weißrussland herrscht seit 1994 der Diktator Alexander Lukaschenko. Dem Regime in dem osteuropäischen Staat werden schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt.“

Die erste Meldung in Belarus dazu erschien Montag früh (3.12.) im Internet auf der Website von Charta97. Für uns überraschend war, wer und wie viele unserer Partner das an sich verbotene Portal offenbar gründlich lesen. Neben den meisten persönlichen Bekannten und Freunden, die einer nach dem anderen anriefen, um sich nach dem aktuellen Stand zu erkundigen, konnte auch die zuständige Abteilung im belarussischen Verteidigungsministerium die Information nur von dort haben, so schnell wie der Anruf am Montag morgen kam. In der Folge griffen weitere unabhängige belarussische Internetmedien (BelaPAN, Interfax, ex-Press.by) die Meldung unter Berufung auf dpa und Deutsche Welle auf.

Eine offizielle Reaktion der belarussischen Seite erfolgte im Laufe des 3. Dezember durch den Sprecher des Außenministeriums, Andrej Sawinych. Diese lautete wie folgt: Die deutsche Seite sei berechtigt, die Struktur und die Richtlinien der Tätigkeit ihrer diplomatischen Vertreter zu bestimmen. Jedoch sei es aus der verlautbarten Formulierung verständlich, dass dies ein erdachter Schritt sei, der im Widerspruch zu den gesamteuropäischen Anstrengungen zur Festigung der Sicherheit stehe. Die belarussische Regierung sei der Meinung, dass diese Entscheidung mit der Zuspitzung des politischen Kampfes zwischen den Parteistrukturen innerhalb Deutschlands zusammenhänge. Deutsche Politiker, indem sie sich von Parteimanövern hinreißen ließen, verlören den gesunden Menschenverstand und fassten absurde Beschlüsse. In diesem Kontext könne man den Verteidigungsminister nur bemitleiden, denn wie bekannt, kenne die Absurdität keine Grenzen (www.mfa.gov.by vom 3.12.2012).

Ich hätte es nicht treffender formulieren können: Es ist absurd. Zu diesem Eindruck (freilich aus anderen Gründen als die belarussische Regierung) kommt man jedenfalls, wenn man sich die Entwicklung anschaut, die der Entscheidung vorausgegangen ist. Beeinflusst wurde diese wohl auch durch die unglückliche sommerliche Berichterstattung über die Kooperation der Bundespolizei mit der Polizei in Belarus. Um weiteren Druck der Medien zu verhindern hat man wohl kurzerhand beschlossen, dass nicht nur die polizeiliche, sondern auch die militärische Zusammenarbeit zu unerwünschten Fragen führen könnte – und stellt sie ein. Bereits zuvor hatte es kaum nachvollziehbare Einschränkungen der Arbeit hier vor Ort gegeben. Schon zu dieser Zeit war dies der einzige Militärattachéstab, der solchen Restriktionen unterliegt. Die jetzt im Spiegel angedeuteten Auseinandersetzungen auf diplomatischer Ebene sind letztlich selbst verursacht, eben indem die Zusammenarbeit immer weiter eingeschränkt wurde. Naturgemäß hat es Reaktionen der Belarussen gegeben. Die Spirale der Aktionen und Reaktionen hat sich letztlich verselbständigt bzw. auf beiden Seiten zu unterschiedlichen Informationsständen geführt, die kaum mehr zu beheben sind, ohne weitere Verstimmungen hervorzurufen. Der Hinweis der deutschern Seite auf die „angespannte Menschenrechtslage“ wird dabei in jeder beliebigen Nachricht über Belarus gebetsmühlenartig herangezogen. In Iran und Syrien freilich bleibt alles beim Alten: Die Militärattachés sind  nach wie vor im Dienst (Damaskus von Beirut). Also auch hier stellen wir wieder mal fest: Die Wege der Diplomatie sind unergründlich. Was all das genau für uns persönlich bedeutet, wird gerade an anderer Stelle beraten: Die offizielle Sprachregelung des Auswärtigen Amtes vom 3.12.2012 lautet: Aufgrund der aktuellen Lage hat die Bundesregierung entschieden, den Militärattachéstab in Minsk abzuziehen. Die organisatorischen Maßnahmen und detaillierte Zeitabläufe werden derzeit abgestimmt.

Derweil war selbst die traditionelle Weihnachtsfeier der Deutschlehrer mit dem Militärattachéstab ein Politikum, die Belarussen mussten kurzfristig absagen.

Wieder einmal hängt also das Damokles-Schwert über uns – wie schon einmal in diesem Jahr fürchten wir, dass unsere Zeit hier in Minsk schneller zu Ende geht, als wir es uns wünschen. Während wir im April und Mai mit einer Ausweisung durch Belarus als Reaktion auf die Sanktionen der EU gerechnet haben, sind wir aktuell ein Objekt deutscher Entscheidungsprozesse. Das Pikante dabei ist, dass wir (= Niels) selber schuld ist, weil er ausgesprochen hat, was alle wissen: Genau genommen ist ein MilAtt-Stab in Belarus nicht unbedingt erforderlich. Nachdem alle bisherigen Berichte in irgendwelchen Schubladen verschwunden sind, ist ausgerechnet dieser auf dem Schreibtisch des IBuK (für Nicht-Militärs: Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt = Verteidigungsminister) gelandet, der sich wohl dachte: Endlich sagt mal einer die Wahrheit und zack – Schluss mit dem schönen Diplomatenleben. Ich hätte nie gedacht, dass das Diplomatenleben in einem Land, das eigentlich keiner kennt und für das sich auch eigentlich keiner interessiert, so nervenaufreibend sein kann.