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Zeitgenössische Kunst in der Galerie Ȳ

Die gestrige Eröffnung der Ausstellung „Wie in einem schrecklichen Märchen“ möchte ich nutzen, um endlich über die einzige unabhängige Galerie für zeitgenössische Kunst zu berichten. Leicht versteckt in einem typischen Minsker Hinterhof, bildet die 120 m² große, 2009 gegründete Galerie den Mittelpunkt einer Reihe von Geschäften und Einrichtungen der alternativen Jugend- und Kunstszene. Dies war gestern Abend wieder mal eindrucksvoll zu erleben: Eine erfrischend schräge Mischung aus jungen und ganz jungen Leuten, vielen Künstlern und Literaten, aber auch „ganz normaler“ mittelalter Besucher und einigen Ausländern. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand zunächst die Eröffnung der Ausstellung des Künstlers Michail Senk’kov, der eine Reihe von Gemälden und Graphiken in seiner ersten Einzelausstellung präsentierte. Eindrucksvoll in ihrer Wirkung und technisch präzise in der Ausführung sind seine Werke Ausdruck für die inneren Konflikte, Ängste und Träume des Künstlers. Verstärkt wurde die zugleich beklemmende wie inspirierende Atmosphäre durch den Auftritt von Schauspielern des Freien Theaters, die in eindrucksvollen Kostümen die Fantasie der Märchenwelt in die Galerieräume trugen.

Draußen vor der Tür wurde alsbald ein Feuer in einer alten Tonne entzündet – endlich mal wieder ein Gefühl wie in Berlin-Kreuzberg – und die Gespräche bei einem Glas Wein, einer Flasche Bier und einer Zigarette fortgesetzt. Der Galerieshop (mit seinem in Minsk einzigartig originellen Angebot), das Designer-Büro direkt neben der Galerie, war ebenso geöffnet wie das Café Malako, das sich auf wohltuende Weise von den sonst entweder teuren und schicken, provisorisch in einem Zelt untergebrachten oder standarisierten Cafés in Minsk unterschiedet. Allein die Buchhandlung des Verlags Loginoȳ mit ihrem reichen Angebot an belarussischer (Naša Niva, PARTisan, Arche etc.) sowie nicht überall zu habender russischsprachiger Literatur war nicht mehr geöffnet.

Das Programm der Galerie kommt bereits in ihrem Namen zum Ausdruck, dem Buchstaben ȳ, den es nur im belarussischen Alphabet gibt. Dies verweist auf den Programmschwerpunkt der Galerie: belarussische Künstler sowie solche, die mit ihrem Werk in Beziehung zu Belarus stehen. Galina Kisiljova, eine der beiden Direktorinnen, ist selbst zugezogen, nicht mit belarussisch als Muttersprache aufgewachsen und spricht zur Eröffnung auch russisch. Dafür die ist Internetseite der Galerie nur auf belarussisch, für eine englische Variante hat bisher das Geld nicht gereicht. Überhaupt ist das der wunde Punkt: Die Galerie ist im wesentlichen auf Eigenmittel angewiesen, Sponsoren finden sich nur selten und das System der Spenden oder eines Freundeskreises ist in Belarus bisher nicht sehr verbreitet. Staatliche Unterstützung gibt es keine, dafür zwischendurch eine Projektförderung durch den German Marshall-Fund oder das Goethe-Institut im Rahmen des Programms für Kulturmanager. Insgesamt vier Personen arbeiten in der Galerie, die neben dem Ausstellungsraum über ein winziges Büro und einen Lagerraum verfügt. Von Anfang an hat das Projekt Resonanz in internationalen Künstlerkreisen gefunden, der sich mit den Jahren stetig erweitert. Leider ist es nur selten möglich, die zum Verkauf stehenden Arbeiten der Künstler in einem Katalog zu veröffentlichen. Ernsthafte Probleme mit „den Behörden“ gab es bisher nicht, wenngleich die Arbeit schwierig bleibt. Doch das Engagement lohnt sich, die Galerie ist ohne Zweifel ein besonderer Ort in Minsk.

Interview mit den beiden Leiterinnen: http://news.tut.by/146438.html

Weiteres zur zeitgenössischen Kunst in Belarus: www.art-belarus.com

„Tag des belarussischen militärischen Ruhmes“

http://belapan.com/archive/2011/09/08/media_voin_slava/

Eben diesen galt es gestern, am 8. September, zu feiern. Es ist ein Gedenktag der demokratischen Öffentlichkeit in Belarus. Er geht zurück auf das historische Datum des Sieges der Truppen des Großfürstentums Litauen über die Truppen des Moskauer Fürstentums 1514 bei Orscha, mit dem das Großfürstentum seine Unabhängigkeit behauptete. Hierzulande handelt es sich um einen inoffiziellen Feiertag, an den erst seit den 80er Jahren erinnert wird. 1992 wurde er feierlich auf dem Platz der Unabhängigkeit in Minsk mit der Vereidigung von Soldaten und Offizieren der Streitkräfte begangen. Da das Gedenken an das Großfürstentum als wichtigen Bezugspunkt der nationalen Unabhängigkeit und belarussischen Kultur offiziell nicht erwünscht ist und mit der politischen Opposition in Verbindung gebracht wird, sind größere Veranstaltungen zu diesem Datum nicht denkbar. Dennoch tauchte die (verbotene) rot-weiße Flagge in diesem Zusammenhang hier und da auf. Wie wichtig der Tag für das nationale Selbstverständnis ist, zeigt die Tatsache, dass Belarussen in anderen Ländern daran erinnern, wie das Foto aus Warschau zeigt.

Gelenktes Gedenken

Ich nutze ein weiteres Mal die Quelle von BelaPAN, deren gestrige Meldung einer Denkmalenthüllung ich aufnehmen möchte. Demnach gibt es in der Stadt Sjanno (Bezirk Vitebsk) seit heute ein neues Monument, für die Soldaten der Roten Armee, die im Juli 1941 in der dortigen Panzerschlacht gekämpft haben. Glaubt man dem Pressebüro des Verteidigungsministeriums, handelte es sich um die „größte Panzerschlacht der Weltgeschichte“, an der mehr Panzer und gepanzerte Fahrzeuge betilgit waren, als in Kursk.

Wie wichtig diese Einschätzung ist, belegt die Anwesenheit des Verteidigungsministers bei der Enthüllung. Mit dem Denkmal soll diese lange wenig beachtete militärische Auseinandersetzung gewürdigt und ein weiteres Mal der „Falsifizierung der Geschichte“ entgegengewirkt werden. Dahinter steht aber noch etwas anderes, nämlich die Betonung der besonderen Leistung der Belarussen (gegenüber Russland!) im Kampf gegen den Feind, der in dieser frühen Phase des Krieges zurückgedrängt werden konnte und erhebliche Verluste erlitten habe. Damit sei auf belarussischem Gebiet bereits 1941 der Grundstein für den Gesamtsieg gelegt worden.

An der Meldung fällt zweiterlei auf: Wie viele Panzer auch immer es genau waren, allein der überholte Vergleich mit Kursk zeigt, dass es hier weniger um Forschungsergebnisse, als um Superlative geht. Schon lange hat die Wissenschaft die Zahlen der an der Schlacht im Kursker Bogen beteiligten Panzer nach unten korrigiert. Ein Blick in die Geschichte des Ortes legt zudem nahe, dass von etwas anderem abgelenkt werden soll. Sjanno war bis zum Krieg jüdisch geprägt, woran heute nur wenige Spuren in der Stadt erinnern, wie z.B. eine Gedenktafel.

Belhistory.com

So lautet die Internetadresse eines Portals zur weißrussischen Geschichte. Über Texte, Ton- und Filmdateien sowie eine Fotogalerie historischer Persönlichkeiten kann man sich hier über die Geschichte des Landes informieren, vorausgesetzt man hat keinen wissenschaftlichen Anspruch und erwartet weiterführende Anmerkungen oder Literaturhinweise. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des Großfürstentums Litauen, über dessen Ausmaß, Kultur und Geschichte als Grundlage für das heutige nationale Selbstverständnis hier näher informiert werden soll.

Betrieben wird das Portal von der Initiative Budzma Belarusami, zu deutsch etwa „Lasst uns Belarussen sein“. Dahinter steht eine Reihe von kulturellen und gesellschaftlichen Initiativen und Vereinigungen, die sich die Vermittlung der belarussischen Sprache und Kultur durch Veranstaltungen, Buchpräsentationen und Angeboten im Internet zum Ziel gesetzt haben. Konsequenterweise wird dieses Portal ausschließlich auf belarussisch angeboten, während bei Belhistory.com einige Texte auch in russischer Sprache zu finden sind.

Seit kurzem ist auf beiden Portalen ein Kurzfilm zur Geschichte zu sehen (und bei www.budzma.org nachzulesen). Im Rap-Stil und originellem Design wird die Geschichte von Belarus in gut 5 Minuten von den Anfängen, über die Christianisierung, das Großfürstentum Litauen, die polnischen Teilungen und Napoleon bis ins 20. Jh. erzählt. Die Weißrussische Volksrepublik 1918 kommt ebenso vor wie die Gründung der Zeitschrift Naša Niwa, der Überfall der Deutschen 1941 und die Zeit nach 1945. Bezeichnenderweise endet die Erzählung 1991 mit der Erlangung der Unabhängigkeit. Text und Musik stammen von dem hierzulande bekannten Sänger Ljavon Volski.

Deutscher Soldatenfriedhof in Schatkowo

Vor Kurzem wurde ein weiterer Friedhof für deutsche Soldaten des Zweiten Weltkrieges in Belarus eröffnet. Das großzügige Gelände, geschützt in einem großen Wald gelegen, befindet sich im Gebiet Mogiljew unweit der Stadt Bobruisk. Dort wurde am 2. Juli 2011 die Eröffnung des Friedhofs nach einer Erweiterung und Neugestaltung durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge vorgenommen. In Anwesenheit zahlreicher Angehöriger, die aus Deutschland angereist waren, sowie von Kirchenvertretern und weiteren Gästen wurden die Überreste von fünf Soldaten beigesetzt.

Der Friedhof ist derzeit Ruhestätte für 15.000 deutsche Soldaten, bis zu 40.000 können hier in Zukunft noch beerdigt werden. Insgesatm sind 200.000 deutsche Soldaten zwischen 1941 und 1943 im heutigen Belarus ums Leben gekommen. Noch immer sind viele nicht gefunden worden oder ihre Grabstätte ist weiterhin unbekannt.

Die nachhaltige Suche und das Bemühen des Volksbundes um die Toten löst in Belarus zwiespältige Gefühle aus. Nicht immer erfolgt die Suche nach den eigenen Soldaten und Kriegsopfern mit demselben Engagement, zumal eine Identifizierung der sowjetischen Soldaten aufgrund unvollständiger Registrierung und des Erkennungszettels aus Papier ungleich schwieriger ist. Hinzu kommt die Zurückhaltung der Regierungsbehörden in der Unterstützung des Volksbundes: Bis heute ist das Kriegsgräberabkommen von Mitte der 90er Jahre nicht vom weißrussischen Parlament ratifiziert worden. Damit hängt die Zusammenarbeit von den einzelnen Bezirksbehörden ab, die der Arbeit des Volksbundes in der Regel allerdings aufgeschlossen gegenüber stehen. Auf beiden Seiten ist man sich einig über die Notwendigkeit und zukunftsweisende Absicht der Erinnerung an alle Opfer des Krieges. Dies zeigt auch die Kranzniederlegung an einem Denkmal für die gefallenen sowjetischen Soldaten durch den VDK und alle anwesenden Gäste, zu denen der deutsche Botschafter, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Wolfgang Schneiderhan sowie der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland gehörten, vor der Einweihung des deutschen Friedhofs.

Die Kranzniederlegung am sowjetischen Ehrenmal.

Weitere Informationen bietet ein Bericht von Elfie Siegl in der Sendung SCALA auf WDR 5 am 31.7.2011:

http://www.wdr5.de/fileadmin/user_upload/Sendungen/Alte_und_neue_Heimat/2011/07/Manuskripte/07_31_siegl_weissrussland.pdf

Planerfüllung im Museum

Wieder mal ein schönes Beispiel für die staatlich reglementierte Kulturpolitik ist der jüngste Beschluss des Ministeriums vom 28. Juli (Meldung bei der Nachrichtenagentur Belapan). Demzufolge müssen alle Museen, die zum Kulturministerium gehören, bis Ende 2012 eine Website aufweisen können.

Ebenfalls vorangetrieben und bis 2015 abgeschlossen sein soll die digitale Erfassung der Sammlungen, die dann online zugänglich sein sollen. Bisher nutzen 125 von 153 Museen eine Software für die Sammlungsverwaltung. Bereits seit im September 2010 existiert ein Nationaler Sammlungskatalog, in den bisher 4.000 Objekte eingespeist wurden. Besser aufgestellt sind die Bibliotheken des Landes, von denen nach Aussage des Ministeriums alle bereits ans Internet angeschlossen sind.

Archäologisches Museum im Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften

Foto: http://www.history.by/rus/exposition.html

Klein, aber fein ist die Ausstellung zur Geschichte der archäologischen Forschung in Belarus im obersten Stock des Gebäudes, in dem sich auch das Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften befindet (Экспозиция „Развитие археологической науки в Национальной академии наук Беларуси“ при ГНУ Институт истории НАН Беларуси“). In zwei Räumen bietet die überraschend modern gestaltete Ausstellung einen Überblick über verschiedene Ausgrabungsorte und Funde auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

Das nach Voranmeldung öffentlich zugängliche kleine Museum dient vorrangig der Ausbildung von Studierenden. Für sie werden Formen und Exemplare archäologischer Funde auf einzeln verschiebbaren Tafeln zum Vergleich präsentiert. Großfotos, kleine Inszenierungen und moderne Vitrinen hinterlassen einen professionellen Eindruck. Auffällig sind die durchweg belarussiche und englische Beschriftung aller Exponate – ein Service für den Einzelbesucher, den man nur selten in weißrussischen Museen findet. Einführende Texte zur Einordnung einzelner Fundorte wünscht man sich dagegen leider vergeblich.

Das Museum zeigt nur einen kleinen Teil der weitaus größeren Sammlung der Akademie der Wissenschaften. Diese hat im Zweiten Weltkrieg stark gelitten, große Teile wurden nach Deutschland verbracht. Von dem, was nach dem Krieg zurückgegeben wurde, gelangten viele Exponate aufgrund der sowjetischen Verteilungsstruktur an andere Museen im ganzen Land. Mit dem vorhandenen Bestand sollte bereits 1963 ein Museum eröffnet werden. Dieses Vorhaben wurde jedoch erst 2006 realisiert.

Zur Ausstellung gibt es eine russisch- und englischsprachige Broschüre sowie Informationen im Internet.

3. Juli – Nationalfeiertag

Die Gedenktafel an dem T-34 ist nicht korrekt, so der Autor eines Artikels der Belarussischen Militörzeitung vom 12.5.2011.

Am kommenden Sonntag ist es wieder soweit: Mit Pomp und Parade feiert die Republik Belarus ihren Nationalfeiertag. Schon jetzt hängen riesige Plakate in der Innenstadt, die Hauptachsen werden nachts regelmäßig für den Verkehr gesperrt, um für die große Militärparade zu üben. Und damit es keine Missverständnisse gibt, liest man allenthalben: „Tag der Unabhängigkeit (= Tag der Republik Belarus)“. Diese Erklärung ist offenbar nötig, denn in der Tat gibt es unterschiedliche Anasichten, welches der wahre Nationalfeiertag ist.

Von 1991 bis 1996 war es der 27. Juli, der Tag, an dem die Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik im Jahre 1991 ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Im November 1996 machte dann Präsident Lukaschenko mit Hilfe eines umstrittenen Referendums den 3. Juli zum Tag der Unabhängigkeit und Nationalfeiertag.

In oppositionellen Kreisen, in der belarussischen Emigration sowie für viele Menschen im Land gilt schließlich der 25. März als Nationalfeiertag. Dies ist der Tag der Gründung der „Weißrussischen Volksrepublik“ im Jahre 1918, die freilich nur bis zum Herbst 1918 Bestand hatte, für viele aber heute zu einem Symbol staatlicher Souveränität geworden ist.

Historisch geht das heutige Datum des Feiertages, also der 3. Juli, auf den Tag der Befreiung der Hauptstadt Minsk von der nationalsozialistischen Besatzung durch die Roten Armee im Rahmen der militärischen Operation Bagration zurück. Ursprünglich allein zur Befreiung von Minsk gedacht, weitete sich die Operation aus und fügte der deutschen Heeresgruppe Mitte entscheidende Verluste bei, und führte letztlich zu deren Zusammenbruch. Die Folge war das Ende der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten auf sowjetischem Territorium und die Auflösung der Lager. So wurde das Ghetto Minsk am 21.10.1943 aufgelöst und die letzten 2.000 Einwohner im nahe gelegenen Vernichtungslager Malyj Trostenec ermordet.

Auch diese Inschrift in Zaslavl wurde im April durch eine weitere in der Nähe ergänzt und damit präzisiert.

Mehr als die Schrecken der Besatzungsherrschaft wird heute offiziell jedoch noch immer der militärischen Erfolge der Roten Armee gedacht. Vor diesem Hintergrund wird auch die erhoffte Symbolkraft und Wirkungsmacht der Militärparade verständlich. Ein nationaler Konsens kann offenbar jedoch auch hier nicht hergestellt werden. So beschreibt ein Artikel in der „Belarussischen Militärzeitung“ vom 12.5.2011 ausführlich die militärische Operation zur Befreiung der Stadt und weist anschließend minutiös nach, dass zahlreiche der seit Jahren im Stadtbild und der Umgebung befindlichen Gedenk- und Erinnerungstafeln falsche Inschriften zeigen. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Tafeln vom Kulturministerium, dem Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften und anderen zuständigen Behörden angebracht wurden. Diese ruft der Autor, ein Kriegsveteran und Generalmajor im Ruhestand, nun in einer offiziellen Zeitung zur Korrektur auf – natürlich nur, um auch hier der allseits verbreiteten „Falsifikation der Geschichte“ entgegenzutreten.

Ein Urwald mitten in Europa

Als ich neulich in der Zeitschrift „Kulturaustausch“ über die Bedeutung des Bisons in Belarus las, habe ich sofort bedauert, dass ich es in fast neun Monaten noch nicht geschafft habe, hier in Belarus eines dieser Urviecher mit eigenen Augen und nicht im Zoo zu sehen. Zuletzt habe ich eines im Heimattiergarten [sic!] in Fürstenwalde gesehen. Oder waren das Wisente? Nicht, dass das wirklich wichtig wäre, aber die Tiere tauchen mit großer Regelmäßigkeit und Prominenz in der belarussischen Tourismuswerbung auf. Da wäre es doch interessant zu wissen, ob nun Bisons oder Wisente gemeint sind, oder nicht?

Ein guter Anfang scheint mir die beliebte Wodkamarke „Zubrovka“ zu sein. Sie bildet einen grimmig dreinschauenden Bullen dieser Rasse ab. Ich folge dieser Spur und lerne als erstes, dass es sich bei Zubrovka um eine Grassorte handelt, jedenfalls im russischen Wörterbuch. Im weißrussischen Pendant ist davon nur noch das daraus gebraute alkoholische Getränk übrig. Soweit so gut. Weitere ethymologische Nachforschungen bringen mich zum Zubr– russisch und weißrussisch (!) für Wisent. (Der russische Zubr ist zugleich ein Erzreaktionär, aber das ist sicher eine andere Geschichte.) Mit dem Bison ist es einfacher, es ist sowohl in Russland als auch in Belarus ein Bison. Und genau davon schreibt in der erwähnten Zeitschrift der weißrussische Journalist Anton Trafimowitsch und der muss es doch wissen. Also noch mal von vorne.

Wer in Weißrussland eines dieser riesigen Tiere zu Gesicht bekommen will, womit wir wieder bei der Tourismuswerbung wären, fährt in Richtung polnischer Grenze. Dort befindet sich der einzige Urwald in Europa, der Białowieża-Nationalpark – natürlich unter UNESCO-Naturerbeschutz. Das 150.000 ha große Gelände gehört zu Polen und zu Belarus und bietet eine schier unglaubliche Fülle von Flora und Fauna. Dazu gehören auch – Wisente. Ihr zoologischer Name lautet Bison bonasus, womit wir der Verwirrung schon näher kommen. Unglücklicherweise stoße ich gerade hier (und nur hier) auch auf Zubrons (immerhin bringt mich das wieder zu dem Wodka zurück), bei denen es sich offenbar um eine Kreuzung zwischen Rind und Wisent handelt. Erwartungsgemäß wenig zur Klärung tragen diverse Seiten über den Jagdtourismus in Belarus bei. Den Nutzern dieser Informationen scheint es egal zu sein, ob sie Wisente, Bisons oder Zubrons erlegen. Zubrovka wird jedenfalls genug dabei fließen.

Das belarussische Internetportal www.zubr.com weiß zwar gar nichts über seinen Namensgeber zu berichten, bestätigt aber immerhin die offenbar nationale Bedeutung, die das Tier für Weißrussland hat. Eine wahrlich diplomatische Lösung bieten schließlich die englischsprachigen Websites, die vom „European bison“ sprechen, womit wieder einmal zweifelsfrei erwiesen wäre, dass Belarus mitten in Europa liegt, was wir ja von Polen schon lange wissen.

Museumskonferenz für den russischsprachigen Raum

Vom 10. bis 14. Mai fand in Minsk mit Unterstützung durch die Kulturministerien Russlands und Belarus’ die jährliche ADIT-Konferenz statt. ADIT ist eine russische, nichtkommerzielle Vereinigung (die Abkürzung steht für „Automatisierung von Museumsaufgaben und Informationstechnologie), die sich der Vernetzung und Kommunikation in Museen widmet. 1996 gegründet, ist sie aus der Tätigkeit des ICOM-Sonderkomitees CIDOC (International Committee for Documentation) als russischsprachiges Nationalkomitee hervorgegangen. ADIT veranstaltet jährliche Konferenzen, die bisher immer in Russland, 2011 erstmals in einem der Nachbarländer stattgefunden haben, gibt Bücher und Internetpublikationen zu verschiedenen Aspekten der Informationstechnologie in Museen heraus und veranstaltet Fortbildungsseminare.

Die diesjährige Konferenz war keinem speziellen Thema gewidmet, hatte aber aufgrund des Veranstaltungsortes einen Schwerpunkt auf den Museen in Minsk und Belarus. Neben zahlreichen, leider meist sehr kurzen, schlecht moderierten Vorträgen, die unmittelbar aufeinander folgten und kaum Raum für eine Diskussion ließen, gab es eine Präsentation von

Internet- und Multimedia-Präsentationen verschiedener Museen in der Nationalbibliothek. Themenschwerpunkte der Beiträge waren die Vernetzung von Museen, Bibliotheken und Archiven, multimediale Anwendungen in Ausstellungen, computergestützte Verwaltungssysteme und die Arbeit mit Kindern im Museum.

Ein weiterer zentraler Programmpunkt waren die Workshops für Anfänger und Fortgeschrittene zu dem Informationssystem KAMIS. Dabei handelt es sich um eine Museumssoftware einer Petersburger Firma für alle Arbeitsbereiche von Sammlung über Verwaltung, Leihverkehr und Restaurierung, das in vielen russischsprachigen Museen im Einsatz ist, bei weitem aber nicht das einzige Programm für diese Zwecke ist.

Insgesamt war die dreitägige Konferenz eine ideale Plattform für die Vernetzung der russischsprachigen Museumsszene und einen Einblick in die aktuellen Themen und Tendenzen der Region. Wer in diesem Feld auf dem Laufenden bleiben will, dem sei eine Teilnahme im kommenden Jahr empfohlen. Die Thesen der Vorträge sind in einer Broschüre bereits zur Konferenz erschienen (ISBN 978-985-459-210-7), die Konferenzberichte sind in Kürze auf der Website von ADIT zu finden.

Ein Museum für Valentin Vankovič

Etwas zurückgesetzt an einer Straße mitten im Zentrum hinter dem Kulturpalast liegt das Memorialmuseum für Valentin Vankovič. Dieser Museumstyp war schon zu Sowjetzeiten sehr verbreitet und findet sich heute noch häufig in Russland, Belarus und der Ukraine. Gemeint ist ein, meist kleines Museum oder einige Räumlichkeiten in einem Gebäude, die biographisch mit einem Künstler, Literaten oder Musiker verbunden sind und eher Andenken und Verehrung, als Dokumentation und wissenschaftlicher Aufarbeitung gewidmet sind. Ihren ganz besonderen Reiz beziehen diese Museen für mich daraus, dass meist mehrere ältere Damen ein strenges Regime führen, auf das Wohlverhalten in den Ausstellungsräumen achten und den wenigen Besuchern persönlich Anekdoten aus dem Leben des Künstlers und rund um die als Ikonen erehrten Objekte erzählen.

So ist es auch im Falle des Museums für diesen, wie ich im Museum erfahre, berühmten Vertreter der weißrussischen Romantik. Vankovič lebte von 1800-1842, verbrachte aber nur wenige Jahre in seiner Heimat, in Minsk. In diesen Jahren befand sich eine seiner Werkstätten in diesem Haus seines Cousins. Die ersten beiden Säle zeigen Dokumente und Gemälde zu Leben und Werk des Malers, dessen Portraits von u.a. von A. Puschkin P. Vjazemskij und A. Mickewicz in Museen in Polen, Litauen, Frankreich, Italien und Russland hängen. Dagegen findet sich kein einziges Original in Belarus, wo er indes als nationaler Künstler reklamiert wird. Aus polnischer Perspektive freilich ist das ebenso.

Die folgenden drei Säle zeigen (meist Kopien) von Portraits bekannter und weniger bekannter Zeitgenossen, kombiniert mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen aus der Zeit Ende des 18./ Anfang 19. Jahrhunderts. Hier vermittelt sich die Atmosphäre eines städtisch-adeligen Lebens in Minsk zu dieser Zeit.  Passend zu diesem Rahmen veranstaltet das Museum regelmäßig Konzerte auf dem hauseigenen Flügel, Lesungen und andere kulturelle Veranstaltungen.

Das Museum befindet sich in der Internationalnaja Straße 33a und ist eine Filiale des Nationalen Kunstmuseums, wo man auch weitere Informationen erhält.

Der Große Krieg oder der Erste Weltkrieg II

Der herannahende 100. Jahrestag seit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfährt in Belarus eine noch vor 10 Jahren undenkbare Aufmerksamkeit. Am nördlichen Zentrum von Minsk wird ein erst kürzlich entdecktes Massengrab in eine Parkanlage verwandelt. Und erst im letzten Jahr erschien eine Publikation über die „Soldatengräberanlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Belarus“. Die auf deutsch und russisch erschienene Broschüre im DIN A 4-Format enthält neben einer Einleitung zweier belarussischer Historiker (Anatolij Scharkow und Wjatscheslaw Selemenew) eine Übersicht über die nach Gebieten geordneten Gedenksteine, Friedhöfe und Denkmäler in Belarus nebst kurzer Beschreibung, einem Foto und einer Zustandsbeschreibung.

Die Ausgabe wurde vom Österreichischem Schwarzen Kreuz und dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge finanziert und herausgegeben. Neben Vorworten von Vertretern dieser beiden Einrichtungen, gibt es ein Vorwort des Leiters des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung in Graz sowie ein „Verzeichnis der österreichischen Gefallenen, die nahe Bereza im gebiet Brest begraben sind“.

Das Heft stellt eine gute Grundlage für weitere Forschungen zum Ersten Weltkrieg in Belarus sowie die Erinnerung an diesen in der Sowjetunion fast vergessenen Krieg dar.

Der Große Vaterländische Krieg II: 8. Mai

Ich habe selten einen so traurig-bewegten Nachmittag erlebt wie heute. Und das, obwohl ich mich in den letzten sechs Monaten schon richtig an die russischen Schlager gewöhnt habe. Beim Kochen, auf der Eisbahn oder im Autor machen sie durchaus gute Laune. Nicht so heute, obwohl genau das wohl die Absicht war.

Wir waren beim „Festakt“ und „Feiertags-Konzert“ im Palast der Republik anlässlich der Eröffnung der Feierlichkeiten zum Tag des Sieges am 9. Mai. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, ob es daran liegt, dass wir nun mal die Deutschen sind. Sicher, das spielt eine Rolle, wohl habe ich mich nicht in meiner Haut gefühlt. Aber das war es nicht allein, mal ganz abgesehen davon, dass Russen, Weißrussen, Chinesen und alle anderen einem ohnehin unbekümmert zum Feiertag gratulieren.

Nein, vielmehr war es die Anstrengung der Belarussen, um jeden Preis und ausschließlich ein Fest aus dem Sieg zu machen. Was er zweifellos war; aber eben nicht nur. Kein Wort von den Opfern unter den Soldaten und der Zivilbevölkerung oder der deutschen Vernichtungspolitik, keine Rede von den verbrannten Dörfern und den ermordeten Juden.

Das gehört nicht in ein „feierliches Konzert“, aber ist dieses Format der Erinnerung überhaupt angemessen? Ja, vielleicht, und wenn es auch nur für die (noch immer) zahlreich anwesenden Veteranen so ist. Und doch: Wie fühlen gerade diese Menschen sich, die den Krieg erlebt haben, die dabei waren, die selbst gekämpft und gelitten haben? Ist es allein die Würdigung in diesen Tagen oder ist es nicht doch auch die bittere Erkenntnis, dass sich nicht wirklich jemand für den Krieg interessiert? Interessiert, indem nachgefragt, diskutiert und aufgearbeitet wird.

Sieht man von den wenigen Initiativen jenseits der staatlich organisierten Erinnerung ab, wie z.B. der Geschichtswerkstatt, dann gibt es eine ernsthafte, ehrliche und schonungslose Auseinandersetzung mit dem Krieg in Belarus bis heute nicht. Es müsste – neben der nationalsozialistischen Ideologie der „Untermenschen“, der Ausrottung der Juden, die einen großen Teil der Bevölkerung von Belarus vor dem Krieg ausmachten, von den Konzentrationslagern und der Zwangsarbeit – die Rede sein von den ersten Jahren der Sowjetunion mit Kollektivierung und Industrialisierung, von den „Säuberungen“ in der Armee und dem Großen Terror gegen die Bevölkerung, von der menschenverachtenden Kriegführung Stalins, von der Behandlung der Kriegsgefangenen in der Sowjetunion nach dem Krieg, von der Angst der Bevölkerung vor den Partisanen und der Glorifizierung des „Volkssieges“. Von all dem herrscht weitest gehend Schweigen.

Stattdessen singen Stars und Sternchen jedes Jahr dieselben, alt bekannten sowjetischen Kampflieder, danken Kinder ihren Großeltern für ihren Heldenmut und tanzen die Partisanen im Wald in der Vorfreude des Sieges. All das vor dem Hintergrund einer Rede des Verteidigungsministers, der die historische Linie von der Entscheidung Belarus’, im Verbund der Sowjetunion gegen den „Faschismus“ zu kämpfen zu der Wahl Lukaschenkos 1994 und den letzten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 zieht. Vielleicht bin ich allein mit diesem Gefühl, aber ich hatte Mitgefühl mit den Veteranen, die noch immer instrumentalisiert werden, und mit den vielen Menschen in Belarus, die sich schon lange nicht mehr allein über den Krieg definieren. Als ich nach dem Konzert auf dem Boulevard im Stadtzentrum in der Maisonne zwischen jungen und alten Belarussen nach Hause ging, fühlte ich mich ihnen ganz nah – am Tag des historischen Sieges über das nationalsozialistische Deutschland, wie sie nach neuen Anknüpfungspunkten in ihrer Geschichte, Sprache und Kultur suchen, ohne sie bisher wirklich gefunden zu haben.

Chatyn: Museum

Der erste Raum des Museums.

Das 2004 am Eingang der Gedenkstätte an die verbrannten Dörfer in Chatyn, 30 km nördlich von Minsk, eröffnete, freilich sehr kleine Museum soll dem Besucher die historischen Informationen vermitteln, die er benötigt, um die vielschichtige Gedenklandschaft im Außengelände zu verstehen. Dies gelingt nur bedingt. Zwar sind die Gestaltung und einige Elemente durchaus modern: So werden, wie bisher nur in wenigen weißrussischen Museen, im ersten Saal mit Fotos und Dokumenten auf die Vorgeschichte des Überfalls auf die Sowjetunion verwiesen und andere Kriegsschauplätze erwähnt. Texte zur Einordnung oder Erklärung fehlen jedoch in der gesamten Ausstellung.

Der zweite Raum ist den Ereignissen in Chatyn und der Erinnerung durch die wenigen Überlebenden gewidmet. Hier findet der Besucher Kopien von Archivdokumenten, leider aber wiederum ohne Quellenverweis und Hintergrundinformation. Wer also kein historisches Vorwissen hat, wird hier keine verwertbaren Informationen finden.

Leider fehlen überall Objektbeschriftungen und erklärende Texte.

Im dritten Raum ist die Geschichte des Gedenkens am Ort in Chatyn dokumentiert. Gerne wüsste man, aus welchem Jahr das Foto mit den provisorischen Grabkreuzen am Ort des Schreckens stammt. Auch den Fotos zum Wettbewerb für die Gedenkstätte in den 60er Jahren kann man nicht entnehmen, wer sich mit welchen Entwürfen daran beteiligt hat. Eine unkommentierte Biographie des Ersten Parteisekretärs in Belarus, Petr Mascherow (1918-1980), weist auf die Diskussionen hin, die es um den Entwurf Leonid Lewins gegeben hat, dies aber auch nur dann, wenn man es schon weiß.

Insgesamt ein wichtiger Museumsstandort mit guten Absichten, jedoch noch mit viel Nachholbedarf.

Chatyn: Gedenkstätte

Übersichtsplan der Gedenkstätte

Es ist einer der ersten Frühlingstage in Belarus. Die Bäume sind zartgrün, Blumen blühen, die Vögel zwitschern. Wir wandern durch eines der zahlreichen weißrussischen Dörfer. Hier ist die Hofstelle der Novockijs (Navickis)  mit ihren sieben Kindern. Bei den Rudaks nebenan sind es drei, bei den Jackevichs sechs, der jüngste gerade mal sieben Wochen alt. In die Geräusche und Gedanken dieses stillen Nachmittags mischt sich immer wieder das zugleich friedliche wie irritierende Klingen der Glocken. Alle 30 Sekunden. Von jeder Hofstelle. Sie alle sind seit langem verwaist, ihre Bewohner im Krieg von den Deutschen umgebracht. Wir sind in Chatyn.

Chatyn ist einer der eindrucksvollsten Gedenkorte in Belarus. Ca. 30 km nördlich von Minsk gelegen, ist es zum Symbol für die im Zweiten Weltkrieg  zerstörten Dörfer in Weißrussland geworden. Im Frühjahr 1943 zerstörten Angehörige der deutschen Besatzungsarmee das Dorf in Folge eines Gefechts mit den Partisanen. Die Deutschen sperrten die Einwohner in eine Scheune und verbrannten diese mitsamt den Dorfbewohnern. Allein der Schmied Josef Kaminski und drei Kinder überlebten das Massaker.

Der Friedhof der Dörfer.

Die 1969 eingeweihte, von Leonid Lewin konzipierte Gedenkstätte setzt sich aus mehreren Elementen zusammen: Im Zentrum steht die überlebensgroße Figur des Schmieds Kaminskij, der seinen toten Sohn auf den Armen trägt. Auf dem Friedhof der Dörfer wird der 186 verbrannten, nach dem Krieg nicht wieder aufgebauten Ortschaften mit Erde aus ihrem Gebiet gedacht. Den insgesamt 9.200 zerstörten, aber wieder aufgebauten Dörfern ist ein gesondertes Denkmal gewidmet. Ein ewiges Feuer erinnert an die 2,2 Millionen Menschen, die Weißrussland im Krieg verloren hat, das ist jeder vierte Einwohner. An einer Betonwand befinden sich einzelne Gedenkstellen für die deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager auf weißrussischem Gebiet. Die ehemaligen Hofstellen werden durch Betonplatten mit Schornsteinen symbolisiert, an denen eine Gedenktafel namentlich an ihre ehemaligen Bewohner erinnert.

Die Anlage ist eine Ausnahme in der Gedenklandschaft der ehemaligen Sowjetunion. Nicht Heldenmut und Verteidigung stehen hier im Vordergrund, sondern individuelles menschliches Leiden. So war es auch Ende der 60er Jahre keineswegs selbstverständlich, die Pläne der Wettbewerbsgewinner realisieren zu können.

Dass die Gedenkstätte gerade in Chatyn, und nicht in einem der anderen zerstörten Dörfer, errichtet wurde, hängt auch mit der Namensähnlichkeit zu dem in Russlang gelegenen Katyn zusammen, dem Ort, an dem 1940 mehrere tausend polnische Offiziere von sowjetischen Truppen des NKWD ermordet wurden. Auf diese Weise wollte man bewusst Verwirrung stiften und von den eigenen Verbrechen ablenken.

Die Internetseite der Gedenkstätte bietet auch in deutscher Sprache Hintergrundinformationen und viele Fotos.

Sanja

Nicht mehr ganz aktuell, aber noch immer kurios ist die Geschichte des Songs „Sanja ostanetsja s nami“ (Sanja bleibt bei uns). Das von der Minsker Band Rockerjocker komponierte Lied ist durch die zeitliche Nähe seiner Entstehung zu den Präsidentschaftswahlen 2010 zu großer Popularität gekommen. Von den Musikern ursprünglich als Spaß, allenfalls als Provokation erdacht, ergriff das Bildungsministerium in Belarus die Chance und sorgte dafür, dass der Song häufig und zur Prime-Time in allen Radio-Sendern gespielt wurde. Ob das wirklich stimmt, ist umstritten. Zu verlockend war der scheinbare Bezug vom Kosenamen Sanja für Alexander zu Alexander Lukaschenko, zu schön die im Song besungene heile Welt der sauberen Straßen und der verlässlichen öffentlichen Verkehrsmittel. Alles in allem eine echt weißrussische Geschichte.

 

Kulturoffensive

Gemäß verschiedener Präsidialbeschlüsse, zuletzt von September und Oktober 2010, ist eine umfassende strukturelle Erweiterung des Museumsbereichs in Minsk vorgesehen. Neben der bereits begonnenen Neukonzeption des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, ist die Konzeption und Realisierung eines Zentrums für Zeitgenössische Kunst geplant sowie ein Museumsviertel um das Nationale Kunstmuseum.

Die genannten Vorhaben sind im Kontext mit dem staatlichen Programm zur Förderung der „Kultur Belarus“ für die Jahre 2011-2015 zu sehen. Während die Planungen für das neue militärhistorische Museum schon seit zwei Jahren laufen, befinden sich die Projekte rund um das Museumsquartal in der Grobplanung durch das Kulturministerium, zusammen mit städtischen Behörden. Ein konkretes Gebäude ist bereits ebenso vorgesehen wie die finanzielle Unterstützung des Sponsors Priorbank.

Sowohl der Umfang als auch die Komplexität der einzelnen Teilprojekte zeigen, dass der Kultur, und speziell der Museumslandschaft, in der Strategie der belarussischen Politik eine bedeutende Rolle zukommt. Dies ist zum einen an dem vorgesehenen erheblichen finanziellen Volumen erkennbar, zum anderen an der Benennung der Zielgruppen. Die Projekte richten sich, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, an die belarussische Gesellschaft, insbesondere Jugendliche, sowie die internationale Öffentlichkeit. Damit verbunden ist das nach innen gerichtete Ziel, die eigene kulturelle Identität zu stärken sowie die nach außen orientierte Absicht, über die Verbreitung der weißrussischen Kunst, Kultur und Geschichte den Anschluss an die europäische Kultur- und Erinnerungslandschaft auszubauen.

Nachtrag zu den Kalyady-Zaren

Einer Meldung der unabhängigen Nachrichtenagentur BelPan vom 15. April zufolge, sollen neben den Kalyady-Zaren weitere 17 Rituale und Traditionen aus Belarus in die UNESCO-Liste des „immateriellen kulturellen Erbes, das dringend des Schutzes bedarf“ aufgenommen werden. Die Vorschläge wurden von Seiten der Assoziation des belarussischen Ökotourismus unterbreitet. Damit verbindet sich die Hoffnung, durch die Anknüpfung an die landestypischen Sitten und Bräuche, Touristen anzusprechen, die dann auch andere Angebote des Naturtourismus in Belarus nutzen. Dieses Thema ist hier sehr aktuell und wird häufig in den Abendnachrichten aufgegriffen, wenn neue Angebote in diesem Bereich entstehen. Hinsichtlich des immateriellen Kulturerbes, so die Assoziation, komme es aber darauf an, ein Gleichgewicht zwischen den touristischen Bedürfnissen und dem Erhalt der historischen Überlieferungen zu finden.

Auf der Liste des Weltkulturerbes stehen derzeit das mittelalterliche Schloss in Mir, das Palastensemble der Radziwiłłs in Nyasvizh, der Bialowieza-Nationalpark sowie der Struve-Bogen, ein Netz von Erdvermessungspunkten in Belarus und weiteren beteiligten Staaten.

Museum des Großen Vaterländischen Krieges III

 

Die Baustelle des neuen Museums.

Gestern meldete die Nachrichtenagentur BelPan, dass am 16. April ein landesweiter Subbotnik, ein sog. freiwilliger Arbeitstag, durchgeführt wird. Dabei sollen neben allgemeinen Aufräumarbeiten auch die Denkmäler des Größen Vaterländischen Krieges von den letzten Schneeresten befreit werden. Die Erträge sollen Kindern zugute kommen, die noch immer unter den Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl leiden. Ein weiterer Teil aber, und hier eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten für alle Museen der Welt, wird dem Neubau des Museums des Großen Vaterländischen Krieges zugute kommen.

 

Dieses erhält ein aufwendiges neues Gebäude, für den die Stadt Minsk und der Staat bemerkenswert viel Geld bereitstellen. Ziel ist die Fixierung des ideologisch geprägten Geschichtsbildes in einer symbolträchtigen Architektur. 1995 ist ebendies in Moskau auf dem Verneigungshügel geschehen, an dessen Vorbild sich der Neubau unverkennbar orientiert.

 

Der geplante Neubau. Quelle: http://www.minchanka.by/rasskazy/museum.html

Für die Einrichtung der neuen Dauerausstellung muss das Museum freilich das Geld selber aufbringen. Ob dies mit entsprechenden inhaltlichen Freiheiten einher geht, bleibt abzuwarten. Die öffentlich einsehbare Konzeption lässt Zweifel aufkommen. In Gesprächen mit den Kollegen aber ist die Aufbruchstimmung zu spüren, der Wille, ein Museum auf „europäischem Niveau“ zu machen. Darin wird das Museum vom Goethe-Institut unterstützt, das eine Reihe von Seminaren zu Fragen des Museumsmanagements für die Mitarbeiter des Museums finanziert. Eine Mitarbeiterin kann für 14 Tage Einblicke in ein deutsches historisches Museum nehmen und eine Delegation des Museums hatte gerade die Gelegenheit, Berliner Museen und Kultureinrichtungen zu besuchen, um Ideen zu sammeln und sich mit den Kollegen auszutauschen. Als nächstes soll die Rolle des Museums als Ort nationaler Erinnerungskultur  auf einer Konferenz diskutiert werden, die vom 25.-27.5.2011 im Museum stattfinden wird.

 

„Kulturschaffende in Belarus“

So lautet der Titel eines neuerlichen Beitrags der Sendung Scala im WDR 5 (29.3.2011, Moderation Rebecca Link). Immer wieder schaut diese Redaktion auf Belarus und berichtet insbesondere über die Situation der Kultur im Land. Dieses Mal sind, neben einem kompkaten Überblick über die wechselvolle Geschichte des Landes, Eindrücke der Schriftstellerin Svetlana Alekseeva, des Sängers Ljavon Volkskij und des Künstlers Arthur Klinau zu hören. Sie alle bewegen sich mit ihrem Schaffen in dem schwierigen Feld von Kunst und Kultur, die sich in Belarus, insbesondere nach den Wahlen im Dezember 2010, zwischen Propaganda und Protest bewegen.

In der laufenden Woche ist die Sendung nachzuhören unter: http://www.wdr5.de/nachhoeren/scala.html

Kultur und Gesellschaft in Belarus auf „Kulturama“

Eine ganz wunderbare Website ist die Plattform von Journalisten und Publizisten, die schwerpunktmäßig aus und über das mittlere und östliche Europa schreiben. Die Internetpräsenz gehört zum Verein „n-ost Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.“ Seit Dezember 2009 schreibt dort auch der Journalist Ingo Petz, der sich seit Jahren mit Reportagen und Hintergrundberichten gerade über die Kulturszene in Weißrussland einen Namen gemacht hat.

Museen und Ausstellungen, zumal als professionelle Institutionen innerhalb der Kulturlandschaft, spielen bei beiden Websites eine eher untergeordnete Rolle.

Belarus-Reise

„Mehr als eine sozialistische Musterstadt“ – Unter diesem Titel bietet die Reiseagentur Ex Oriente Lux eine Reise nach Weißrussland an. Auf dem Programm stehen Minsk und Vitebsk, wobei touristische Besichtigungen und Begegnungen mit Vertretern aus Kultur und Gesellschaft eine vielversprechende Mischung eingehen. Der nächste Termin ist der 29.7. bis 6.8.2011. Nähere Infos unter http://www.eol-reisen.de/destination.php?id=12

Das Stadtmuseum Kopyl

Die Direktorin führt uns durch ihr Museum.

Der Eingangsbereich des Museums erinnert mit einer kleinen Installation an die ursprüngliche Bestimmung des Gebäudes, wo sich im 19. Jh. eine Lederwerkstatt befand. In drei Ausstellungsräumen zeigt das Museum mit Dokumenten, Fotos und zahlreichen Originalen die Geschichte der Region Kopyl. Ein vierter Saal ist Wechselausstellungen vorbehalten.

Unter der Leitung der Direktorin, deren lebhafte und engagierte Arbeit ich bereits auf dem Forum anlässlich des Wettbewerbs „Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Erwachsenenbildung“ am 17.12.2010 in Minsk erleben konnte. wurden zwei Räume der Dauerausstellung bereits neugestaltet. Besonders hervorzuheben sind die archäologischen Ausgrabungen vom ehemaligen Schlossberg Kopyls, darunter ein seltenes chirurgisches Messer aus dem 13. Jh. und eine Kachel aus regionaler Produktion aus dem 16. Jh.

Leider ist, wie in vielen belarussischen Museen, auch hier zu beklagen, dass es weder einführende Texte noch erklärende Objektbeschriftungen gibt. Teilweise werden Objekte einfach benannt, manchmal werden Orts- und Zeitangaben gemacht, das alles in belarussisch. In keinem Fall aber werden die Geschichten erzählt, die mit den Objekten verbunden sind. Gemäß alter sowjetischer Tradition erfährt der Besucher davon nur durch eine Führung im Museum. Auf eine individuelle Erschließung und einen selbst gewählten Rundgang der Besucher sind die Museen bisher nicht eingestellt.

Das Museum verfügt über zwei Filialen im nahe gelegenen Dorf Semezhava, wo sich das Museum für den Konstrukteur Michail Vysockij und die örtliche Webstube befinden.

Die Adresse des Museums lautet: Minskaja Oblast’, Kopyl, Pl. Lenina, 1, Tel.: 80171955820.

Öffnungszeiten: Die-So 9-18. Eine eigene Website hat das Museum bisher nicht.

Neuerscheinung weißrussischer Literatur in Übersetzung

Kürzlich ist der Roman des belarussischen Autors Alhierd Bacharevič, „Die Elster auf dem Galgen“, in der deutschen Übersetzung von Thomas Weiler erschienen.

Am 11.1.2010 liest der Autor im Scharfrichterhaus in Passau aus seinem Werk. Heute hat der WDR in seiner Sendung SCALA darüber berichtet. Nähere Informationen und Hinweise auf weitere Publikationen von Bacharevič bietet Thomas Weiler im Blog novinki.

Das orthodoxe Neujahrsfest: Die Kalyady-Zaren

Die Kalyady-Zaren in einem der Häuser im Dorf.

Das Ritual der „Kalyady-Zaren“ findet traditionell am 13. Januar statt. Dies ist der Beginn des neuen Jahres nach dem alten, dem julianischen Kalender.

2009 wurde die Zeremonie in dem südlich von Minsk gelegenen Dorf Semezhava in die Liste der „Intangible Cultural Heritage in Need of Urgent Safeguarding“ der UNESCO aufgenommen. Sie gehört damit zu den zu schützenden Elementen kulturellen Erbes in Belarus. Die Kalyady-Zaren sind Teil des Karnevals, ihr Zug durch das Dorf verbindet heidnische mit christlichen Elemente. In der Sowjetunion waren die Feiern seit 1937 verboten, wurden aber zunächst weiter geführt und waren unter der deutschen Besatzung wieder erlaubt. 1957 wurden sie erneut verboten. Bereits in den 80er Jahren kam es zu einer Wiederbelebun in der Region. Heute kann man das Spektakel wieder jährlich in Semezhava verfolgen.

Die Prozession, angeführt von jungen Männern in den Kostümen der Kalyady(Weihnachts)-Zaren, führt durch das Dorf, wobei Elemente eines traditionellen Schauspiels dargeboten werden. Die Zaren erhalten Geschenke und gute Wünsche von den Einwohnern. Der Besuch der Zaren wird als gutes Omen für das neue Jahr betrachtet und bringt den Häusern, in die sie einkehren, besonderes Glück.

Am 8. Januar 2011 wurde das Ritual auf Initiative des belarussischen Kulturministers im Rahmen des „Staatlichen Programms zur Förderung der Belarussischen Kultur 2011-2015“ mit dem Preis des Präsidenten der Republik Belarus ausgezeichnet.

Die Wiederbelebung und Auszeichnung der Zeremonie fügt sich in das allgemeine Bestreben, nationale Traditionen zu stärken.

Der Große Vaterländische Krieg I

Nicht zufällig ist einer der ersten Einträge in diesem Blog der Erinnerung an den „Großen Vaterländischen Krieg“, den Kampf gegen Deutschland von 1941 bis 1945 gewidmet. Zum einen ist der Krieg nach wie vor gegenwärtig: Nicht nur die gesamte architektonische Anlage der Innenstadt ist aufs engste mit den Zerstörungen und dem Wiederaufbau nach dem Krieg verbunden, auch erinnern zahlreiche Denkmäler und Erinnerungstafeln im Stadtbild an die Geschichte.

Ein T-34 vor dem Haus der Offiziere.

Das Foto zeigt einen sowjetsicher Panzer T 34 aus dem Zweiten Weltkrieg vor dem Haus der Offiziere. Der Veteranenverband nach wie vor einen bedeutenden Einfluss auf die (Geschichts-)Politik und staatlich geprägte Erinnerung. Das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, eines der großen und zentralen Museen in der Stadt, transportiert diese offizielle Form des Gedenkens .

Darüber hinaus ist die Kriegserinnerung in Osteuropa ein mir vertrautes Thema und damit einer von vielen möglichen Zugängen zur Geschichte und Kultur des Landes. Die Annäherung auf diesem Wege ist, wie ich es bereits aus Russland kenne, eine gegenseitige.

Der ausdrücklichen Verantwortung der Deutschen für die unter dem Nationalsozialismus begangenen Verbrechen wird in der Regel mit Respekt begegnet. Ein klares Bekenntnis zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der Geschichte öffnet Türen und bereitet den Boden für den Aufbau privater und geschäftlicher Beziehungen.

Servicekultur

In dieser Woche habe ich erneut die sehr positive Erfahrung einer freundlichen und kompetenten Kundenbetreuung gemacht. Es ging um Details unseres Internet-Anschlusses des Anbieters „Delovaja Set’“ in der Wohnung. Schon bei der Service-Hotline am Telefon habe ich ausführlich und in fließendem Englisch Unterstützung erhalten. Als es noch immer Probleme gab, bin ich mitsamt dem technischen Equipment in die Zentrale gefahren. Auch dort erfolgte der Service prompt, freundlich und kompetent. Als ich mich aufrichtig bedankt habe, erhielt ich die schlichte Antwort: „Gerne, das ist unser Job.“ Es mag daran liegen, dass wir in der Kundengruppe „Deutsche Botschaft“ registriert sind, allerdings habe ich diese Erfahrung in den ersten Wochen auch schon an verschiedenen anderen Stellen gemacht. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich, hilfsbereit und zuverlässig.