Frühlingsanfang im Freilichtmuseum

Am 24. März wird im „Museum nationaler Architektur und Lebensform“ einer der ältesten belarussischen Feiertage „Rufen des Frühlings“ (Гуканне вясны) begangen. Mit Liedern, die Vogelgesang im Frühling ähneln, wird hierbei die neue Jahreszeit begrüßt. Aus Weidenzweigen wird ein Freudenfeuer entzündet, drum herum wird getanzt.

Wie auch bei anderen traditionellen Festen sind auch dieses Mal die Museumsbesucher eingeladen, an dem Ritual selber teilzunehmen. Ergänzt wird das Angebot durch Workshops, in denen die traditionellen Puppen oder Teigfiguren hergestellt werden können, Konzerte, Verkaufsstände und natürlich belarussische Küche.

Werke jüdischer Komponisten in der Philharmonie

Von erlesener Qualität war das gestrige Konzert im Kleinen Saal der Philharmonie . Auf dem Programm stand eine Auswahl von Werken jüdischer Komponisten, die durch Geburt, Leben oder Wirken mit Weißrussland /Belarus bzw. der Kulturregion verbunden sind. Dargeboten wurden die Stücke durch das Solisten-Ensemble „Klassik-Avantgarde“.

Das Ensemble wurde Ende der 80er Jahre gegründet und steht seitdem unter der Leitung von Vladimir Baidov. Die 18 Musiker sind teilweise als Solisten mehrfach ausgezeichnet und bilden zusammen einen harmonischen und technisch brillanten Musikkörper. Ihr Name ist Programm: Immer wieder stellt das Ensemble neben bekannten Klassikern bisher wenig gespielte und teilweise vergessene Komponisten vor. Ergänzt wird das Konzertprogramm, wie auch gestern Abend, durch jeweils ausführliche Einführungen in die Stücke mit biographischen Informationen über die Komponisten und ihre Werkgeschichte.

Gestern Abend stellte das Orchester etwa 12 Stücke jüdischer Komponisten vor, darunter Maximilian Steinberg (1882-1946), Aleksandr Tansmann (1897-1986) und Mardechaj Gebirtig (1877-1942) , der im Ghetto in Krakau erschossen wurde. Überhaupt war viel die Rede von dem Schicksal der jüdischen Bevölkerung in der Region, Antisemitismus und vergessener Kultur. Der ganze Abend wurde in belarussisch moderiert, das Programm nur in belarussisch gedruckt. Das Interesse war groß, der Saal übervoll. Das Bedürfnis, der eigenen Vergangenheit auch in der Musikgeschichte nach zuspüren ist immens, und so war auch die Begeisterung: Nach zwei Zugaben gab es noch immer stehende Ovationen.

Das Ensemble, sein Programm und seine Anhänger sind ein weiterer Mosaikstein in der immer wieder ambivalenten Wahrnehmung von Belarus: So erhält dieses staatliche Orchester, das vom Kulturministerium von Belarus finanziert wird, zugleich Sponsorenmittel des hier stark in der offiziellen Kritik stehenden Polnischen Kulturinstituts. Auch wenn die staatliche Förderung für die nationale belarussische Kultur nicht ausreicht, wie viele Intellektuelle beklagen, so sind solche Konzerte doch ein Lichtblick. Und auch wenn die reiche Geschichte der jüdischen Bevölkerung und Kultur in der Region sicher nicht zu den Mainstream-Themen gehören, so gibt es eine Nische. Wie komplex die Situation ist, zeigt das gemischte Publikum unterschiedlichen Alters und Hintergrundes, darunter übrigens auch einige wenige Vertreter staatlicher Behörden.

Ausgrabungsfunde am Alten Schloss in Minsk

Im Zusammenhang mit Ausgrabungen des Minsker Schlosses sind im Februar antike Schmuckstücke gefunden worden. Ein besonderes Stück, das jetzt im Nationalen Historischen Museum ausgestellt wird, ist ein goldenes Armband aus dem 12.-13. Jh., das insofern selten ist, als die meisten Schmuckstücke dieser Zeit in der Region aus Silber gefertigt waren. Wahrscheinlich wurde es nicht hier gefertigt, sondern von weither nach Minsk gebracht. Diese Vermutung liegt nahe, da es keine Vergleichsstücke in Belarus gibt. Vielmehr finden sich solche Arbeiten in Skandinavien. (Quelle: Zeitschrift WHERE MINSK, Februar 2012, S. 30)

Ausgrabungen auf dem Gebiet der ehemaligen Altstadt von Minsk, entlang des heutigen Prospekt Pobeditelej, wo sich auch das Schloss befand, finden seit einigen Jahren statt. Geplant ist ein Museum zur Geschichte der Stadt.

Moderne Kunstklassiker in Belarus/Weißrussland

Lange hat sich Belarus nicht sonderlich um sein künstlerisches Erbe der Moderne bemüht. Der wohl berühmteste auf dem Gebiet von Belarus (in Vitebsk) geborene Künstler, Marc Chagall, schien seinen Landsleuten bisweilen sogar ein wenig peinlich zu sein. Jedenfalls gibt es bis jetzt außer einigen wenigen Graphiken (sie befinden sich im Marc-Chagall-Museum in Vitebsk) keine Originalwerke im Land.

Das soll sich jetzt ändern. Auf einer Auktion bei Christie’s hat die weißrussische Belgazprombank zwei Werke bekannter belarussischer Künstler gekauft: Eine Arbeit von Marc Chagall (Öl auf Leinwand, 1934) und eine von Chaim Soutine (1981), mehr ist noch nicht bekannt über den Ankauf. Die Bilder sollen im September im Nationalen Kunstmuseum ausgestellt werden. Sie werden allerdings in keine staatliche Sammlung übergehen, sondern Teil der Kunstsammlung der Bank bleiben. Diese umfasst bereits mehrere Werke weißrussischer Künstler der Pariser Schule (École de Paris) von Ende des 19. und Anfang des 20. Jh.

Soutine wurde 1893 in Smilowitschi, in der Nähe von Minsk, geboren. Eine kleine Ausstellung, die an ihn erinnert, befindet sich in seiner Heimatstadt.

Radius Null – Zeitgenössische Kunst in Minsk

Blick in die Ausstellung.

Vom 29.2. bis 10.3. fand eine der seltenen innovativen Kunstprojekte in öffentlich zugänglichem Raum in Minsk statt. Eine Gruppe von zeitgenössischen Künstlern stellte ihre Werke in der stillgelegten Fabrikhalle der staatlichen Konsumgutfirma Horizont aus. Ziel war es, so die Veranstalter, künstlerische Positionen des ersten Jahrzehnts im 21. Jahrhundert am Beispiel von Minsk auszuloten.

Die Kuratoren des Projekts sind R. Vaškevič, O. Žgirovskaja und O. Šparaga. Die beteiligten Künstler leben meist in Belarus, einige auch im Ausland, und gehören zum Einzugskreis der Galerie Ŷ. Diese wiederum gehörte, wie auch die Zeitschriften/ Portale Novaja Evropa und artaktivist zu den Sponsoren der Ausstellung, übrigens zusammen mit den staatlichern Firmen Horizont, der Juwelierkette Monomach u.a.

Die Auswahl der Künstler erfolgte durch eine Expertenkommission, zu der Vertreter der freien Kunstszene im In- und Ausland ebenso gehören wie Angehörige staatlicher Museen und Einrichtungen. Mitglieder dieser Kommission, die Auswahlkriterien und Auszüge aus den Gutachten der Kommission sind in der Ausstellung zu lesen. Ausführlich dokumentiert werden soll das gesamte Projekt in einem Katalog.

Andrej Lenkevič: "Leb wohl, Heimat!"

Mit einem historischen Mythos beschäftigt sich die Arbeit „Leb wohl, Heimat!“ (Прощай, родина!) (nach einem Zitat eines Soldaten in der Brester Festung) von Andrej Lenkevič. Was wissen wir eigentlich, so fragt der Künstler, wirklich vom Großen Vaterländischen Krieg? Jenseits von Paraden, Feiertagen, Ritualen und einem Pflichtbesuch im Museum kümmert sich niemand um die Veteranen, nur wenige wissen genau, wer die die mit dem Krieg verbundenen Menschen sind, nach denen mehr als die Hälfte aller Straßen in Minsk benannt sind, keiner kann sich, auch aufgrund zurückgehaltener Informationen, eine zuverlässige Vorstellung von der viel beschworenen Partisanenbewegung machen. Mehr als ein halbes Jahrhundert danach, so meint der Künstler, ist es an der Zeit, über die Grenzen von Kult und Verklärung hinauszugehen, um ein echtes Gespräch mit den jetzt noch lebenden Zeitzeugen zu beginnen, die Relevanz des Krieges für unsere Gegenwart zu erkunden. Einen Anfang dazu will das Projekt des Künstlers machen, das vier Kurzbiographien von offiziellen Kriegshelden zusammen mit einer Stadtkarte in Waffenform sowie eine von der staatlichen Wodkafabrik produzierte Flasche in Form einer Kalaschnikov zeigt.

Museen als Bildungsorte des 21. Jahrhunderts – Seminarreihe im Goethe-Institut

Mit dem Seminar „Zeitgeschichte in Museen“ hat am Freitag die Seminarreihe zu Fragen des Ausstellungs- und  Museumsmanagements im Goethe-Institut begonnen. Die Referentin, Dr. Irmgard Zündorf vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) berichtete den 25 Teilnehmern aus verschiedenen Minsker und regionalen Museen über die Erinnerungslandschaft in Deutschland und wie diese sich in Diskursen (z.B. über die Gedenkstättenkonzeption) und Museen widerspiegelt.

Die komplexen Strukturen in Deutschland zwischen Föderalismus und Bund sowie Aufarbeitung der NS- und DDR-Vergangenheit riefen zunächst viele Nachfragen hervor. In den teilweise sehr lebhaften Diskussionen und Gruppenarbeitsphasen entstanden dann aber sehr differenzierte Entwürfe für die Situation im eigenen Land mit sehr konkreten Vorschlägen, wie zum Beispiel der Stärkung regionaler Strukturen gerade im Kulturbereich, wie es in letzter Zeit schon ansatzweise zu beobachten ist.

Die Veranstaltung konnte das Bewusstsein dafür schärfen, dass es zeitgeschichtliche Museen im deutschen Sinne in Belarus gar nicht gibt, sondern allenfalls temporäre Ausstellungen zu einzelnen Aspekten der jüngsten Geschichte. Der Hinweis auf die eine, hochaktuelle Ausnahme, das „Museum der belarussischen Staatlichkeit“ (dessen Eröffnung unmittelbar bevorsteht), das keiner kennt und bis auf weiteres auch keiner besuchen darf, machte die dafür verantwortlichen kultur- und geschichtspolitischen Verantwortlichkeiten einmal mehr deutlich. Überhaupt verlief die Diskussion sehr offen, mit viel Humor und Kreativität. So wurden als neue zeithistorische Museen im Falle völliger Planungsfreiheit folgende Ausstellungen vorgeschlagen: Ein Museum der Geschichte der Republik Belarus, in dem die leeren Regale und Schlangen vor den Wodkaregalen Anfang der 90er Jahre gezeigt werden könnten, um die aktuelle Situation umso heller erstrahlen zu lassen, ein Museum der Biographien, das den individuellen Umgang mit der jüngsten Entwicklung exemplarisch dokumentieren würde, ein Museum der BSSR mit einem ähnlich nostalgischen Konzept wie die privaten DDR-Museen in Deutschland, ein Museum des gegenwärtigen belarussischen Films, das ohne Objekte auskommen müsste, da die Requisiten regelmäßig im Auftrag privater Sammler aus den Filmstudios gestohlen würden oder ein Museum des Schmuggels, das den eigentlich wahren Kern der belarussischen Identität dokumentieren würde, da das Land seit jeher als Transitgebiet zwischen den übermächtigen Nachbarn fungiere.

Das nächste Seminar wird sich am 13. April mit strategischem Marketing und Tourismus beschäftigen.

Museumszeitschrift

Zu den wenigen museumswissenschaftlichen Publikationen in Belarus gehört die vom Nationalen Historischen Museum herausgegebene Zeitschrift „Muzejny Vesnik“ (Музейны Веснiк). 2003 gegründet, erscheint das Journal unregelmäßig. Finanziert wird es, wie andere Projekte des Museums auch, mit Sponsorenmitteln. Der bisher letzte 5. Band ist 2011 erschienen und gibt die Beiträge des Runden Tisches anlässlich des 130. Geburtstages von I. Luckevich wider. Auf ihn geht das erste belarussische Museum in den 20er Jahren des 20. Jh. zurück, über dessen Geschichte sich sechs Artikel in dem Heft finden.

Weitere Artikel widmen sich Einzelfragen aus den Sammlungsgebieten des Museums und Themen von Sonderausstellungen, darunter die Vorstellung der wissenschaftlichen Konzeption des neuen „Museums der belarussischen Staatlichkeit“. Dieses Museum wird als Teilprojekt des Historischen Museums konzipiert und ist so geheim, dass nicht mal der Eröffnungstermin bekannt ist. Dabei handelt es sich um eine Ausstellung, die, so kann man wohl vermuten, sich dem Leben und Werk des Präsidenten widmet. Öffentlich zugänglich wird es nicht sein.

Den Autoren ist es überlassen, ob sie in russisch oder belarussisch publizieren, doch sind die weitaus meisten Texte nur in belarussischer Sprache verfügbar. Am Ende jedes Heftes gibt es kurze englischsprachige Zusammenfassungen aller Beiträge. Außerdem findet sich am Ende jeweils eine Übersicht über die Ausstellungen im Historischen Museum in den letzten Jahren, eine Übersicht über wissenschaftliche Beiträge auf Konferenzen von Mitarbeitern des Museums, eine Publikationsliste sowie ein Namensregister.

Sponsoring im Nationalen Historischen Museum

Als eines der wenigen Museen in Belarus ist es dem Historischen Museum gelungen, für einige Jahre einen Sponsor an sich zu binden (Japan Tobacco International (JTI). Mit ihm konnten bereits diverse Projekte realisiert werden, darunter die neue Website, der Ankauf von Objekten und die Herausgabe u.a. eines Highlight-Katalogs.

Letzterer ist das, was in den meisten belarussischen Museen fehlt: Eine überschaubare und doch attraktive Veröffentlichung zu den Sammlungen. In fast keinem der Museen gibt es aktuelles Faltblatt oder eine Broschüre, die der Besucher als Andenken erwerben kann, von sonstigen Merchandising-Produkten ganz zu schweigen. Dieser kleine, aber feine Katalog ist hochwertig produziert, zeigt viele Farbfotos und hat eine belarussische, russische und englische Einleitung.

Belarus/Weißrussland und Vilnius …

Vilnius im März mit den Ständen des Kazimir-Marktes.

… das ist ein langes und schwieriges Kapitel, und ich möchte einen Ausflug nach Vilnius zum Anlass nehmen, einen Blick darauf zu werfen. Das verbindende Element zwischen Vilnius und Belarus war an diesem Wochenende der jährliche Kasimir-Markt, der größte Handwerks- und Volkskunstmarkt in Litauen, der traditionell am ersten März-Wochenende stattfindet. Auch in Grodno stellten an diesem Wochenende Belarussen, Polen und Ukrainer nationale Volkskunst anlässlich des Namenstages des Heiligen Kazimir aus – eine Tradition, die diese historisch sehr heterogen bevölkerte Region verbindet.

Vilnius/Wilna war lange die Hauptstadt des Großfürstentums Litauen und der Polnischen Adelsrepublik mit immer starken weißrussischen Bevölkerungsanteilen. Seit dem 15. Jh. hatte die Stadt das Magdeburger Stadtrecht und entwickelte sich zu einen jüdischen Zentrum Ostmitteleuropas. Seit 1795 gehörte Vilnius in Folge der polnischen Teilungen zum Russischen Reich. Lange stellten die Litauer und Balten neben Juden Polen, Weißrussen und Ukrainer nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

Im Ersten Weltkrieg kam es 1918 unter deutscher Besatzung zur Gründung des ersten unabhängigen Staates Litauen mit Vilnius als Hauptstadt. Bald jedoch wurde die Stadt erst von der Roten Armee, dann von polnischen Truppen besetzt, bis Litauen mit dem Versailler Vertrag unabhängig und Vilnius die Hauptstadt wurde. Als Ergebnis des Polnisch-Litauischen Krieges 1920/1921 kam Vilnius wieder unter polnische Herrschaft, was der Friede von Riga 1921 bestätigte. 1939 besetzte die UdSSR Vilnius in Folge des Hitler-Stalin-Paktes und machte Vilnius 1940 zur Hauptstadt der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Dies wurde Vilnius abermals nach der deutschen Besatzung 1941-44.

Dass genau das ein Fehler war und Vilnius/Wilna nicht der BSSR zugeschlagen wurde, darin sind sich hier jenseits sonstiger Meinungsverschiedenheiten in Belarus alle einig. Aus ihrer Sicht ist Vilnius oder Wilna ein eindeutig weißrussisches Gebiet, in dem sich im 19. Jh. obwohl hier überwiegend polnisch gesprochen wurde, ein Zentrum nationalen weißrussischen Lebens entwickelte. Viele Schriftsteller lebten und arbeiteten in Wilna, 1906 wurde hier die erste weißrussische Zeitung „Naša Niva“ gegründet. Gerade in der Zeit zwischen 1870 und 1914 entfaltete sich hier die nationale Emanzipationsbewegung der Belarussen/Weißrussen.

Diese Entwicklung setzte sich in den 20er Jahren fort, als hier auch das erste belarussische Museum entstand. Es geht zurück auf die historisch und kulturgeschichtlich geprägte Sammlung von Ivan Luckevič. Bei seiner Auflösung 1945/46 wurden die Bestände des Museums auf die Litauische und Belarussische SSR aufgeteilt. Das Historische Museum in Minsk berichtet darüber auf seiner Website. Versuche des Instituts für Belarussische Kultur, das Museum virtuell zu rekonstruieren, sind bisher gescheitert.

Für die Expats in Minsk ist Vilnius ein willkommenes Ausflugsziel, nicht weiter als 2 Stunden Autofahrt entfernt, mit westlichen Einkaufszentren und vertrautem Angebot.   Die Ein- und Ausreise in und aus der EU ist allerdings auch mühsam und mit langen Wartezeiten verbunden und letztlich sicher eher aus kulturell-historischen Gründen lohnend.

Ausführlich zu dem häufig verwirrenden Konglomerat in der Region siehe:
Handbuch der Geschichte Weißrusslands, hg. von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner, Göttingen 2001.

Neues aus dem Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges

Ein Detail aus dem besprochenen Museumsraum.

Noch immer ist die Eröffnung des neuen Museums für Sommer 2013 geplant. Man glaubt es kaum, wenn man den Stand der Vorbereitungen sieht, aber so ist es ja bekanntlich immer: Vorne spricht der Präsident und hinten wird gehämmert. Auch hier wird es nicht anders sein und angesichts der vielen Hindernissen bei dieser Neukonzeption geht die Arbeit gut voran.

Davon konnte ich mich gestern bei einem Workshop im Museum zur Präsentation und Analyse des Raums „Der Kriegsanfang: Die Verteidigungskämpfe der Roten Armee 1941-1942“. Im Zentrum der 400 qm stehen hier die ersten Kampfhandlungen auf dem Gebiet von Belarus bis zum Abschluss der Schlacht um Moskau. Die verantwortliche Wissenschaftlerin stellte mit Unterstützung einer Computeranimation nochmals die Architektur des neuen Museums vor. Anschließend erläuterte sie das aktuelle Raumkonzept, Schlüsselexponate und den geplanten Medieneinsatz (einschließlich hochmoderner FogScreens aus Russland) sowie eine museumspädagogische Station in Anwesenheit der polnischen Gestalterfirma. Als Kommentatoren traten mehrere Historiker auf (u.a. Vladimir Ivanovich Kuzmenko vom Institut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften) , aber auch zwei Vertreterinnen des Museums für zeitgenössische Geschichte, Moskau. Als „europäische Expertin“ durfte ich auch meinen Kommentar abgeben – was wieder eines der vielen Paradoxa ist: Im Lichte der aktuellen politsichen Spannungen ist es um so erstaunlicher, dass eine deutsche Historikerin zur Neukonzeptin gerade dieses Museums eingeladen und gehört wird.

Nimmt man die aktuelle Version des Konzeptes aus wissenschaftlicher Sicht in den Blick, dann fällt zunächst auf, dass sich die Auswahl der Themen und ihre Ausarbeitung fast ausschließlich auf die (bela-)russische Geschichtswissenschaft stützen. Damit bleiben einige Themen nach wie vor ausgeklammert. Hinzu kommt die noch immer traditionell sowjetischen Militärlastigkeit der Darstellung. Schaut man von der museumswissenschaftlichen Seite, so ist die Ausstellung überladen, Leitexponate (noch) nicht erkennbar und in ihrer Gestaltung trotz vieler Medien recht konservativ.

Dieser Befund überrascht mich nach meiner Zusammenarbeit mit dem Museum nicht, sowohl der geschichtspolitische Rahmen als auch die Austauschmöglichkeiten mit Vertretern internationaler Museen sind eingeschränkt. Berücksichtigt man diese Umstände, so ist das Konzept gerade zu modern und weist deutlich über die aktuelle Ausstellung hinaus.

Überrascht waren aber die russischen Kolleginnen, die diese Argumente gar nicht gelten lassen wollten. Seien doch die Minsker Kollegen mehrfach und regelmäßig in Moskau gewesen, wo sie nicht nur mit verschiedenen Museen beraten hätten, sondern auch all die modernen Museen und Ausstellung hätten ansehen können, die mittlerweile Standards setzten. Offenbar läge es weniger an den Möglichkeiten, als an den Fähigkeiten der Minsker Museumsleute, dass hier ein „erstaunlich sowjetisches Museum nach alten Mustern“ entstehe.

Konkret kommentierten die Moskauer die zu große Menge an Exponaten, fehlende Themen und Perspektiven wie die der Zivilbevölkerung oder des Alltagslebens der Soldaten, das bisher nicht erkennbare Narrativ der Darstellung, den fehlenden Aktualitätsbezug des Krieges zur heutigen belarussischen Gesellschaft u.a. Hier merkten sie übrigens selbstkritisch an, dass im Falle des Minsker Museums dasselbe zu befürchten sei, wie im Falle des Museums der Verteidigung Moskaus: Es sei leider nicht, wie erhofft, zu dem zentralen Erinnerungsort für die heldenhaften Leistungen der Moskauer im Krieg geworden, weil es einfach „kein gutes Museum“ sei. Harter Tobak!

Historikerstreit in der Geschichtswerkstatt

Anlässlich der Vorstellung des neuen Buches des Leiters der Geschichtswerkstatt, Kuzma Kozak, kam es zu heftigen Debatten unter den fünf Historikern, die in Belarus/Weißrussland für eine mehr oder weniger kritische, an internationalen Standards orientierte Forschung zum Zweiten Weltkrieg stehen. Anlass war die Publikation des Buches „Deutsche und Kollaborateurverluste auf dem Territorium von Belarus während des Großen Vaterländischen Kriegs 1941-1944: Analyse und Ergebnisse“. Zu den Diskutanten gehörten neben dem Autor selbst (Professor an der Historischen Fakultät der Staatlichen Universität), Aleksej Litvin (Leiter der Sektion für Militärgeschichte in Belarus an der Akademie der Wissenschaften), Anatolij Šarkov, Professor an der Akademie des Innenministeriums), Emanuil Joffe (Politologe, Soziologe und Historiker an der Staatlichen Pädagogischen Universität) und Sergej Novikov (Lehrstuhlleiter für Heimatgeschichte und Weltkultur an der Staatlichen Linguistischen Universität).

Das Buch thematisiert erstmals die Verluste der Besatzer und derer, die mit ihnen zusammengearbeitet haben – ein noch immer ungeliebtes Thema in Belarus und schon deshalb ein mutiges Unterfangen. Für seine Recherchen hat Kozak, in Belarus nicht selbstverständlich, deutsche Archivquellen aus dem Bundes- und dem Bundesmilitärarchiv eingesehen sowie russisch- und deutschsprachige Sekundärliteratur. Ohne Zweifel ist die Arbeit damit ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges in Belarus und ein Anstoß zu weiteren Diskussionen, auch wenn es hinsichtlich der Methode und Analyse der Zahlen sicher noch einige offene Fragen gibt.

Genau diese waren bereits bei der Präsentation des Buches Anlass zu heftigen Debatten unter den Historikerkollegen. An zwei Fragen machte sich die durchaus kontroverse Auseinandersetzung fest: Wie sind die verschiedenen, bis heute nicht immer nachvollziehbaren Angaben zu den Opfern auf beiden Seiten zu bewerten und wie kann man zu einer wissenschaftlich begründeten These kommen? Und: Was bedeutet „Kollaboration“, wer hat sich schuldig gemacht, wer nur um sein Leben gekämpft?

Alle der genannten Historiker beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit diesen und anderen Fragen zur Geschichte von Besatzung, Krieg und Erinnerung in Belarus. Dabei reicht das Spektrum von einer von der offiziellen Lesart geprägten Position in der Akademie der Wissenschaften über eine offene, auf Zeitzeugenberichten und Oral History basierenden Forschung in der Geschichtswerkstatt und die immer wieder ungeliebte Themen aufgreifende Publikationstätigkeit Joffes bis hin zu einer maximal quellengestützten und vernetzten Forschung bei Novikov. Für mich war es eine zugleich vertraute und in Belarus doch so seltene Erfahrung einer lebhaften, an Fachfragen orientierten offenen und freien Diskussion.

Ausstellung im Kunstmuseum

Foto: http://www.artmuseum.by/

Seit einer Woche ist im Nationalen Kunstmuseum ein Gemälde aus Litauen zu sehen, das aus mehreren Gründen seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Es handelt sich um ein Portrait von Vaitiekus Puslovskis (1762-1833) von dem Maler Valentinas Vankavicius/Valentin Vankovič.

Der Portraitierte rückt das Großfürstentum Litauen ins Zentrum der Aufmerksamkeit, zu dessen einflussreichsten Persönlichkeiten Puslovskis im 18. Jahrhundert gehörte. Für Polen, Litauen und Belarus ist es gleichermaßen ein Bezugspunkt nationaler Vergangenheit. Für Belarus ist es zudem ein politisches Bekenntnis, bei der offiziell verordneten Nähe zu Russland eigene Wurzeln auch und gerade in Mitteleuropa und westlicher Kultur zu suchen. Das transnational Verbindende dieses Erbes war somit auch der Tenor aller Reden auf der Eröffnung der Ausstellung.

Der Person des Malers führt indes weiter in die Tiefen und Untiefen der regional verbindenden Geschichte. Wie viele andere Persönlichkeiten des Großfürstentums wird auch Vankovič von Polen und Belarus in derselben Weise als nationaler Maler reklamiert. Belarus tut dies mit einem eigenen Museum, in dem sich freilich kein einziges Original des Malers befindet. Die Arbeiten Vankovičs sind wiederum in Polen und Litauen zu finden, so dass es nun umso wichtiger für Belarus ist, wenigstens vorübergehend ein Original des Malers ausstellen zu können. Die Situation ist symptomatisch für viele Teile des kulturellen Erbes: Es lässt sich schlicht nicht einer Nation in den heutigen Grenzen zuordnen.

Foto: http://www.artmuseum.by/

Schließlich sind die mit der Ausstellung verbundenen Slutzker Gürtel oder Schärpen der Erwähnung wert. Aus der Sammlung des Litauischen Kunstmuseums sind neben dem Gemälde vier dieser wertvollen Textilien nach Minsk gekommen und erinnern damit an die Ausstellung von 2008-2010, als in Minsk die Sammlung von Schärpen gezeigt wurde, die sich heute im Historischen Museum in Moskau befindet. Bei den Schärpen handelt es sich um eine Laibbinde, die als Gürtel zur traditionellen Kleidung weißrussischer, polnischer und litauischer Adliger zwischen dem 16. und frühen 19. Jahrhundert gehörte und auf den Reichtum ihres Trägers schließen ließ. Für die Kulturgeschichte der Region sind sie von großem Wert, was offenbar auch den Präsidenten bewogen hat, an höchster Stelle darüber zu informieren.

In Minsk und Belarus sind nur noch zwei Slutzker Gürtel vorhanden, sie befinden sich in der Sammlung des Kunstmuseums. Einst gab es eine bedeutende Sammlung von 40 Gürteln, die allerdings im Krieg verloren gin. Genaueres ist nicht bekannt, und gerade deshalb ist das Kunstmuseum an Forschungen zum Verbleib der Sammlung und sogar an einer konkreten Suche interessiert.

Filzkultur

Foto: http://www.aktuell.ru/russland/panorama/filzstiefel

Unbedingt zum Thema Kultur gehören die unverwüstlichen Walenki und ich bin froh, dass das nun auch die FAZ und die ZEIT erkannt haben.

Mit Verzierung oder ohne, mit Innenschuh oder ohne, mit Gummisohle (der moderne Ersatz für die Galoschen aus Gummi) oder ohne stehen sie in verschiedenen dezenten Erdtönen in allen Minsker Schuhgeschäften und machen schon beim Anblick warme Füße.

Sie werden in Smilovichi bei Minsk seit 1928 überwiegend in Handarbeit produziert. Die Wolle kommt allerdings nicht aus Belarus, sondern aus Dagestan, Zentralasien und Belgien. Man sieht die Stiefel an Füßen von Milizionären ebenso wie an denen von Jägern und wohl auch von Häftlingen in sibirischen Lagern. Aktuell kosten sie ca. 20 €, der Fellschuh als Einlage nochmal ca. 5 €.

Professorengehälter Belarus/Weißrussland

Die Gehälter für wissenschaftliches Personal sind zum 1. Februar um 50 % angehoben worden. Grund ist die Steigerung der Zahlungsrate von Bestarbeiter um 32.5 % zum 1. Januar, die als Maßstab für Gehälter gilt. Demnach erhält jetzt ein Junior-Lehrbeauftragter mindestens 1,8 Mio Rubel im Monat, ein Senior-Lehrbeauftragter mindestens 2,2 Mio Rubel (derzeit 260 $). Betroffen von der Erhöhung sind 13.000 Wissenschaftler.

Die von Lukaschenko versprochenen 500 $ als Durchschnitt bleiben aber vorläufig ein Wunschtraum. Ein Lektor für russische Sprache mit einem Lehrdeputat von annähernd 38 Stunden erhält derzeit 120 $, ein Sonderlehrbeauftragter 10.000 Rubel (ca. 1 €) pro Stunde Lehre.

Die Förderung der belarussischen Kultur oder der Fall Maksim Haretski

Den gerade in letzter Zeit häufigen Beschwörungen von offizieller Seite, die belarussische/weißrussische Sprache und Kultur vermehrt zu fördern, scheint es offenbar nicht zu widersprechen, Orte zu zerstören, die sich mit ihr, der belarussischen Kultur, verbinden. In Horki, in der Region Mogilev, wurde unlängst für 2013 der Abriss des Wohnhauses von Maksim Haretski (1893-1938) beschlossen, eines belarussischen Schriftstellers.

Gegen diesen Beschluss sammelte die Bevölkerung Unterschriften und die Gesellschaft für Belarussische Sprache äußerte ihren Widerstand gegen die Pläne. Als offizielle Begründung dient der angeblich schlechte Bauzustand des Hauses. Den Bewohnern wurden neue Wohnungen versprochen. Bis heute erinnert nur eine Tafel am Haus daran, dass Haretski hier gelebt hat.

Hintergrund der Entscheidung ist das traditionelle Erntefest, das 2013 in Horki stattfinden soll. Zu diesem Zweck soll die Stadt hergerichtet und u.a. dieses Haus abgerissen werden.

Haretski gehört zu den Schriftstellern der Aufbruchphase belarussischer Kultur und Sprache Anfang des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Werk hat er einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der weißrussischen Sprache geleistet. In dem Haus in Horki hat er zwischen 1926 und 1928 gelebt. Wie andere belarussische Schriftsteller wurde er 1938 als „Staatsfeind“ ermordet.

Zwei Staatssprachen in Belarus/Weißrussland

Die Sprachenfrage in Belarus – das ist ein weites und kontroverses Feld. Unlängst äußerte sich der Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Nikolaj Čerginec, dazu und forderte, Belarussisch/weißrussisch stärker zu fördern. Um Belarussisch zu mehr Verbreitung zu verhelfen, sollen beispielsweise Sprachkurse in Institutionen und Firmen angeboten werden, so Čerginec. Schon jetzt seien auf Vorschlag des Verbandes alle Straßen- und Stadtnamen auf Belarussisch angegeben. Eine Tatsache, die übrigens nicht selten zu Verwirrung bei Ausländern und Touristen führt, da sämtliches Kartenmaterial bisher nur auf Russisch vorliegt und sich die Schreibweise bisweilen stark unterscheidet. Die Internetseite des Verbandes ist übrigens ebenfalls auf Russisch verfasst und Čerginec selbst beantwortete die (auch Belarussisch gestellten) Fragen auf der Pressekonferenz ausschließlich auf Russisch.

Auch der Kulturminister nahm sich des Themas an. Er verwies darauf, dass die Förderung der Verbreitung der Belarussischen Sprache zwar Teil des Regierungsprogramms der Jahre 2011-2015 sei, die dort formulierten Ziele bisher aber nicht erreicht worden seien. 2012 könne nun das „Jahr des Buches“ und die Jubiläen von Jakub Kolas und Janka Kupala genutzt werden, insbesondere bei „nationalen“ Einrichtungen die Belarussische Sprache stärker einzusetzen.

Seit 2009 steht die Belarussische Sprache auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Sprachen der UNESCO . Über die reale Verbreitung der Sprache im Land gibt es unterschiedliche Auffassungen. Während in Minsk überwiegend russisch gesprochen wird, ist Belarussisch auf dem Land und im Westteil des Landes stärker verbreitet. Oft handelt es sich hier aber auch um eine Mischsprache, in der sich sowohl russische, polnische, ukrainische und regionale Besonderheiten verbinden. Obwohl die Sprache offiziell nicht gefördert wird, ist sie in einigen Abteilungen von Ministerien und staatlichen Einrichtungen (z.B. Institut für Belarussische Kultur, Nationales Historisches Museum) durchaus als Arbeitssprache üblich.

Zur Geschichte der Sprachenfrage siehe auch:

Hermann Bieder: Der Kampf um die Sprachen im 20. Jahrhundert, in: Handbuch der Geschichte Weißrusslands, hg. von Dietrich Beyrau und Rainer Lindner, Göttingen 2001, S. 451-471.

Ein Ausflug in die Musikszene

Für die Berichterstattung über die Musikszene in Belarus/Weißrssland gibt es kompetentere Schreiber als mich. Ich will daher nur meine ganz persönlichen Eindrücke von einem Konzert der beliebten Jazzband Apple Tea zum Besten geben. Im Januar hatte ich das Vergnügen, die Band in einem der wenigen Klubs zu hören, die von der alternativen Jugendszene besucht werden. Eine gute Bekannte und Kollegin hatte mich eingeladen, mich mehrfach nervös darauf hingewiesen, dass es mir vielleicht nicht gefallen könnte, handele es sich bei dem Graffiti-Klub doch um einen abgelegenen Ort, schwer zu finden und sicherlich nicht meinen „diplomatischen Erwartungen“ entsprechend. Am Ende war sie ganz erleichtert, dass es mich nicht nur nicht geschockt, sondern es mir sogar ausnehmend gut gefallen hat. Die entspannte und offene Atmosphäre hat mich außer an Berlin an die für uns gar nicht mehr hinterfragte Selbstverständlichkeit einer freien Musikszene erinnert.

Die Band selbst gibt es schon sehr lange, sie hat sich in den späten 80er Jahren gegründet, als in Russland Kino, DDP oder Nautilus Pompilius entstanden. Seitdem hat sie sich vielfältig entwickelt, tritt vor ganz großem Publikum ebenso wie in kleinen Klubs auf und wird gerade dafür bei der kritischen Jugend sehr geschätzt.

Video zu Apple Tea auf Youtube: http://youtu.be/L0h9n7HXvM4

Weitere Informationen zur Musikszene:

http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20060306

http://www.eurozine.com/articles/2007-02-08-petz-de.html

Nationales Programm zur Instandsetzung historischer Schlösser

Das Schloss Mir steht unter UNESCO-Weltkulturerbe.

Ein umfassendes Programm zur Bewahrung und Restaurierung historischer Schlösser in Belarus für die Jahre 2012 bis 2018 wurde im Januar vom Ministerrat beschlossen. Insgesamt wird das Programm 131 Billionen Rubel (nach heutigen Stand knapp 12 Milliarden Euro) kosten. Davon werden nur 2,5 Billionen Rubel aus dem staatlichen Budget zur Verfügung gestellt. Die restliche Summe sollen die lokalen Behörden aufbringen. Profitieren sollen 38 Schlösser (von insgesamt 150 auf dem heutigen Gebiet von Belarus), die meisten von ihnen sind in schlechtem Zustand und bisher nicht für den Tourismus erschlossen. Dies gilt bisher nur für die Schlösser in Mir und Nezvizh.

Neues aus dem Nationalen Historischen Museum

Das aktuelle Gebäude des Museums. Foto: http://images.yandex.by/

Um das Nationale Historische Museum Weißrusslands/Belarus’ steht es nicht gut. Das ist nichts Neues, aber nun gibt es eine weitere schlechte Nachricht: Das neue Gebäude in der Frunze Straße 19 im Stadtzentrum, in das das Museum mitsamt seinen Sammlungen in naher Zukunft hätte umziehen sollen, um dort endlich Platz für eine neue Dauerausstellung zu haben, wurde einer neuen Bestimmung zugeführt. In Zukunft soll es nicht das Historische Museum, sondern das erst kürzlich ins Leben gerufene Komitee für Aufklärung beherbergen.

Seit langem schon ist das Historische Museum auf der Suche nach einer Lösung für die zahlreichen Herausforderungen. An vorderster Stelle steht dabei der Bedarf an mehr Raum, sowohl für die Ausstellung als auch für die Sammlung. Der Umzug in das renovierte Gebäude hätte diese Probleme lösen können. Eine Alternative wurde dem Museum bisher nicht angeboten.

Eine Alternative ist der Umbau des jetzigen Gebäudes in der Karl-Marx-Straße. Um genug Platz und museumsgerechte Bedingungen für das Historische Museum zu schaffen, müsste das Gebäude grundsaniert und ein neuer Ort für das derzeit ebenfalls im Gebäude untergebrachte Naturkundemuseum gefunden werden. Doch ist weder Geld für den Umbau vorhanden, noch gibt es ein geeignetes Gebäude für das Naturkundemuseum.

Foto: http://images.yandex.by/

Das Museum des Großen Vaterländischen Krieges und die Wirtschaftskrise

Der Neubau des „Museums des Großen Vaterländischen Krieges“ am Obelisken Minsk Heldenstadt geht voran, trotz Wirtschaftskrise und chronischem Staatsdefizit. Probleme gibt es derzeit mit dem alten Gebäude bzw. der dort gelagerten Sammlung. Diese kann aufgrund der Stadtplanung der Behörden dort nicht bis zum Umzug in das neue Gebäude bleiben, das 2013 eröffnet werden soll. Der Plan sieht vor, dass die Sammlung in einem anderen Gebäude zwischengelagert werden soll, damit das alte Gebäude am Oktoberplatz in der Stadtmitte noch vor Juli 2012 abgerissen werden kann. An seiner Stelle soll ein 5-Sterne Hotels entstehen, das bereits bis zur Hälfte gebaut ist. Der zweite Teil kann nun nicht begonnen werden, da es bisher kein Gebäude gibt, in das das Museum mitsamt seiner Sammlung umziehen kann. Offenbar betreffen die Folgen  dieser Planänderung aber bisher nicht das Museum, sondern das Hotel. Demnach ist dieses Bauvorhaben eines von mehreren Projekten mit internationaler Beteiligung, die nicht in der geplanten Weise realisiert werden, sondern den veränderten Umständen angepasst werden müssen. Demnach wird das Museum vorerst an alter Stelle bleiben.

Besucherzahlen in Minsker (und anderen weißrussischen) Museen

Tiefe Einblicke in die Besucherzahlen und –statistik der belarussischen Museen gibt eine Äußerung des Kulturministers vor einigen Tagen. Demnach erreichen die meisten Museen die angestrebte Besucherzahl nur dadurch, dass sie einer großen Anzahl der Besucher freien Eintritt gewähren. Dies sei verständlich bei Museen wie der Brester Festung, so Latuschko, deren 340.000 Besucher im Jahr sich zur Hälfte aus Besuchern von Veranstaltungen zusammensetzten. Unverständlich sei dagegen, dass zum Beispiel das Nationale Kunstmuseum nur 97.000 zahlende Besucher aufweisen könnte, obwohl es eine der bedeutendsten Sammlungen des Landes beherberge.

Übersehen hat der Minister dabei offenbar, dass die Besucherzahlen vorgegeben werden, was dazu führt, dass Schulklassen und Armeetruppen mehrfach in eine Ausstellung abkommandiert werden, damit die angestrebten Zahlen erreicht werden. Von knappen Budgets, die eine zielgruppengerechte Vermittlungsarbeit oder gar Marketing ermöglichen, ganz zu schweigen.

Ebenfalls unzufrieden war der Minister damit, dass kein einziges Nationalmuseum im Jahre 2011 eine Ausstellung im Ausland veranstaltet habe.

Konferenz „Verbrannte Dörfer“ in Belarus/Weißrussland

Vom 15.-17. Mai findet im Museum des Großen Vaterländischen Krieges eine Konferenz zur Thema der „verbrannten Dörfer“ in Belarus statt. Informationen sind auf der Website des Museums zu finden.

Als Mitglied des sog. Orgkomitees erlebe ich dabei mal wieder eine Lehrstunde der belarussischen Konferenzvorbereitung und –organisation. Wichtiger als formale Aspekte ist aber das geplante Programm. Leider sieht es so aus, als stünden letztlich weniger die Dörfer, als die „Zivilgesellschaft im Krieg“ im Vordergrund. Das hieße, dass das noch immer brisante Thema der verbrannten Dörfer wahrscheinlich wieder nicht ausgeleuchtet wird, sondern in einer breit angelegten und damit sehr allgemeinen Betrachtung der Bevölkerung im Krieg untergehen wird.

Neugestaltung des historischen Ortes in Malyj Trostenec

Gedenkstein am historsichen Ort des Lagers.

Die seit 1994 anhaltenden Diskussionen um die Gestaltung des Gedenkortes in Malyj Trotenec kommen nun offenbar in eine neue Phase. Nachdem über Jahre entweder Architekten abgesprungen, das Geld ausgegangen oder gar nicht erst welches zur Verfügung gestellt wurde, kam es jetzt Anfang Februar zur Unterzeichnung eines Vertrags (3.2.2012) zur Neugestaltung der Anlage unter der Leitung der Architektin Anna Aksjonowa.

Malyj Trostenec war das größte Vernichtungslager, das von den Nationalsozialisten auf dem Gebiet der Sowjetunion errichtet wurde. Zu dem damals etwa 13 km von Minsk entfernten Lagerkomplex gehörten eine zu einem SS-Gut umgewandelte ehemalige Kolchose, in der meist jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt waren, sowie die Erschießungsplätze bei Blagowschtschina und Schaschkowka. Hier wurden in den Kriegsjahren 1941–1944 belarussische und deportierte ausländische  Juden, Kriegsgefangene, Partisanen, Untergrundkämpfer, Einwohner von Minsk und den nahe gelegenen Städten erschossen oder vergast. Die Angaben zu den Opferzahlen schwanken zwischen 60.000 und über 200.000 Menschen. Weder das ehemalige Krematorium noch wirtschaftliche und administrative Gebäude des Lagers sind heute noch vorhanden.

Obelisk zur Erinnerung an die Soldaten der Roten Armee.

Der historische Ort des Lagers ist derzeit durch zwei kleine Gedenksteine aus den 60er Jahren markiert. Sie sind schwer zu finden und eine Information fehlt ganz. Nicht am ursprünglichen Ort des Lagers einige Kilometer entfernt steht ein Obelisk in einer gestalteten Gedenkanlage zur Erinnerung an den Sieg über den Nationalsozialismus und die gefallenen sowjetischen Soldaten ohne einen Hinweis auf das Vernichtungslager in Malyj Trostenec.

Sowohl die beiden Gedenksteine als auch die Anlage um den Obelisken sind in denkbar schlechtem Zustand. Um hier Abhilfe zu schaffen, ist folgendes geplant: Der historischen Wegführung zum Lager folgend soll der „Weg des Todes“ erhalten bleiben. Der zentrale Weg wird der „Weg der Erinnerung“ sein. An seinem Anfang soll eine Informationstafel über den historischen Ort informieren. Hinter dem Obelisken eröffnet sich sodann das „Beerdigungsfeld“, wohin die Asche der verbrannten Körper gestreut wurde. Auch hier sollen Informationstafeln aufgestellt werden. Ebenfalls in die Neugestaltung einbezogen wird der deutsche Friedhof, der sich dort befindet. Wann die Umgestaltung abgeschlossen sein soll, ist nicht bekannt.

Inschrift auf der Rückseite des Obelisken.

Bislang ist dieser historische Ort kaum Gegenstand der Forschung in Belarus gewesen, allenfalls in den Arbeiten der Geschichtswerkstatt, wenngleich Dokumente und Quellen zugänglich sowie die historischen Fakten bekannt sind.

Inschrift auf der Vorderseite des Obelisken.

Seminare zum Ausstellungs- und Museumsmanagement

Auch in diesem Jahr wird es wieder eine Reihe von Veranstaltungen für Mitarbeiter/-innen von weißrussischen Museen am Goethe-Institut geben. Anders als im letzten Jahr wird eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe zusammenkommen, die sich aus einem festen Teilnehmerkreis zusammensetzt. Die Museumsfachleute erhalten am Ende ein Zertifikat über ihre Teilnahme, ausgestellt vom Goethe-Institut, ICOM und Tradicia History Service. Darüber hinaus finden zwei mehrtägige Workshops zur Vertiefung einzelner Themen statt.

Der Ausschreibungstext zur Bewerbung um die Teilnahme ist ab heute in deutscher, russischer und belarussischer Sprache auf der Website des Goethe-Instituts zu finden.

Außerdem habe ich in der vergangenen Woche mit meinem „Speckurs“ zum Thema Ausstellungsmanagement an der Historischen Fakultät am Lehrstuhl für Museumswissenschaften der Staatlichen Universität begonnen. Eine durchaus lohnende Erfahrung: Die Studierenden sind engagiert und saugen den Stoff praktisch auf, zur Bearbeitung von Texten, Websites etc. kann ich auf deutsche, englische und französische Sprachkenntnisse zurückgreifen, die Technik (Beamer, WiFi) hat bis jetzt einwandfrei funktioniert.

Weniger erfreulich sind das Honorar (10.0000 Rubel (ca. 1 €) pro Stunde), nur mäßig geheizte Räumlichkeiten mit zwar vielen PCs, dafür aber keiner Tafel, einer Flipchart o.ä., die nicht vorhandene Fachliteratur für einen Handapparat und die Organisation seitens der Uni. Dafür ist es umso erstaunlicher, dass sich aber auch inhaltlich niemand um mich kümmert, sprich: ich bin vollkommen frei in der Wahl meiner Seminarinhalte und Beispiele, incl. uneingeschränktem Zugang zum Internet. Auch hier also wieder die so oft zu beobachtende Ambivalenz: Ein insgesamt zu niedriges Niveau, nicht nachvollziehbare Strukturen und vor allem die eingeschränkte Freiheit zu Forschung und Lehre behindern den Beitritt des Landes zum Bologna-Prozess. Eine Kontrolle oder Aufsicht ausländischer Referenten, so jedenfalls meine eigene Erfahrung, findet offenbar nicht systematisch statt.

Nochmal: Buchmesse in Minsk

Im Rahmen der Buchmesse ist Frau Katharina Raabe, Leiterin des Osteuropa-Programms im Suhrkamp Verlag zu Gast in Belarus, um sich einen Eindruck von der Literatur des Landes zu machen. Am Freitag, den 10. Februar, 19.00 Uhr, wird sie in der Galerie Ў gemeinsam mit dem Schriftsteller Artur Klinau sowie den Autorinnen Volha Hapeyeva und Maryia Martysevich zum Thema „Literatur grenzenlos?“ diskutieren.

Mehr Informationen unter: http://www.goethe.de/ins/by/min/ver/de8791289v.htm

Bücher in Belarus/Weißrussland

Der heutige Beginn der XIX. Buchmesse in Minsk (8.-12.2.) sei Anlass darauf hinzuweisen, dass der Präsident dieses Jahr zum Jahr des Buches ausgerufen hat. Neben Veranstaltungen auf der Buchmesse wird es verschiedenen Ausstellungen in Belarus und im Ausland, Konferenzen und eine verstärkte Publikationstätigkeit geben sowie die Feier des 80. Jahrestages des Schriftstellerverbandes. Das Literaturportal Litkritika hat einen Wettbewerb ausgeschrieben.

Zum Programm des Buchjahres gehört auch die Förderung belarussischer Literatur. Dies fügt sich gut, denn in diesem Jahr wird ebenfalls der jeweils 130. Geburtstags der Nationaldichter Jakub Kolas (1882-1956) und Janka Kupala (1882-1942) begangen, zu deren Jubiläen zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, darunter auch auf der Buchmesse und in der Nationalbibliothek.

Gerade hat eine Buchhandlung im Zentrum eröffnet, die insbesondere Bücher belarussischer staatlicher Verlage anbietet. Insgesamt machen die Titel in belarussischer Sprache aber nur 10 % der Buchproduktion aus, eine reale Spiegelung der Sprachensituation im Lande. Ca. 120 Bücher erscheinen im Jahr auf weißrussisch, alle unter staatlicher Kontrolle.

Nicht zur Förderung der belarussischen Literatur passt die Meldung von BelaPan (31.1.) zur bevorstehenden Schließung der Abteilung für belarussische Literatur in der Vitebsker Regionalbibliothek.

Private Kunsthandlung und Rahmungen in Minsk

Wie so oft, hat sich die Sendung „Alte neue Heimat“ auf WDR 5 auch an diesem Sonntag (5.2.2012) wieder Belarus/Weißrussland zugewandt. In einem Beitrag über die Situation privater Unternehmen im Lande stand eine Kunsthandlung in der Hauptstadt im Mittelpunkt, die Rahmen, Rahmungen und hochwertige Kunstdrucke anbietet.

Unter Verweis auf die doch erheblichen Schwierigkeiten und bürokratischen Schikanen, mit denen ein privates Unternehmen heute in Belarus zu kämpfen hat, wollten die Inhaber der Kunsthandlung nicht genannt werden.

Diesen Wunsch wollen wir nicht unterlaufen. Hochwertige Rahmen, Leisten und Kunstdrucke gibt es jedenfalls an verschiedenen Stellen: http://www.ramka.by/, http://baget.by/, http://heritage.belcoins.com/podzemka.html, http://www.bagetstudia.by/contact.html

Statistik Belarus/Weißrussland

Abb.: http://minsk.gov.by/ru/org/8641/attach/14bf620/obesp_dom_xoz_2011.shtml

Nach so viel Jagdgeschichten wird es Zeit, zum normalen Leben und den harten Fakten zurückzufinden. Wie könnte das besser gelingen als durch Statistik. Offenbar ist das gerade sowohl in Belarus als auch in Deutschland ein Thema. Zunächst hat kürzlich das Amt für Statistik in Minsk  interessante Informationen über das „normale Leben“ in der Hauptstadt veröffentlicht. Demnach verfügen immerhin ¾ aller Haushalte über einen PC, in 100 Haushalten gibt es 167 (!) Farbfernseher und zwei Satellitenempfänger, 106 Kühlschränke, 87 Waschmaschinen, 85 Staubsauger, zwei Spülmaschinen, 67 Mikrowellen, 43 Digitalkameras und 223 Mobiltelefone. Immer mehr Haushalte haben einen eigenen PKW (2001 26 PKWs in 100 Haushalten, im Oktober 2011 schon 42).

Dazu passt es wie geplant, dass in der letzten Woche eine Delegation des Statistischen Bundesamtes  hier in Minsk war, um anlässlich einer Inflation von über 100 % im letzen Jahr eine sog. Preiserhebung zur Bestimmung des sog. Kaufkraftausgleiches durchzuführen. Das heißt im Klartext, es wird geprüft, ob wir hier nicht zu viel Geld verdienen, weil das Leben für uns aufgrund eines günstigen Tauschkurses möglicherweise zu preiswert zu haben ist.

In einem zugleich komplizierten (Vergleichskriterien, Durchschnittswerte etc.) wie letztlich ernüchternd einfachen Verfahren (was es nicht gibt, wird nicht erhoben, keine regionalen Besonderheiten etc.) werden im Laufe einer Woche maximal Preise erhoben, diese statistisch verarbeitet und anschließend geprüft, ob deutsche Beamte vielleicht 50 Pfennig zu viel verdienen (zu wenig ist nicht vorgesehen). Im Falle von Weißrussland ist es schwierig, da Lebensmittel und einige Dienstleistungen sehr teuer, Energie und Benzin aber zum Beispiel für uns sehr günstig sind.

Harren wir also der Dinge, die da kommen. Immerhin gibt es wieder zwei Menschen mehr, die von den realen Lebensbedingungen in Belarus berichten können. Wie die meisten waren sie überrascht, denn „ so schlimm, wie immer berichtet wird, ist es doch gar nicht!“.

Zum Thema Kultur sei noch angemerkt, dass das Nationale Statistische Komitee der RB praktisch keine Daten erhebt und veröffentlicht. Hier sei für den Museumsbereich auf die jährlichen Erhebungen des Instituts für belarussische Kultur verwiesen, in diesem Blog für 2010 publiziert unter: www.tradicia.de/wordpress/archives/816 

Die Wolfsjagd – Epilog

Noch immer hängt mir meine Begegnung mit den Wisenten nach – diese stille gegenseitige Betrachtung in im tief verschneiten, frostigen Wald, voller Verwunderung über den anderen. In diese Träumerei hinein kommt die Meldung von BelaPan vom 30. Januar: Offenbar aufgrund eines Jägerfehlers (!) ist in der Region um Gomel’ ein weibliches Wisent getötet und ein weiteres verletzt worden. Erst Tage später wurden sie in dem wenig besiedelten Gebiet gefunden. Ob das verletzte Tier überlebt, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Von den Jägern, die die Tiere vermutlich mit Wildschweinen verwechselt hatten, keine Spur. So grausam kann die Jagd sein!

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (6)

Glückliche Jäger!

Das war’s! Was für ein Abenteuer! Der Wolf ist dabei nicht mehr in Erscheinung getreten, dafür aber noch mal mehrere Herden Wisente, Rehe und andere Waldbewohner. Außerdem lachte über unserem letzten Jagdtag die Wintersonne bei nach wie vor 16˚C Frost. Die Spurensucher waren aktiv, wenn auch erschöpft, und so wurde doch noch eine Drückjagd möglich, nachdem wir erstmals selber eine echte und klare Wolfsspur im Pulverschnee gesehen haben. Ganz in der Nähe fanden sich dann noch die Reste [sic!] eines Rehs, das mehrere Wölfe am selben Tag gerissen hatten. Offenbar war er selber aber schon weg, so dass das zweistündige Warten in der Kälte ohne Erfolg blieb.

Was die Wölfe von einem Reh übrig gelassen haben.

 

 

 

 

Es blieb dann noch Zeit für einen kurzen Abstecher zu einem Denkmal an einen der vielen historischen Orte im Wald. Ein Gedenkstein erinnert an eines der vielen zerstörten Dörfer. Wer sie zerstört hat, bleibt freilich meist offen, in diesem Fall wohl die Deutschen, 1942 war der Partisanenkrieg noch nicht voll entbrannt. Mehr als dieser Stein erinnert an dieses Dorf nicht, von dem man nicht mal mehr den Namen weiß.

Gedenkstein für ein unbekanntes, zerstörtes Dorf.

 

 

 

Alles in allem konnten wir Waldmenschen wie Bürokraten schließlich doch noch davon überzeugen, dass das ganze Unternehmen für uns ein Erfolg und großes Abenteuer war. Erst dann haben letztere uns verraten, dass sie uns wie die Italiener gefürchtet hatten: Nix klappt bei der eigenen Reiseorganisation, und wenn nicht am ersten Tag erfolgreich geschossen wird, dann hagelt es Beschwerden. Und so trinkfest wie wir seien sie auch nicht! Darauf wurden dann einvernehmlich die letzten Flaschen geleert und eine Verabredung für’s nächste Jahr getroffen! Waidmanns Heil!

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (5)

Allmählich wird es eng. Heute ist der letzte Tag und bisher hat sich der Wolf nicht gezeigt. Offenbar sind außer den Bürokraten (schlechte Publicity!) auch die Waldmenschen enttäuscht, was sich an dem deutlich verminderten Wodkaverbrauch messen ließ. Für sie fällt das Wochenende aus, heute, am Samstag, heißt es wieder stundenlang bei eisiger Kälte (heute morgen – 16˚C) Spuren suchen, zu Fuß und auf Skiern. Morgen kommen schon die nächsten Jäger – Gott sei Dank nur zur Wildschweinjagd, also einer leichten Beute gegenüber dem Wolf.
Derweil genießt mein Schwiegervater den Schnee, die Wintersonne und den Wald. Von dessen Zustand ist er ganz begeistert, kann er es als Jäger, Landwirt und Waldbesitzer doch beurteilen. Bemerkenswert ist zunächst die wirklich große Fläche des Waldes in Belarus, dem einzigen Land in Europa, in dem der Verbrauch, also die Abholzung des Waldes, hinter dessen Zuwachs zurückbleibt. Hierfür gibt es offenbar mehrere Gründe. Zum einen hat es nach dem Krieg bis in die 50er Jahren eine systematische Aufforstung gegeben, bei der die Männer, so berichteten uns die Waldmenschen, die Löcher mit den Spaten gestoßen und Frauen und Kinder die Setzlinge eingepflanzt haben. Sieht man mal von den sicher katastrophalen Arbeitsbedingungen ab, so hat sich das für den Wald sehr bewährt. Auch die Tatsache, dass selbst abgelegene Gebiete mit der Gaszentralheizung versorgt sind, also nicht auf den sprichwörtlichen Ofen angewiesen sind, schont den Wald, der in großen Teilen unter Naturschutz steht. Hinzu kommt ein, offenbar im Unterschied zu Russland, gut organisierter und effektiver Brandschutz im Sommer, der freilich vom feuchteren Klima begünstigt wird.
Ein Blick in die Dörfer offenbart noch etwas anderes: Trotz postsowjetischer Planwirtschaft, zeigt sich gerade hier, anders als in dem am Reißbrett und im sozialistischen Größenwahn geplanten Minsk, die offenbar nicht auszurottende Tradition und Kultur der Selbstversorgung und Eigeninitiative – auch dies deutlich anders, als in Russland. Hier bekommt das Sprichwort, die Belarussen seien die Deutschen unter den Slawen, einen greifbaren Sinn. Die Häuser, teilweise noch aus ganz altem, also Vorkriegs-Baumbestand gebaut, und die Vorgärten sind gepflegt und individuell angelegt. Bezugspunkte in der Umgebung sind die Kirchen, fast in jedem größeren Dorf stehen neben den katholischen (die vom Einfluss Polens zeugen) teilweise neue orthodoxe Gotteshäuser (um sich gegen die Katholiken zu behaupten!).
Der Wald ist dabei zugleich Objekt der Hege und Pflege, ebenso wie der Nutzung. So war die letzte Aktion nach erfolgloser Jagd gestern Abend die Anlieferung eines riesigen Stückes Biberfleisches auf unserer verschneiten Kreuzung im Wald, bestimmt für ein Minsker Restaurant.  Während die Städter die Delikatesse aus dem Wald genießen, nutzen die Waldmenschen alle Teile des Bibers – vom Fleisch über das Fell, die Innereien, die Knochen und vor allem das Fett.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (4)

Foto: Ochota 12 (2011)

Um es gleich zu sagen: Der Wolf macht es weiterhin spannend. Auch an Tag vier des Abenteuers hat er sich nicht gezeigt. Was offenbar die Experten von BelGosOchota deutlich mehr beunruhigt, als meine Schwiegervater. Mit gewohnter Ruhe und Gelassenheit erinnert er an die unvergleichliche Scheu des Wolfes, der nur wenigen Jägern das Jagdglück beschwert. Die russische Zeitschrift „Ochota“ (Jagd) widmete dieser Faszination ein ganzes Heft im Dezember 2011 .
Über die Beweggründe des Wolfes, sich nicht zu zeigen, ließ sich auch gestern– bei noch milden 6-8 ˚C Frost und Speck und Wodka im Wald – trefflich spekulieren: Ist es ihm zu kalt und er schläft, um Kräfte zu sparen? Oder ist es noch nicht lange genug kalt, um auf Futtersuche gehen zu müssen? Sind die besonderen Umstände der Ranzzeit verantwortlich? Gibt es zu viele Rehe in der Gegend, so dass er satt ist und nicht umherzieht? Oder gibt es gar zu wenig Rehe in der Gegend, so dass er immer neue Wälder aufsucht – und in der Nacht bis zu 30 bis 40 km zurücklegt?
Noch immer heißt es also warten. Dies gestaltet sich indes als ein weiterer Kurs in Landeskunde. Immer klarer wird der Unterschied zwischen den Bürokraten und den Waldmenschen. War es schon ein Abenteuer, den Veranstaltern einen Vertrag über die vereinbarten Leistungen abzuringen, so zeigt sich jetzt einmal mehr ihre Aversion, sich in irgendeiner Form festzulegen. Immer wieder wird ein weiteres Telefonat vereinbart, muss der Direktor befragt und die Lage neu analysiert und wiederholt darauf hingewiesen werden, dass es keine Garantie gibt, um nicht festgenagelt zu werden. Dass das ganze Unterfangen einfach ein Vergnügen und eine unvergessliche Erfahrung ist – mit oder ohne Wolf, will ihnen nicht einleuchten. Und da sie zwischen uns und den Waldmenschen stehen, und die Waldmenschen von den Bürokraten abhängig sind (auch wenn es umgekehrt sein sollte), können wir sie davon auch nicht mehr überzeugen.
Ob das in der Harmonie des Wodkagelages gemachte Versprechen, diese Jagd werde nicht ohne den Wolf beendet, tatsächlich eingehalten werden kann, ist also nach wie vor offen. Derzeit läuft der nächste Versuch bei mittlerweile 15 ˚C Frost. Ich persönlich glaube ja, dass es daran liegt, dass niemand Kontakt mit dem Wolf aufgenommen hat. Aber das will natürlich keiner hören, es sei denn, die Waldmenschen haben genau das getan, und der Wolf hat entschieden, dass wir nicht würdig sind, ihm gegenüberzutreten.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (3)

Vorausgesetzt dieses Abenteuer folgt einer geschäftsfördernden Dramaturgie von BelGosOchota, dann ist diese Strategie bisher perfekt: Nachdem sich am ersten Tag kein einziges Tier gezeigt hat, der zweite Tag die Spannung insofern steigerte, als mangels neuer Spuren des Wolfs überhaupt kein Jagdausflug stattfinden konnte, sind wir gestern, Tag 3, in eine neue Phase eingetreten und nun alle restlos vom Jagdfieber gepackt.
Zunächst ging es bei  9 ˚C unter Null in einem ungeheizten, klapprigen Landrover Marke Eigenbau Richtung Naturschutzgebiet westlich von Ivaniec mitten in die Pushcha (in diesem Fall die Volzhinskaja oder Pershajskaja Puscha), wo am Samstag drei Wölfe gesichtet und seit Februar 2010 13 von ihnen geschossen wurden. Zunächst sollte der Treffpunkt ein Freigehege für die im Wald frei lebenden Wisente sein, die dort über die Neujahrfeiertage zur Besichtigung vorübergehend gefangen wurden. Offenbar kamen 10.000 Menschen zwei Wochen, um sie zu sehen, bevor sie wieder frei gelassen wurden. Während wir auf den Rest der Jagdtruppe warteten, kamen 16 der in der Nähe herumstreunenden Tiere ganz langsam auf uns zu. Ein bisschen unheimlich war es schon, gerade diese langsame Annäherung, bei der sich erst allmählich die imposante Größe dieser Urtiere offenbart. Schließlich waren wir fast umringt von großen und kleinen, weiblichen und männlichen Wisenten, die uns ebenso ungläubig musterten, wie wir sie. Und so standen wir eine ganze Weile und haben dieses Schauspiel in der Stille des Waldes genossen. Unterbrochen wurden wir durch den Anruf, der uns zum richtigen Treffpunkt lotsen sollte – die zuverlässige Abdeckung mit Handynetzen jedenfalls macht auch von einem dichten belarussischen Wald nicht halt.
Weiter ging es tiefer in die Pushcha hinein, vorbei an weiteren Herden von Wisenten, zahlreichen Rehen und einigen Wildschweinen (nur die Elche haben sich uns nicht gezeigt) bis zur „Hauptkreuzung mitten in der Pushcha“, d.h. eine tief verschneite Lichtung mitten im Nirgendwo, an der es allerdings tatsächlich an diesem Tag zu verschiedenen Kollisionen von bis zu 6 Autos kam. Dort kamen wir wieder zurück zu den Anfängen, nämlich das Warten auf den Wolf.
Etwa 8-10 Männer, echte Waldmenschen und Naturburschen, wie sie die zivilisierte Damenwelt nur noch selten zu Gesicht bekommt, waren für uns im Einsatz: Der Chef des Nationalparks, unser Betreuer und der Chef von BelGosOchota und vor allem die Spurensucher. Sie sind die wahren Helden der Wolfsjagd, nur sie können ihn aufspüren. Die Wolfsjagd ist eine der schwierigsten und benötigt viele Leute im Einsatz. Schwierig war es auch gestern, da es in der Nacht und auch am Tage wieder geschneit hatte und alle Spuren bedeckt waren. Und so haben wir gewartet, auf Marat und Igor, die beiden Brüder, die in der Pushcha aufgewachsen sind und eine von insgesamt sieben Häusern auf dem Gebiet des Urwaldes bis heute bewohnen. Erst wenn sie frische Spuren gefunden haben, legen sie die „Lappen“ um die Fundstelle herum und grenzen damit das Gebiet ab, in dem sich die Jäger etwa alle 300m aufstellen, um bewegungslos und schussbereit auf den Wolf zu warten.
Immer wieder kamen sie aus verschiedenen Richtungen zu unserer Kreuzung zurück, immer wieder ohne Ergebnis. Einen Wolf haben wir auch gestern noch nicht gesehen, uns dafür aber die Zeit unvergesslich vertrieben. Dazu beigetragen haben Unmengen von Selbstgebranntem, ebenfalls Unmengen von selbstgemachter Wildwurst, geräucherten Schweineohren, eingelegtem Kohl und sauren Gurken, Blinis und Waldkräutertee und viele Geschichten rund um den Wald. Wie er im Krieg großflächig gelitten, aber auch zum Straßenbau, zum Versteck der Partisanen und dem Wiederaufbau von Dörfern beigetragen hat. Wo die Tiere sich aufhalten und wohin sie zur Nacht wandern. Wo die Beeren wachsen, wo welche Bäume aufgeforstet und wie sie gepflegt werden. Wie die Menschen mit und von dem Wald leben und ihn lieben. Dass es West- und Ostbelarussen gibt und die Pushcha das Herz aller Westbelarussen höher schlagen lässt. Es wurde gesunden und gesprochen, auf belarussisch, polnisch, in einer Mischsprache, auf Mat und auch auf russisch, damit ich es verstehen konnte. Je dämmriger es wurde und je mehr Vodka floss, desto melancholischer  wurden die Waldmenschen, rezitierten Gedichte und waren froh, ihre Liebe zur eigenen Sprache, Kultur und Natur mit uns zu teilen.
Als wir nach Einbruch der Dunkelheit nach Minsk aufgebrochen sind, wobei unterwegs noch zahlreiche weitere Toasts ausgebracht wurden, war ich mir gar nicht sicher, was mich mehr beeindruckt und auch berührt hat: Die Wisente oder die Waldmenschen.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (2)

Wolfsjagd in Belarus. Foto: http://www.berliner-zeitung.de/brandenburg/jagdgesetz-die-jaeger-und-der-wolf,10809312,11271432.html

Als ob ich es vorhergesehen hätte: Ein Wolf hat sich zum Auftakt der Jagd ebenso wenig gezeigt, wie irgendein anderes Tier! Wie zur Beruhigung und Aufmunterung zugleich war dafür sicherheitshalber der Direktor von BelGosOchota mit ins Gelände gefahren – immerhin hat er in diesem Winter schon drei Wölfe geschossen!
Während sie bei uns in Deutschland nicht geschossen werden dürfen (sich deshalb auch wieder ausbreiten), leben in Belarus über 1.000 Wölfe, ein großer Teil davon in der Gegend Richtung Tschernobyl, wo nicht geschossen wird.
Jäger gibt es viele, die Anforderungen zur Prüfung sind im Vergleich zu Deutschland leicht. Das eigentliche Jägerhandwerk ist dann jedoch mühsam, der Umgang mit Waffen erfordert eine ungeheure Bürokratie und zudem ist es schwer (und/oder teuer), an gute Waffen zu kommen.
Für uns heißt es weiter warten auf den Wolf. Damit die Zeit nicht zu lang wird, gab es gestern schon mal reichlich Wodka, der dann auch die letzten Sprachbarrieren zu überwinden hilft. Und er wärmt, denn heute heißt es wieder: stundenlang bewegungslos stehen, mit dem Gewehr im Anschlag.

Die Wolfsjagd – Eine Fortsetzungsgeschichte (1)

Das Auslegen der „Lappen“, Foto: Ochota 12 (2011).

Bekanntlich bietet die belarussische Natur ein weites Betätigungsfeld für Jäger. Der Jagdtourismus wird gefördert, die Infrastruktur stetig ausgebaut. Und doch bleibt das Jagen ein Sport für Abenteurer, und wer an einen organisierten Urlaub denkt, liegt völlig falsch.
Dies erfahren wir gerade am Beispiel meines Schwiegervaters, seines Zeichens leidenschaftlicher und erfahrener Jäger, Waldbesitzer und Vorsitzender der Jagdgenossenschaft in seinem Revier. Nun ist er, wen wundert’s, nach Belarus gekommen, um auch hier sein Glück zu versuchen. Von Wildschweinen redet hier niemand, hier geht es um mehr: Hirsche, Elche, Luchse und auch Bären reizen den Jäger. Am schwierigsten jedoch ist die Wolfsjagd, und genau diese hält uns seit gestern in Atem.
Genau genommen hat es ja schon vorher angefangen, als wir nämlich versucht haben, diese Reise zu organisieren. Viele Möglichkeiten hat man nicht, man wendet sich auch hier vertrauensvoll an den Staat, an BelGosOchota. Mündliche Absprachen unter Jägern und ein Handschlag sollten die Sache besiegeln, und unser Wunsch nach einem Vertrag brachte schon die ersten Schwierigkeiten mit sich.
Die zweite Sorge bereitete das Wetter. Der im Dezember ungewöhnlich milde Winter ohne Schnee drohte uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Doch das sprichwörtliche Jägerglück stellte sich mit 20 cm Schnee pünktlich Mitte Januar ein.
Die nächste Hürde war dann die Einreise mit der Waffe. Es hätte mich schon stutzig machen müssen, als wir die Kontrollen der Bundespolizei problemlos und freundlich absolviert hatten. Die Ernüchterung kam beim Schalter der Belavia: Trotz aller erdenklicher Anfragen, wie es geht und was wir brauchen, hatten wir das entscheidende Dokument nicht, ohne dass es wirklich und unter keinen Umständen geht, denn „in Belarus ist man sehr streng mit Waffen“. Eine Zeitlang sah es tatsächlich so aus, als wäre das bereits das Ende der Geschichte. Einige Telefonate, das entscheidende ein Monolog Fedor Fedorovichs von BelGosOchota gegenüber dem Belavia-Tageschef, haben dann nach vertrauter Methode dazu geführt, dass es dann heute auch ausnahmsweise mal ohne das Dokument geht.
Nachdem die Waffe dann als Übergepäck bezahlt und als Sperrgepäck aufgegeben war, konnte es losgehen. Hier in Minsk läuft bisher alles nach Plan, wenngleich den auch nur Fedor Fedorovich kennt. Eben jener hat uns empfangen und die Waffe nach einer eher gelangweilten Prüfung des Zolls an sich genommen. Die Überprüfung der Munition ist hier wie dort übrigens unter den Tisch gefallen… Also haben wir uns auf den Heimweg gemacht, um Fedor Fedorovich mitsamt Waffe nach Hause zu bringen. Bass erstaunt darüber, dass wir gar kein Wässerchen zur Begrüßung vorbereitet hatten, kam er nach einem Augenblick mit einer Flasche und einem Teller voll zünftiger Speisen zurück zum Auto, so dass wir erstmal auf das deutsch-belarussische Jägerglück anstoßen konnten.

Nun hängt alles vom Wetter und dem Wolf ab. Ob er Spuren hinterlässt und nicht „durch die Lappen geht“ (so heißt es auf deutsch und auf russisch), ist unter ständiger Beobachtung der Experten. Zur Sondierung des Terrains sind die Herren heute Mittag rausgefahren – 70 km nordöstlich von Minsk. Was auch immer dort passiert, es wird zweifellos die Jägerbande unserer Länder vertiefen – mit oder ohne Erscheinen des Wolfs.

Preis für „geistige Wiedergeburt“ auch im Kulturbereich vergeben

Foto: http://zapadrus.su/ruszizn/sobrz/544--l-r-l-r.html

Und da ist er schon wieder – Vjacheslav Bondarenko. Derzeit begegnet er mir wirklich überall. Dieses Mal gehört er zu den Trägern des diesjährigen Preises für „geistige Wiedergeburt“. Zusammen mit weiteren Kollegen vom Fernsehen wurde er für die Dokumentarfilmreihe „Heldenstädte“ ausgezeichnet.
Aus dem Kulturbereich erhielt ferner eine Gruppe von Mosaikkünstlern. Von ihnen stammt das Mosaik in der Kapelle auf dem ehemaligen Friedhof für Soldaten des Ersten Weltkrieges, der zu einer Gedenkanlage umgestaltet wurde.
Neben den Kulturschaffenden sind hauptsächlich Personen aus dem Sozial- und Kirchenbereich ausgezeichnet worden, darunter Ärzte einer Kinderklinik in Gomel und der Erzbischof von Nowogrudok und Lida Guri. Aber auch eine kinderreiche Familie wurde geehrt, die im Laufe von 20 Jahren 11 Waisen großgezogen hat. Derzeit erziehen sie weitere fünf Kinder.

Altes Neues Jahr

Heute wird nach dem julianischen Kalender in den orthodoxen Ländern das „alte neue Jahr“ gefeiert. Im letzten Jahr waren wir aus diesem Anlass im Dorf Semezhava, wo die Tradition des Umzugs der Kalyady-(Weihnachts-)Zaren in besonderer Weise begangen wird.
In diesem Jahr will ich das Datum zum Anlass nehmen, einen Blick zurück auf das orthodoxe Weihnachtsfest zu werfen, das hierzulande wieder mehr Aufmerksamkeit erfährt, als dies noch zu Sowjetzeiten und in den letzten Jahren der Fall war.
Der Heilige Abend, Sochelnik, also der 6. Januar abends, gilt gläubigen orthodoxen Christen als Vorbereitung für das Fest. An diesem Abend darf nichts gegessen werden, bis der erste Stern am Himmel erscheint. Dann allerdings wird ein großzügiges Mahl mit der ganzen Familie eingenommen, nachdem zuvor das Haus, so jedenfalls die Tradition, gründlich geputzt und geschmückt wurde.
Auch ein Kirchgang ist für diesen Abend vorgesehen, um sich auf den Weihnachtstag am 7. Januar vorzubereiten. Die Nachtgottesdienste um 0.00 Uhr dauern oft mehrere Stunden. Der Gottesdienst am Vormittag des 7. Januar fällt deutlich kürzer aus und wird überwiegend von Familien besucht.
Insgesamt lässt sich eine Rückeroberung der alten Traditionen beobachten, inwieweit diese jedoch religiöse motiviert sind, oder der auch hier zunehmenden Kommerzialisierung der Weihnachtszeit zuzuschreiben sind, lässt sich schwer sagen. In jedem Fall waren in diesem Jahr schon mehr Weihnachtsbäume und blinkender Fensterschmuck verbreitet, als noch im letzten Jahr. Anders aber als in Russland wird das öffentliche Leben in Belarus nicht für zwei Wochen lahm gelegt – im Gegenteil: Ein Erlass des Präsidenten sieht vor, dass am 21. Januar nacharbeiten muss, wer am 6. Januar frei gemacht hat.

Wie im letzten Jahr gibt es in dem gesamten Zeitraum von Mitte Dezember bis Mitte Januar Verkaufsmärkte mit Fleisch, Fisch und Gemüse vom Feld. Um den Erlebnischarakter zu erhöhen, findet an den Wochenende ein musikalisches Programm auf den Bühnen der Märkte statt, deren Angebot von propagandistischen Durchhalteliedern bis zu bekannten Schlagern reicht. Weihnachtslieder, wie wir sie kennen, gibt es nicht, allerdings dudelte neulich im Supermarkt „Oh Tannenbaum“ (auf deutsch!) im Hintergrund und im Gottesdienst am 6. Dezember in einer kleinen Kirche ertönte „Stille Nacht“ auf russisch. Überall stößt man auf „Väterchen Frost“ und Snegurochka (seine Tochter, das Schneeflöckchen). Stets im Doppelpack erfüllen sie hier die Funktion des Weihnachtsmann und/oder des Christkindes.
Insgesamt ist die Stimmung weihnachtlicher als noch im letzte Jahr, wenngleich die erstmals aufgestellten „Weihnachtsmärkte“ noch ausbaufähig sind: Noch sind es wenige Buden mit eher alltäglichen Waren, aber ein Glühweinstand ist schon dabei und erfreut sich großer Beliebtheit. Ein Weihnachtsfest haben wir noch vor uns in Belarus, um zu sehen, wohin die winterliche Reise geht.

Zwischen den Jahren

Die "Haupttanne des Landes" steht vor dem Palast der Republik. Foto: http://www.snpltd.ru/new_year/belorussia/Minsk_K_3days/

Es ist jedes Jahr dasselbe, man lebt in der Spannung der letzten Tage und Stunden des einen und in der freudigen und zugleich bangen Erwartung des kommenden Jahres. So war es auch dieses Mal – unserem ersten Sylvester in Belarus, nur wurde die Spannung der letzten Stunden dramatisch gesteigert durch die Zwischenlage, in der wir uns hier befinden.
Stichwort Diplomatie: Am liebsten wäre ich ja zu Hause geblieben, zumal wir aus unserem 18. Stockwerk zweifellos einen phantastischen Ausblick auf das Feuerwerk gehabt hätten. Aber die Pflicht rief, also folgten wir ihr in Form einer Einladung unserer diplomatischen Nachbarn (aus deutscher wie aus belarussischer Perspektive). Die erste Wahl, den Abend gemeinsam in einem zünftigen Restaurant in der Innenstadt mit allem Drum und Dran zu verbringen, wurde kurzfristig abgelöst durch die durchaus vornehmere Wahl zugunsten des ersten Hotels am Platz. Hier sollten uns, gegen eine nicht unerhebliche Eintrittsgebühr (etwa ein Monatsgehalt in Belarus!), ein „hochwertiges“ Showprogramm und ein „ausgezeichnetes“ Menü erwarten. Die Frage, ob die Damen in lang und die Herrn im Smoking gehen, erledigte sich, als sich herausstellte, dass die Getränke selbst mitzubringen seien. Dass es sich dennoch um ein erstklassiges Hotel handelt, haben wir der tröstlichen Nachricht entnommen, dass es stets im Fokus der Aufmerksamkeit steht, insbesondere durch die „Dienste“, die es natürlich auch hier besonders auf die Deutschen und Polen abgesehen haben.
Stichwort Feiern: Dass die Belarussen gerne und ausgiebig feiern, ist bekannt und das haben sie auch in dieser Nacht getan: Viel essen, viel trinken, viel tanzen, und das mit der ganzen Familie und über mehrere Generationen hinweg. Ein leichtes Naserümpfen gab es allein von den Nachbarn – hier sei man es gewöhnt, viel mehr zu tanzen und nicht so lange zu essen. Auch bringe man keine Kinder mit zur Sylvesterfeier, allerdings zeigte man sich einsichtig, dass in Belarus bekanntlich das Neujahrsfest weniger dem „westeuropäischen“ Sylvester als dem Weihnachtsfest im Familienkreis gleiche. Und überhaupt, die Entscheidung für diesen Ort sei gut und richtig gewesen, schließlich sei hier alles auf „ausgesprochen hohem Niveau“. Darin waren sie sich dann auch mit den Belarussen einig, insbesondere was den Auftritt der „Zigeuner“ gegen 3.00 Uhr morgens betraf. Ein Feuerwerk hat offenbar niemand außer uns vermisst.
Stichwort Zeit: Aufgrund der Zeitzonen sowie unterschiedlicher Auffassungen zur halbjährlichen Zeitumstellung hatten wir das Vergnügen, viermal auf den Jahreswechsel anzustoßen. Nachdem die Feierlichkeiten überhaupt erst um 22.00 Uhr begonnen hatten, waren als erstes die Russen dran – wer sonst. Kurz vor 23.00 Uhr Minsker Ortszeit übermittelte Präsident Medwedew seine guten Wünsche für das kommende Jahr, und spätestens nach den würdevollen Klängen der Nationalhymne und dem ersten Erheben der Gläser wurde deutlich, wer die Russen unter uns waren. Nach einer nur kurzen Verschnaufpause waren dann die Belarussen dran, nur dass hier die Ansprache des Präsidenten wesentlich länger dauerte, dafür aber niemand mehr der Nationalhymne lauschte. Die anwesenden Litauer und Ukrainer beschränkten sich sodann eine Stunde später auf das Anstoßen und verstärktes Tanzen, um dann mit allen anderen gemeinsam um 2.00 Uhr Ortszeit die letzte Gelegenheit zu ergreifen, endlich auch die Deutschen und die Polen ins neue Jahr zu begleiten. Erst jetzt meldeten sich ebenfalls anwesende Österreicher zu Wort, um den Neujahrsgruß in einer weiteren Fremdsprache zu Gehör zu bringen. Abschließend gratulierte der Animateur allen Nationen und ihren Metropolen zum neuen Jahr, konnte sich aber nicht mehr an die Hauptstadt von Österreich erinnern.
Gegen 6.00 Uhr waren wir zu Hause, nicht ohne dass uns der noch einzig verfügbare Taxifahrer die vierfache Summe des Normalpreises abgenommen hatte. Es war ein ebenso schöner wie wunderlicher Abend, aus dem nicht nur die deutsch-polnische Freundschaft gestärkt hervorgeht, sondern auch die aller Mitteleuropäer.

Schillernd

Foto: http://www.newsvm.com/news/17/61255/. Bondarenko in einer Filmrolle als Offizier der Russischen Armee – ganz er selbst.

Man hört und sieht ja oft nur, was man weiß, heißt es doch immer. So ging es mir in letzter Zeit mit Vjacheslav Bondarenko (* 1974). Zugegeben hatte ich bis vor einem Monat noch nichts von ihm gehört und nun begegnet er mir gerade auf Schritt und Tritt. Und wie bei so vielen Erfahrungen in diesem Land, werde ich auch aus dieser bisher noch nicht schlau.

Kennengelernt habe ich Bondarenko in einer Konferenzpause am 11.11.2011 nach der Gedächtnisfeier anlässlich des Jahrestages des Endes des Ersten Weltkrieges. Hier trat er in seiner Funktion als Moderator der Talkshow „Otkrytyj format“ auf ONT auf, die sich an diesem Tag eben der Erinnerung an den Weltkrieg widmen sollte. Erst später habe ich erfahren, dass er selber bereits einige Bücher, Artikel und Drehbücher zum Thema veröffentlich hat, zuletzt 2010, und soweit ich das bisher beurteilen kann, überhaupt einer der wenigen ist, die sich mit dem Ersten Weltkrieg in Belarus beschäftigt haben. Überhaupt ist das Interesse an Militärgeschichte ein Kennzeichen seiner Arbeit in den letzten Jahren. So bestreitet er beispielsweise eine eigene Rubrik in der staatstreuen Zeitung „Belarussischen Militärzeitung“.

Eine Suche in Internet öffnet ungeahnt viele Seiten über ein erstaunlich breites Betätigungsfeld Bondarenkos. So ist er z.B. der Autor der Romanvorlage der in Russland und hierzulande beliebten Fernsehserie „Likvidacija“, von der mir – Zufall?- Tage zuvor meine Friseure (!) und meine Russisch-Lehrerin unabhängig voneinander vorgeschwärmt haben. Und nicht nur das, Bondarenko ist als Schriftsteller natürlich Mitglied belarussischen Schriftstellerverbandes, aber darüber hinaus auch Träger einiger Preise für sein Werk, darunter der „Allrussischen Auszeichnung für Literatur L. Tolstoj“ (2005).

Zu seinem Oeuvre gehören neben weiteren Romanen mit häufig historischem Sujet musikalische Beiträge als Sänger und Komponist, als Drehbuchautor und Schauspieler, als Journalist für Radio und Fernsehen sowie Gedichte. Auf mich wirkt dieses breite Portfolio weniger beliebig als sympathisch – offenbar bewegt sich Bondarenko zugleich suchend und anregend auf verschiedenen Bühnen zwischen Kultur, Geschichte und Kommerz.

Erst kürzlich hatte ich wieder das Vergnügen einer Begegnung, als Bondarenko mich einlud, ein Statement in seiner Talkshow anlässlich des 20. Jahrestages des Zerfalls der UdSSR zu äußern. Hier habe ich ihn, wie schon beim ersten Mal, als souveränen, wenngleich auch nicht polarisierenden Moderator erlebt, der durchaus um eine offene Diskussion bemüht ist. Dass die Sendung nicht live ausgestrahlt wird, ist keine Ausnahme in Belarus. Wie groß sein Spielraum aber wirklich ist, wird sich mit der Zeit erweisen, ist er doch bei „Otkrytyj format“ der Nachfolger des populären Sergej Dorofeev, der nach der Sendung zum 19.12.2010 nach einer falschen Frage an die Leiterin der Wahlkommission seinen Hut nehmen musste. Aber irgendwie habe ich in meinen Gesprächen mit Bondarenko den Eindruck gewonnen, dass er diese, wie auch seine vielen anderen Rollen, mit einer gewissen Distanz zu sich, seinen Themen und wohl auch seinen Auftraggebern ausfüllt, und wenn nicht dieses, dann eben ein anderes Projekt um seiner selbst willen realisiert.

Nochmal zum Ersten Weltkrieg

Dass der Erste Weltkrieg zunehmend das Interesse von Forschung, öffentlicher Erinnerung und Gesellschaft weckt, ist bekannt. Speziell für Belarus hat der Autor Vjacheslav Bondarenko dieses Interesse aufgenommen und im letzten Jahr ein Buch über „Die verlorenen Siege des Russischen Imperiums“ auf dem Gebiet des heutigen Belarus veröffentlicht. Darin beschreibt er in zwölf Kapiteln die militärischen Operationen an der russischen Westfront zwischen 1915 und 1917, geht auf die (erstmals) eingesetzten Waffen ein, liefert eine Auflistung der beteiligten Truppenteile und stellt die Aktivitäten der Flottenbrigade vor.

Eine wissenschaftlich militärhistorische, geschweige denn militärische Monographie ist das Buch allerdings nicht. Vielmehr schreibt Bondarenko als Journalist, motiviert durch sein persönliches Interesse an diesem Abschnitt der Geschichte: Einige seiner Vorfahren haben den Krieg in verschiedenen Rängen und Funktionen erlebt, er listet sie mit kurzen biographischen Daten im Schlusswort auf. Auch kommen sie an verschiedenen Stellen des Buches vor, niemals jedoch in aufdringlicher Weise. Überhaupt liest sich das Buch flott und fast spannend, was möglicherweise den Autor einer Rezension im Internet dazu verleitet hat, es als Roman zu bezeichnen. Zur guten Lesbarkeit trägt auch das Kapitel über die „Heimatfront“ und den Einsatz der Frauen in den Kriegsjahren bei.

Mit Recht weist Bondarenko im Vorwort darauf hin, dass der Krieg über Jahrzehnte aus dem kollektiven Gedächtnis der Region verdrängt wurde, da die Soldaten nicht für die „richtige Sache“ gekämpft hätten. Dabei hat der Krieg tiefe Spuren auch im heutigen Belarus hinterlassen. Nach Angaben des Autors wurden von insgesamt 7 Mio Belarussen 700.000 bis 920.000 Männer eingezogen, 1,5 Mio wurden zu Flüchtlingen gemacht, 3,5 Mio kamen unter deutsche Besatzung. Eine wissenschaftliche Überprüfung der Zahlen ist schwierig, da die Gebiete des heutigen Belarus Teil des Russischen Reiches waren und keine isolierten Daten vorliegen. Es ist jedoch wahrscheinlich von niedrigeren Schätzungen auszugehen (vgl. dazu die Artikel von Sachar Schybeka und Mikola Iwanou im Handbuch der Geschichte Weißrusslands, Göttingen 2001). Leider verzichtet der Autor ganz auf Anmerkungen und auch die Literaturliste (mit durchaus neueren Veröffentlichungen) beinhaltet nur russisch- und belarussischsprachige Literatur, wobei nicht zwischen Quellen, Memoiren, Sekundärliteratur und Belletristik unterschieden wird. Ein Hinweis auf das „Russische militärhistorische Archiv“ (fälschlich mit RGALI (Russischen Staatliches Archiv für Literatur und Kunst) verweist auf Quellennutzung, ohne diese näher zu beschreiben.

Dafür unterscheidet Bondarenko konsequent zwischen „Belarussija“ für die topographische Bezeichnung während der Kriegsjahre und „Belarus“ für die heutige Republik. Innerhalb ihrer Grenzen lag das Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshaber der Armee Nikolaus II. (in Mogilev), wurde der spätere Vertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet, mit dem Russland aus dem Krieg ausschied und die Abdankungsurkunde des Zaren unterschrieben. Auch wurde das erste Denkmal für die Soldaten des Ersten Weltkrieges 1915 in Baranovichi errichtet.

Zwar geht es Bondarenko nicht um eine Nationalisierung des Krieges, zweifelsohne jedoch um einen Beitrag zur Aufarbeitung eines historischen Abschnitts, der in der nationalen Selbstdefinition der Belarussen eine zunehmend starke Rolle spielt. Umso bedauerlicher ist es, dass es kein Kapitel zur Bedeutung und Erinnerung an den Krieg im heutigen Belarus gibt. Gerade dies wäre aus der Feder des erfolgreichen und populären Journalisten und Publizisten sicher anregend gewesen.

Illustriert wird das Buch durch zahlreiche, in mittelmäßiger Qualität abgedruckte Fotos, die teilweise mit Orts- und Zeitangabe versehen sind, oft jedoch ohne Erläuterung bleiben. Auch hier fehlen Quellenangaben, sieht man von dem Hinweis ab, viele der Fotos stammten aus dem Archiv des Autors.

Insgesamt ist das Buch meiner Ansicht nach ein wichtiger, wenn auch nicht erschöpfender Beitrag zur Geschichte heutiger weißrussischer Gebiete im Ersten Weltkrieg, das viele Anknüpfungspunkte sowohl für die aktuelle Diskussion über die kollektive Erinnerung als auch für weitere Forschung bietet.

Zum Thema vgl. auch: „Ereignisse und Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges in Weißrussland. Recherchen im Zusammenhang mit den Workcamps der Jahre 2000 – 2005 am Narotschsee und in Stari Lepel. Wege der Versöhnung mit der humanitären Hilfsorganisation Heim-statt Tschernobyl e.V.“ mit Zeitzeugeninterviews und Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des heutigen Belarus.

http://www.ruessmeyer.de/admin/veranstaltungen/data/05122006183439_pdf.pdf

Museum für Flugzeugtechnik

Foto: http://aircraft-museum.ucoz.ru/index/o_muzee/0-4

Nicht gerade mein Spezialgebiet, aber Museum ist eben Museum, also habe ich mir auch dieses angesehen. Das erste Museum dieser Art in Belarus unter freiem Himmel befindet sich seit 2009 in Borovaja (Minsker Gebiet). Zu sehen ist eine stattliche Anzahl von Fluggeräten aus unterschiedlichen Zeiten, darunter viele Modelle, die man aus Zeiten des Kalten Krieges nur aus Büchern und Filmen kennt. Eine erklärende Ausstellung gibt es nicht, insofern handelt es sich wohl mehr um einen Erlebnispark als um ein Museum. Dazu passt das Angebot, in die Flugzeuge hineinzugehen, auch besteht die Möglichkeit eines Hubschrauber-Rundflugs. Wer es dann doch genauer wissen will, wird auf der (übersichtlichen, wenn auch etwas überladenen) Website fündig. Sie bietet Informationen, die man vor Ort vermisst, wie z.B. eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Exponate.

Hilfreich zum Einstieg in die Geschichte der Erinnerung der Luftfahrtgeschichte in Belarus ist eine Übersicht über Denkmäler zur Flugzeuggeschichte mit Fotos und weiteren Erläuterungen. Offenbar gibt es aber eine Fangemeinde, davon zeugt jedenfalls das aktive Forum auf der Seite.

Besuch der Militärattachés im Museum am 18.11.2012. Foto: http://aircraft-museum.ucoz.ru/

Im Dschungel der Förderung von NS-Opfern

Ein Besuch bei der Internationalen Vereinigung „Verständigung“ hat mich kürzlich ebenso beeindruckt wie verwirrt. Beeindruckt, weil die neun Mitarbeiter sich mit wirklich bemerkenswertem Engagement für die Betreuung und Versorgung von NS-Opfern hier in Belarus einsetzen – und dies, nachdem die Zahlungen aus dem Zwangsarbeiterfond der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) schon lange abgeschlossen sind. Und hier fing auch die Verwirrung an, denn der offizielle Partner für die Auszahlung der Entschädigungszahlungen der Stiftung EVZ in Belarus, so dachte ich immer, war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ – nicht die Vereinigung „Verständigung“.

Offenbar ist es wie folgt: In der Tat war die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ der offizielle Partner der Stiftung EVZ für die Auszahlungen. Aufgrund der zwischenstaatlichen Vereinbarung kooperierten damit zwei staatliche Einrichtungen. Seit 2007 die Zahlungen abgeschlossen waren und aus den Restmitteln weiterhin Projekte für die Opfer realisiert und finanziert wurden, gibt es nun einen Spielraum für weitere Initiativen in diesem Feld, die um das verfügbare Geld konkurrieren. Ein Teil der Mitarbeiter der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ haben daraufhin 2008 die (nicht-staatliche) zunächst städtische, später internationale Vereinigung „Verständigung“ gegründet. Daneben existieren das Internationale Begegnungszentrum IBB Minsk, das sich mit der Geschichtswerkstatt um ehemalige Opfer des Nationalsozialismus kümmert, sowie eine nicht unbeträchtliche Zahl weiterer, kleiner Vereinigungen und Initiativen.

Während die Stiftung „Verständigung und Versöhnung“, die es bis heute gibt, sich überwiegend der medizinischen Versorgung der Opfer widmet (u.a. gefördert durch die Stiftung „Erinnerung und Zukunft“, die wiederum ein Teil der Stiftung EVZ ist), sind die Schwerpunkte der Vereinigung „Verständigung“ soziale Projekte und persönliche Betreuung der Opfer in Belarus und Estland. Dazu gehören Begegnungsprojekte ebenso wie Amtshilfe und Unterstützung im Alltag einschließlich Reparaturarbeiten etc. Eine Kooperation mit der Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ gibt es aus verschiedenen Gründen nicht mehr, die Zusammenarbeit mit der Geschichtswerkstatt, die sich primär der historischen Aufarbeitung der Geschichte in Form von Gesprächsrunden und Publikationen verschrieben hat, dagegen findet regelmäßig statt. Das größte Programm unter dem Dach der Vereinigung „Verständigung“ ist der „Treffpunkt Dialog“, Teil des Förderprogramms der Stiftung EVZ für Belarus, Russland und die Ukraine.

Die Vielfalt der Initiativen hier in Belarus, aber auch die anhaltende Finanzierung aus Deutschland hat mir imponiert, zumal sich daraus wohl zunehmend Projekte aus belarussischer Eigeninitiative im Bereich der bisher eher vernachlässigten Seniorenprogramme und -angebote entwickeln, wie mir die Leiterin der Vereinigung „Verständigung“ erzählte. Ehrlich gesagt, bin ich noch nicht mal ganz sicher, ob ich alle Zusammenhänge und Strukturen richtig verstanden habe. Es ist schon fast wie bei den Initiativen zu Tschernobyl – es ist schwer, den Überblick zu behalten. Genau deshalb aber macht mich diese beeindruckend breite Palette der Unterstützung ehemaliger NS-Opfer auch ein bisschen nachdenklich. Wenn ich es nicht besser wüsste aus meinen Erfahrungen hier in Belarus, dann würde ich sagen, ein bisschen Zentralismus kann manchmal auch nicht schaden.

Die Museumslandschaft in Belarus …

… ist vielfältig und birgt viele Überraschungen in einem politischen System, in dem man wenig Spielräume vermutet. Mehr noch als die Museen selbst profitieren die Museumsmitarbeiter noch immer von der Aufbruchstimmung der frühen 90er Jahre. Was fehlt, sind internationale Kontakte und die Entwicklukng von Qualitätsstandards.

Eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation, aktueller Tendenzen und Herausforderungen habe ich für die aktuelle Ausgabe der „Belarus-Analysen“ der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität in Bremen zusammengestellt, ergänzt von statistischen Angaben zur lage der Museen, die vom Institut für Belarussische Kultur stammen. Zum vollständigen Text geht es hier.

Zaslavl‘

Die orthodoxe und katholoische Kirche von Zaslavl'.

Ein Ausflug führte uns letztens in eine der ältesten Städte des Landes unweit von Minsk. 985 von Großfürst Vladimir gegründet, ist das verschlafene Städtchen ein Spiegel der Geschichte der Region.

Die Anlage des Marktplatzes stammt aus dem 11./12. Jh. Ende des 11. Jh. entstand die Burg, eine der frühesten Verteidigungsstrukturen auf dem Gebiet des heutigen Belarus, von der aber heute nur mehr Torfragmente zu sehen sind. Zur Erinnerung an diese Epoche veranstaltet die Stadt immer wieder Mittelalterfestivals.

Von der religiösen Geschichte des Landes zeugen die Gebäude einer katholischen und einer orthodoxen Kirche. Letztere wurde als eine der ersten protestantischen Kirchen in Belarus im 16. Jh. von Calvinisten erbaut, einer Zeit starker protestantischer Strömungen in der Region. Im 17. Jh. wurde sie der katholischen Gemeinde übergeben, Ende des Jh. zu einem Teil des neu gegründeten Dominikanerklosters. Die Kirche erfuhr später zahlreiche Umbauten. Wahrscheinlich im 17. Jh. erhielt sie den 35 m hohen Turm. 1883 ließ der russische Zar Kloster schließen, das Kirchengebäude wurde der orthodoxen Kirche übergeben. Bis 1961 war sie aktiv, seit 1977 diente sie als Museum und ist seit Ende der 90er Jahre wieder ein Gotteshaus.

Die heute katholische Kirche am Marktplatz stammt aus dem Jahr 1774 und war ursprünglich barock ausgestattet. Ende des 19. Jh. übergaben die russischen Behörden die Kirche an die orthodoxe Gemeinde, verbunden mit einigen Umbauten. Gottesdienste wurden hier bis 1941 abgehalten. Der Krieg führte zur fast völligen Zerstörung des Gebäudes. Erst Ende der 90er Jahre begannen die Restaurierungsarbeiten, zu deren Abschluss die Kirche wieder der katholischen Gemeinde übergeben wurde.

Das 20. Jh. prägt den Platz im Zentrum vor dem Gebäude der Stadtverwaltung, Hier steht noch immer eine Leninfigur und weist den Weg in die richtige Zukunft. Unmittelbar daneben kann der Besucher in der Tradition der „Helden der Arbeit“ die Portraits der verdienten Bürger der Stadt bewundern. Am anderen Ende des Platzes befindet sich das kleine Stadtmuseum. Aus professioneller Sicht ist eine Erneuerung der Ausstellung dringend nötig, aus touristischer Perspektive ist das Museum eine wahre Fundgrube und sinnliche Anregung.

Bemerkenswert ist eine Tafel an einem der Häuser am zentralen Platz. Hiermit erinnert eine Schule an ihre ehemaligen Schüler, die im Afghanistan-Krieg ums Leben gekommen sind.

Noch immer aktiv ist schließlich eine uralte Mühle. Ihre Geschichte und Funktion sowie die Lebensweise der Müller werden in einer kleinen Ausstellung erklärt, einer Dependance des Geschichts- und Kulturgeschichtlichen Museums. Erwähnenswert ist noch eine weitere Außenstelle des Museums, das „Kindermuseum der Waldmythologie“.

Nicht unerwähnt bleiben soll eine Gedenktafel zur Befreiung der Stadt durch die Partisanen, unweit der Mühle. Diese Tafel war unlängst Gegenstand in einem kritischen Artikel in der „Belarussischen Militärzeitung“ vom 12.5.2011 , in dem der Autor auf Ungenauigkeiten hingewiesen hatte – an der Tatsache, dass die Stadt von Partisanen befreit wurde, aber letztlich doch nicht zweifeln wollte.

11.11.2011 – Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

Mitglieder einer Re-Enactment-Gruppe in Uniformen deutscher Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Ein neuer Wind weht, was die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg betrifft. Ich hatte an dieser Stelle schon berichtet, dass in diesem Jahr der Friedhof im nördlichen Stadtzentrum für Gefallene bzw. im Krankenhaus verstorbene Soldaten wieder hergestellt wurde. Damit ist dieser wohl der einzige Friedhof des Ersten Weltkrieges im GUS-Raum, der so aufwändig und gezielt als Erinnerungsort angelegt wurde.

Dort fand nun am 11.11., dem Gedenktag an das Ende des Großen Krieges, unter dem Motto „Tag der Versöhnung“ (dreispachig in russisch, deutsch und englisch!) eine Gedenkfeier statt. Schon einmal hatte es 2008 eine Gedenkfeier am 11.11. in Baranoviči gegeben, die jedoch bei weitem nicht so aufwändig gestaltet war.

Einer kurzen Andacht von Geistlichen mehrerer Konfessionen in der kleinen Kapelle folgten Reden des belarussischen Informationsministers, des ungarischen (!) Botschafters sowie des Verteidigungsattachés der Russischen Föderation. Der deutsche Botschafter legte einen Kranz nieder, Vertreter russischer Kosakenverbände und verschiedene Einzelpersonen legten Blumen nieder. Die Zeremonie wurde durch die Anwesenheit von Vertretern einer Reenactment-Gruppe in deutschen und russischen Weltkriegsuniformen eingerahmt und mit Salutschüssen und einer Militärkapelle begleitet.

Im Anschluss fand ein Austausch von Meinungen zur Erinnerung an den Weltkrieg in der „Mitso“-Universität statt. Angekündigt war eine Konferenz, allerdings handelte es sich eher um eine Veranstaltung im Gedenken an die Soldaten des Krieges, die ebenso übrigens wie die Soldaten des „Großen Vaterländischen Krieges“ für Ihre Heimat gestorben seien. Angekündigt wurde die Errichtung einer neuen Gedenkstätte, die zum 100. Jahrestag de Kriegesbeginn eingeweiht werden soll.

Auch eine bekannte Talk-Show widmete sich immerhin eine ganze Stunde dem Ersten Weltkrieg. Unter der Leitung des Moderators Vjacheslav Bondarenko, einem Schriftsteller und Journalisten, der sich durch mehrere Publikationen zum Ersten Weltkrieg insbesondere in Belarus, hervorgetan hat („Vergessene Schlachten des Russischen Imperiums in Belarus“, 2010), befragte Historiker, Hobbyforscher, Militärvertreter und ausländische Militärattachés. Die Sendung war am 14.11.2011 auf ONT zu sehen.

Den Abschluss des Tages bildete ein Empfang des Verteidigungsministeriums, der in zahlreichen Toasts die Versöhnung zum 93. Jahrestag des Krieges besiegelte.

Greifbare Geschichte im Historischen Museum

Foto: http://en.belapan.com/archive/2011/10/26/en_media_vitaut/

Die Rekonstruktionen zweier historischer Figuren sind seit dem 24. Oktober im Nationalen Historischen Museum zu sehen: Großfürst Vytautas und der polnische König Jagiello. Die Figuren sind lebensgroß und wurden nach Abbildungen in historischen Quellen hergestellt. In Gesichtszügen und Kleidung, so das Museum, entsprechen sie dem historischen Vorbild möglichst nah. Genaueres ist hier nachzulesen.

Beide Figuren sind zentrale Persönlichkeiten der nationalen Geschichte, so der Direktor des Museums bei der Eröffnung. Unter Vytautas (1350-1430) gelangte der litauisch-polnisch-weißrussische Staat zu seiner größten Macht und Ausdehnung. Zusammen mit dem polnischen König Jagiello (1348?-1434) befehligte er die Armee in der Schlacht von Tannenberg (hierzulande „Grünwald“) 1410, in der der Deutsche Orden eine schwere Niederlage gegen das Großfürstentum Litauen und das Königreich Polen erlitt.

Beide Figuren sollen demnächst im Zentrum einer Sonderausstellung stehen.

Die Herstellung und Präsentation der Figuren ist übrigens nicht etwa der belarussischen Regierung, sondern Japan Tobacco International (JTI) zu verdanken. Das japanische Tabakunternehmen hat auch die neue Website des Museums, jetzt auf russisch und belarussisch, ermöglicht. Hier ein Video der Enthüllung der Figuren am 24. Oktober:

http://en.belapan.com/archive/2011/10/26/en_media_vitaut/ (Foto und Video)

Überreste von Soldaten in Brest gefunden

Bei Grabungsarbeiten des 52. Suchbataillons der Belarussischen Armee wurden Ende Oktober die Überreste von 58 Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden (BelaPan, 28. Oktober). Auf das Gelände aufmerksam geworden war der Suchtrupp durch eine Fotografie in dem Album eines deutschen Soldaten der 45. Infanterie Division der Wehrmacht. Die Aufnahme zeigte das Einschlagloch einer Bombe und Leichen in dem Krater.

Die Soldaten hatten an den Kämpfen um die Festung Brest im Juni 1941 teilgenommen. Mit Hilfe der ebenfalls gefundenen persönlichen Gegenstände war eine Datierung möglich. Die Beerdigung soll im November im Gelände der Festung erfolgen. Der genaue Ort wird derzeit aktiv im Internet diskutiert.

Kurapaty

Traditionsgemäß fand am 30. Oktober wieder eine Versammlung zum Gedenken an die in den 30er Jahren bis zu 200.000 in Kurapaty bei Minsk ums Leben gekommenen Opfer des Stalinschen Terrors statt (BelaPan 30.10.2011). Anlass war der Dzyady-Feiertag, der am 2.11. begangen wird. Im belarussischen Volkskalender ist der ursprünglich als „Tag der Erinnerung an die Vorfahren“ bekannte Gedenktag zum Gedenktag aller Opfer politischer Repressionen geworden, wie übrigens in Russland auch.

Von der Konservativen Christlichen Partei initiiert, war der Marsch dieses Mal von den Behörden genehmigt. Die verbotene weiß-rote Nationalflagge war ebenso zu sehen wie Banner oppositioneller Gruppen mit den Aufschriften „Lasst uns an die Opfer von Kurapaty erinnern!“. Die Erinnerung an die historischen Ereignisse wurde verbunden mit politischen Forderungen nach der Freilassung der politischen Gefangenen und der kritischen Analyse der Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010.

Das Gedenken und die Reden in Kurapaty  selbst riefen zur Erinnerung an die nationale Vergangenheit Belarus’ in der Tradition des Großfürstentums Litauen auf. Die Rückbesinnung auf die eigene Geschichte und ihre Symbole, wie die weiß-rote Fahne, seien sehr wichtig für das nationale Selbstbewusstsein von Belarus. Dazu gehöre auch die Erinnerung an den Stalinschen Terror, an den die nunmehr fast 1.000 Kreuze in Kurapaty  gemahnten.

Zur näheren Information siehe: Temper, Elena (2008): „Konflikte um Kurapaty. Geteilte Erinnerung im postsowjetischen Belarus“, in: Osteuropa 6, S. 253-266.

Zum Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener

Jüngst fand im Rahmen des Projekts „Sowjetische und deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit“ der Stiftung Sächsische Gedenkstätten die letzte Übergabe sog. schicksalsklärender Dokumente an die Angehörigen in Belarus statt. Solche Zeremonien hat es in Belarus zuvor bereits in 2006 in Mogiljow, 2008 in Witebsk, 2009 in Minsk und 2010 in Gomel und Brest gegeben. Den Abschluss der Aktion bildete nun die Festveranstaltung in Grodno.

Hintergrund ist ein seit 2000 laufendes Projekt im Auftrag der Bundesregierung und unter Leitung der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Ziel ist die Digitalisierung aller Personalunterlagen der Wehrmacht zu sowjetischen Kriegsgefangenen, um diese für humanitäre und wissenschaftliche Zwecke eingeschränkt zur Verfügung zu stellen. Zu den Partnern in Russland gehören der Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation, das Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, das Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (ZAMO) sowie die staatlichen Archivdienste und der FSB, in der Ukraine sind es das Staatliche Archivkomitee und der SBU (früher KGB) und in Belarus der KGB und die staatlichen Archivdienste.

Seit 2008 gibt es eine Datenbank im Internet zu sowjetischen Kriegsgefangenen und Kriegsgefangenenlagern auf der Grundlage sowjetischer und deutscher Dokumente. Mit Bezug darauf wenden sich immer wieder Menschen, darunter auch aus Belarus, an die Dokumentationsstelle mit der Bitte um Aufklärung des Schicksals ihrer Angehörigen.

Über die Aktivitäten im Rahmen des Projektes gibt es eine kleine Ausstellung, die derzeit in Grodno gezeigt wird.

Frauenpower

Eigentlich fällt diese Nachricht nicht in den engeren Themenbereich des Blogs, Kultur und Museen in Belarus, aber ich kann nicht umhin, sie doch aufzugreifen. Wie BelaPan am 14. Oktober schreibt, hat der Präsident verkündet, dass er Frauen zwar sehr schätze, ja sie sogar für „die größte und unnachahmliche Arbeit der Natur“ halte, aber Präsident des Landes könnten sie dann doch nicht werden. Begründung: Das sei eine schwere Arbeit, für die Frauen nicht gemacht seien.

Vorsichtshalber wies wer noch darauf hin, dass 30 % der Sitze im Belarussischen Parlament von Frauen besetzt seien. Der Grund dafür, so Lukaschenko weiter, liege darin, dass er Frauen mehr vertraue als Männern, sie seien verantwortungsbewusst, weniger abenteuerlustig und weniger korrupt. Aber Präsident, nein, dass dann doch nicht. Möglich, so Lukaschenko, ist das in der EU, hier geht es schließlich mehr um die Repräsentation. In Belarus dagegen muss der Präsident hart arbeiten.

Dies tun übrigens viele Frauen in hohen Positionen in Belarus, das jüngste Beispiel ist die Präsidentin der Nationalbank. Auch werden deutlich mehr Museen im Land von Frauen geführt, als das in Deutschland der Fall ist, z.B. das Janka-Kupala-Literatur-Museum (Minsk), das Theater- und Musikmuseum (Minsk), das Kultur- und Palastmuseum in Polock und viele andere.