Verbrannte Dörfer

Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung von Städten und Dörfern in Belarus im Zweiten Weltkrieg mag es erstaunen, dass dieses Thema in der nationalen Forschung nicht mehr Beachtung findet. Bisher erinnerte nur die Gedenkstätte in Chatyn an das Schicksal tausender Dörfer, die zum Teil mit samt ihren Einwohnern während der deutschen Besatzung 1941 bis 1944 verbrannt wurden.

Dies scheint sich allmählich zu ändern. Seit einiger Zeit arbeiten der frühere Direktor der Nationalbibliothek, V. Selemenev, sowie die frühere Direktorin der Gedenkstätte in Chatyn, N. Kirillova, an einer Datenbank zu den verbrannten Dörfern. Die Arbeiten stehen im Zusammenhang mit einem Projekt der Belarussischen Friedensstiftung, das diese in Kooperation mit der Stiftung Verständigung und Aussöhnung durchführt. Letztere ist die Partnerorganisaiton für die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft bei der Auszahlung der Entschädigungszahlungen an die Zwangsarbeiter.

Zwar sieht das Projekt keine finanzielle Förderung der wissenschaftlichen Tätigkeit an der Datenbank vor, dennoch ist diese aus der Initiative hervorgegangen und kann bereits ein beeindruckendes Zwischenergebnis vorweisen. Ausgangspunkt ist die im Zusammenhang mit dem Bau der Gedenkstätte in Chatyn in den 60er Jahren erarbeitete Liste, die von 9.200 Dörfern ausgeht. Davon, so die bis heute offiziellen Angaben, wurden 619 Dörfer mitsamt ihren Einwohnern dem Erdboden gleichgemacht, 186 davon nicht wieder aufgebaut.

Schon jetzt hat die Arbeit an der Datenbank gezeigt, dass die Zahlen korrigiert werden müssen. Viele Dörfer wurden aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht erfasst, andere wurden in die Liste aufgenommen, auch wenn keine Menschen dabei ums Leben kamen, ohne dies jedoch zu differenzieren, einige Dörfer wurden nicht von den Deutschen, sondern von Partisanen zerstört – auch dies ist in der bisherigen Liste nicht kenntlich gemacht. Diese Defizite sollen mit der Datenbank behoben werden. Grundlage ist eine Tabelle, in der alle Dörfer erfasst sind, verbunden mit Zahlenangaben aus der Zeit vor und nach dem Krieg, Quellen- und Literaturangaben, Links zu eingescannten Archivdokumenten sowie Fotos aus der Nachkriegszeit und heutiger Gedenktafeln und –steine.

Bereits in diesem Jahr erschienen ist ein Buch der beiden Wissenschaftler mit Dokumenten zu den verbrannten Dörfern. Es ist dies, neben einer Publikation der Gedenkstätte in Chatyn aus dem Jahr 2010, die einzige neuere Veröffentlichung zu diesem Thema. Sieht man von wenigen älteren, noch zu Zeiten der Sowjetunion erschienenen Bücher ab, so beschränkt sich die Bearbeitung des Themas in Belarus bisher auf die Veröffentlichung von Dokumenten und Erinnerungen. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung fehlt bisher, wie übrigens auch in Russland.

Einen Anstoß zur weiteren Bearbeitung des Themas kann eine Konferenz bieten, die im Mai 2012 im Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges stattfinden wird. Gefördert vom Kulturministerium greift sie eine Initiative des deutschen Aktuellen Forums e.V. auf, das seit einigen Jahren Konferenzen zu den verbrannten Dörfern durchführt, bisher in Berlin/Köln (2006), Lidice (2008) und Banská Bystrica (Slowakei, 2010).